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Gegen Barrieren angehen: Wie es ist, mit einer Beeinträchtigung zu studieren

Katja Tempke hat ihren Master für den Lehramtsstudiengang „Bildung an Grundschulen“ in der Tasche und bereitet sich zurzeit auf ein Referendariat an einer Berliner Gemeinschaftsschule vor. Und sie verabschiedet sich von der Humboldt-Universität, wo sie nicht nur studiert hat, sondern sich intensiv in den HU-Gremien für Barrierefreiheit engagiert hat. Die Absolventin hat selbst eine Beeinträchtigung. Am Anfang ihres Studiums hatte sie mit vielen Barrieren zu kämpfen und fühlte sich nicht wohl.
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HU-Alumna Katja Tempke, Foto: Stefan Klenke

„Vielen Dank für Ihre Nachricht. Wir werden Ihr Anliegen so bald wie möglich bearbeiten. Aufgrund personeller Engpässe kann es aber leider zu Verzögerungen kommen…“ Automatische Antwortmails dieser Art, die sie während ihres Studiums immer mal wieder von Beratungsstellen der HU bekommen hat, haben Katja Tempke verärgert, manchmal auch zur Verzweiflung getrieben.  

Tempke war eine von etwa 5500 Studierenden an der HU, die eine Beeinträchtigung haben. Sie kann nicht einfach Treppen hochstürmen, weil sie in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt ist. Sie braucht mehr Zeit als andere, Geländer zum Festhalten, einen nahen Parkplatz fürs Auto, das ihr mehr Mobilität ermöglicht. „Für mich war es immer wichtig, im Vorfeld eines Seminars herauszufinden, ob die Räume barrierefrei sind. Leider werden Barrieren kaum kommuniziert.“ Und eine Barriere können für sie schon einige Treppenstufen sein, die sie ohne Geländer erklimmen muss. In eine solche Situation ist sie einmal geraten, als sie zu einer Studienberatung wollte. „Für viele Studierende mit Beeinträchtigung sind wiederholte Vorkommnisse dieser Art Anlass genug, um sich zu demoralisieren und das Studium abzubrechen“, sagt Tempke, die vier Jahre lang Enthinderungsberaterin im Studentischen Sozialberatungssystem der HU war und das Thema (mangelnde) Barrierefreiheit nicht nur aus eigner Erfahrung kennt. „Es kann doch gesellschaftlich nicht gewollt sein, dass eine Gruppe von Menschen keine Studienabschlüsse macht und bestimmte Berufe nicht ausüben kann!“ Als Enthinderungsberaterin hat sie Ratsuchende ermuntert, ihr Studium weiter zu verfolgen und hat mit ihnen an kleinen Schritten gearbeitet, damit sie das Studium trotz Hürden schaffen.  

Aufrichtiges Interesse in den Gremien

Was hat ihr geholfen, ihr eigenes Studium zu absolvieren? „Ich habe meine Probleme kompensiert, indem ich sehr aktiv war und in vielen Gremien mitgewirkt habe“, sagt die Mutter von zwei Jungs. Dort konnte sie über ihre Erfahrungen sprechen und eigene Vorschläge für mehr Inklusion an der HU einbringen. Sie war studentische Hilfskraft der Kommission für Lehre und Studium am Institut für Rehabilitationswissenschaften, Mitglied in der Kommission Barrierefreie Hochschule des Akademischen Senats, war am Stammtisch für Studierende mit Beeinträchtigung beteiligt. „Ich habe mich anfangs an der Universität als Störfaktor gefühlt. Aber in den Gremien habe ich viel aufrichtiges Interesse und Mitgefühl erfahren. Mir wurde zugehört und das hat mir immer sehr gutgetan und Kraft gegeben.“ Auch Kommiliton:innen haben ihr in Situationen, wo sie nicht weiterkam, spontan geholfen und sie unterstützt.

Barrieren gehen alle an

Katja Tempke möchte – wie viele Menschen mit Beeinträchtigung und chronischen Erkrankungen –keine Sonderregelungen, sie möchte sich auch nicht immer an die Begebenheiten anpassen müssen. Sie wünscht sich einfach, dass sie mitgedacht wird und für Barrieren pragmatische und effiziente Lösungen angeboten werden. „Wir lernen in den Seminaren, dass wir als zukünftige Lehrer*innen in der Lage sein müssen, uns auf unterschiedliche Zielgruppen einzustellen, genau das sollte auch die Universität tun.“
Was kann die Universität tun? Barrieren, aber genauso barrierefreie Angebote zentral kommunizieren, zum Beispiel in Agnes, Sprechstunden auch in barrierefreien Räumen anbieten. „Wenn ich zu einer Tagung fahre, wird im Vorfeld ganz selbstverständlich abgefragt, ob und welche Bedarfe ich habe.“ Eine Abfrage am Anfang des Studiums für Menschen mit Beeinträchtigung würde den Betroffenen vieles erleichtern. Und auch den Instituten, die sich auf individuelle Bedarfe besser einstellen könnten. „Barrieren sollten viel mehr ins allgemeine Bewusstsein rücken“, sagt Tempke mit Nachdruck. 

Mitwirken am Inklusionsverständnis der HU

Sie hat an vielen Verbesserungen mitgewirkt oder sie angeregt. Am Institut für Erziehungswissenschaften hat sich zum Beispiel eine Initiative gebildet, die sich für mehr Inklusion einsetzt. Am Institut hinterlegen die Lehrenden beispielsweise mehr Rauminformationen in Agnes. In der Kommission Barrierefreie Hochschule, wo Katja Tempke auch Vorstandsmitglied war, hat sie an der Formulierung des Inklusionsverständnisses der HU mitgewirkt. Sie findet Definitionen wichtig. „Menschen brauchen Klarheit, um sich orientieren zu können.“ Sie freut sich, dass sich in Bezug auf den Nachteilsausgleich etwas bewegt. Studierende und Promovierende mit Beeinträchtigungen können aufgrund von Behinderungen und/oder chronischen Erkrankungen Nachteilsausgleiche im zuständigen Prüfungsamt beantragen, die ihnen ermöglichen, ihr Studium und die Prüfungen chancengleich zu absolvieren. „Die Institute der HU sind dabei, Kriterien für den Nachteilsausgleich festzulegen. Der Vorteil ist, dass Dozierende sich dann nicht jedes Mal neu damit befassen müssen.“ Sie hofft, dass der Nachteilsausgleich fürs gesamte Studium gewährt wird und nicht für jede Veranstaltung immer wieder neu beantragt werden muss, wie es jetzt noch häufig der Fall ist. 

Von der Bürokauffrau zur Bundestags-Sachbearbeiterin

„Die Zeit an der HU war rückblickend ein wertvoller Lebensabschnitt für mich und ich bin dankbar, dass ich auf meinem Weg Unterstützung erfahren habe“, sagt sie resümierend. Vor ihrem Studium, dass sie in der Regelstudienzeit absolviert hat, ist sie anderen Berufen nachgegangen. Sie hat eine Bürokauffrau-Ausbildung mit IHK-Abschluss absolviert. Nach einigen Jahren „Computerarbeit“ ist sie als Sozialarbeiterin für Menschen mit geistiger Behinderung tätig gewesen und hat parallel eine Ausbildung zur Fachpädagogin für Erwachsenbildung und Freizeit für Menschen mit geistiger Behinderung absolviert. Nach sieben Jahren riss sie das Ruder noch einmal herum: Vor ihrem Studium an der HU war sie über zehn Jahre lang Sachbearbeiterin für verschiedene Abgeordnete des Deutschen Bundestags, erhielt für ihre Arbeit herausragende Zeugnisse. „Ich brauche immer mal wieder eine Veränderung“, sagt sie lachend. Als Referendarin und zukünftige Grundschullehrerin möchte sie Inklusion weiterentwickeln, um die Situation für betroffene junge Menschen zu verbessern. „Bildungsgerechtigkeit ist für Menschen mit Behinderung existenziell“, unterstreicht sie.

Autorin: Ljiljana Nikolic

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Schreiben Sie bitte an folgende Mail, wenn Ihnen Barrieren an der Universität auffallen: barrieren.melden@hu-berlin.de