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„Per Knopfdruck wird die Ausstellung zum Veranstaltungsraum“

Im Interview berichtet Johanna Stapelfeldt, die Kuratorin des Humboldt Labors, wie Besucher:innen an Forschungsprojekten beteiligt werden, welche Rolle Studierende der HU spielen und wo das Lautarchiv untergebracht sein wird.
Johanna Stapelfeldt

Johanna Stapelfeldt, Foto: Matthias Heyde 

Ein interaktiver Fischschwarm, ein Modell des Ursauriers Orobates pabsti, eine Tank-Man-Figur (Foto) und vieles mehr erwartet die Besucher:innen des Humboldt Labors im Humboldt Forum. Im Interview berichtet Johanna Stapelfeldt, die Kuratorin des Humboldt Labors, wie Besucher:innen an Forschungsprojekten beteiligt werden, welche Rolle Studierende der HU spielen und wo das Lautarchiv untergebracht sein wird. Ab sofort können Zeitslots für die Ausstellung über das Humboldt Forum gebucht werden.

Frau Stapelfeldt, Sie haben bestimmt eine sehr anstrengende Zeit hinter sich. Woran arbeiten Sie zurzeit, in den letzten Tagen vor der Eröffnung des Humboldt Labors, intensiv?

Johanna Stapelfeldt: Eine anstrengende, aber auch spannende Zeit. Als ich im Herbst letzten Jahres Teil des Teams wurde, stand das Humboldt Labor kurz vor der Eröffnung. Das fühlte sich ein wenig an, wie auf einen mit Vollgas rasenden Zug aufzuspringen. Im Dezember kam dann die Vollbremsung, als klar wurde, dass wir aufgrund der Pandemie nicht wie geplant im Januar eröffnen können. Was leider nicht bedeutete, dass wir ab da die Beine hochlegen konnten. Die Inbetriebnahme des Humboldt Forums als neu entstehendes Haus von nie dagewesener Komplexität und Größenordnung ist an sich schon eine Herkulesaufgabe. Durch die Umplanungsprozesse entstand ein enormer zusätzlicher Arbeits- und Abstimmungsaufwand. Hinzu kommt, dass das Humboldt Labor nicht nur flächenmäßig, sondern auch, was die Größe des Teams betrifft, der kleinste der vier Akteure im Humboldt Forum ist.

Welche Auswirkungen hat das für Ihre Arbeit?

Stapelfeldt: Das macht uns einerseits flexibler. Andererseits müssen wir mit wenig Personal alle Bereiche abdecken. Deshalb reichen meine Aufgaben in den Tagen vor der Eröffnung von ganz praktischen Dingen – wie letzte handwerkliche Bastelarbeiten und technische Reparaturen – über konzeptionelle, organisatorische Aufgaben bis hin zu repräsentativen Funktionen. Meine eigentliche Kernaufgabe aber, für die ich bisher leider viel zu wenig Zeit habe, ist der Blick in die Zukunft: und zwar die kuratorische Weiterentwicklung der Auftaktausstellung „Nach der Natur“. Die zentrale Idee der Ausstellung ist nämlich, dass sie immer in Bewegung ist und sich während der gesamten Laufzeit – wie die Wissenschaft selbst – kontinuierlich aktualisiert und verändert.

Das Humboldt Forum und das Humboldt Labor der HU eröffnen mit fast einem Jahr Verspätung, hatte die Zeitverzögerung auch etwas Gutes für Sie?

Stapelfeldt: Leider nein. Bezogen auf unsere Ausstellung hatte die Verzögerung im Grunde nur Nachteile: Wir waren im Dezember startklar, hatten alle Objekte eingebracht und haben uns auf das Publikum gefreut. Gerade weil sich das Humboldt Labor als Ort des Austauschs zwischen Wissenschaft und Gesellschaft versteht, hat uns der Anblick der leeren Räume und verwaisten Objekte, die auf neugierige Augen und Ohren warten, besonders geschmerzt. Durch die Verschiebung mussten wir nun bereits die ersten Objekte wieder austauschen. Das einzig Gute, das ich der aktuellen Situation abgewinnen kann, ist die zentrale Rolle von Wissenschaft und Wissenschaftskommunikation, die sich durch die Pandemie deutlicher denn je gezeigt hat. Diese Zeiten sind nicht nur eine Herausforderung für die Forschung und eine gesellschaftliche Zerreißprobe. Wir haben auch einen gemeinsamen Lernprozess durchgemacht. Neben all den negativen Folgen habe ich den Eindruck, dass heute viel mehr Menschen ein Verständnis für wissenschaftliche Arbeitsweisen haben: Wir haben gelernt, dass Forschung ein Prozess ist, dass Wissen immer vorläufigen Charakter hat, dass Expertisen und Disziplinen sich wechselseitig korrigieren und ergänzen. Jetzt freuen wir uns darauf, diese Entwicklungen und Debatten, die in den letzten Monaten ausschließlich im Digitalen stattfinden konnten, im Medium der Ausstellung fortsetzen zu können.

Die Humboldt-Universität ist Teil eines der größten Kulturprojekte Europas. Warum ist das Humboldt Labor im Humboldt Forum für die Universität wichtig?

Stapelfeldt: Der Optimismus meiner letzten Antwort hat leider auch eine Kehrseite. In gleichem Maße, wie das Wissenschaftsverständnis auf der einen Seite zuzunehmen scheint, verstärken sich auf der anderen Seite antidemokratische und wissenschaftsfeindliche Tendenzen, treten aus der Latenz an die Oberfläche. Gerade in dieser aktuellen Gemengelage ist es eine zentrale Aufgabe der Universität, neben Forschung und Lehre auch den Dialog mit der Gesellschaft zu suchen. Ein umso größeres Geschenk ist es, dass mit dem Humboldt Labor ein solcher Dialograum und Begegnungsort in der Mitte Berlins entsteht – und damit in unmittelbarer Nachbarschaft zur HU. Wir scherzen intern manchmal, dass man aufgrund der Namensgebung meinen könnte, das Humboldt Forum als Ganzes sei eine Dependance der Humboldt-Universität. Im Ernst: Bei aller – teils berechtigten – Kritik muss man doch einräumen, wie großartig es ist, dass ein stadtplanerisch so zentraler Ort der Kultur und Wissenschaft gewidmet wird. Von der Präsenz an diesem Ort wird hoffentlich nicht nur die HU profitieren, sondern umgekehrt auch das Humboldt Forum. Im Zusammenspiel der vier Akteure wird die HU als „Stimme der Wissenschaft“ – die sich eigentlich aus vielen Stimmen zusammensetzt, denn die Wissenschaften sprechen nie mit einer Stimme – ganz eigene Impulse einbringen.

Vier große Institutionen – drei Museen und eine Universität – unter einem Dach: Wie kommt das zusammen? Gibt es dafür Vorbilder?

Stapelfeldt: Die Konstellation aus Forschen und Ausstellen wurde an diesem Ort bereits erprobt: Und zwar in der Zwischenkriegszeit, nachdem das Schloss seine Funktion als Herrschaftssitz eingebüßt hatte. Neben dem Kunstgewerbemuseum waren hier unter anderem auch das Psychologische Institut unterbracht und sogar ein Wohnheim für Studentinnen. Der Einzug der HU ins rekonstruierte Schloss bedeutet also nicht nur für einige Objekte aus der ehemaligen Kunst- und Wunderkammer, die im Zuge der Universitätsgründung zur Keimzelle der universitären Sammlungen wurden, eine Art Rückkehr. Auch wenn historische Vergleiche mit Vorsicht zu genießen sind: Gerade in ihrer politischen wie gesellschaftlichen Ambivalenz und der beschriebenen Form der Zwischennutzung bietet die Zwischenkriegszeit einen möglichen historischen Bezugspunkt. Nicht ohne Grund blickt auch die Auftaktausstellung im Humboldt Labor an verschiedenen Stellen auf diese Zeit zurück.

Stichwort Raubkunst. Das Humboldt Forum war wiederholt wegen des Umgangs mit seinem kolonialen Erbe in den Schlagzeiten. Gibt es auch Exponate der HU, die aus der Kolonialzeit stammen und deren Herkunft nicht geklärt ist?

Stapelfeldt: Auch wenn das Humboldt Forum in der Öffentlichkeit als geschlossenes Ganzes wahrgenommen wird, beziehen sich die Raubkunst- und Restitutionsdebatten vor allem auf Bestände des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst, die im September ihre neuen Ausstellungen eröffnen. Doch auch in Sammlungen der HU gibt es Bestände aus kolonialen Kontexten, wenngleich in viel geringerem Umfang. Zu nennen wären hier vor allem die unter Zwang entstandenen Aufnahmen Kriegsgefangener Kolonialsoldaten aus dem Lautarchiv. In jüngerer Zeit geraten zunehmend auch naturkundliche Objekte in den Blick. Selbst wenn der konkrete Erwerbungszusammenhang – wie etwa bei vielen zoologischen Präparaten – nicht gut dokumentiert ist, lässt sich häufig anhand von Datierung und Herkunftsregion ein kolonialer Kontext vermuten.

Wie gehen wir mit diesem Erbe um?

Stapelfeldt: Kommt darauf an, wen Sie mit „wir“ meinen. Aus aktivistischer Perspektive wird man sich anders zu dem Thema verhalten als etwa in der Position einer Sammlungsleitung. Als Kurator:innen des Humboldt Labors haben wir keine eigene Sammlung. Wir haben aber die Möglichkeit, Dinge zu thematisieren und Debatten zum Umgang mit unserem kolonialen Erbe anzustoßen. Aus der kuratorischen Arbeit können auch ganz konkrete Forschungsprojekte erwachsen. Das Humboldt Labor hat beispielsweise ein Projekt zur Provenienz von zwei Kehlkopfpräparaten aus dem Lautarchiv angestoßen, gefördert durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste. Im Rahmen des Projekts ist unter anderem eine Handreichung entstanden, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der HU bei ähnlichen Funden im Umgang mit menschlichen Überresten helfen soll. Im institutionellen Umgang mit der eigenen kolonialen Vergangenheit braucht es vor allem eins: maximale Transparenz. Für die Berliner Universitätssammlungen erhoffe ich mir hier von dem Projekt „Digitales Netzwerk Sammlungen“ und dem Forschungsnetzwerk „Koloniale Sammlungen in Berliner Universitäten“, gefördert durch die Berlin University Alliance (BUA), wichtige Beiträge.

Spielt das Thema auch eine Rolle in der Ausstellung?

Stapelfeldt: Die Ausstellung übt sich in einer Haltung, die man ambivalentes Erinnern nennen könnte. So wird beispielsweise anhand der Nobelpreisurkunde von Robert Koch gezeigt, dass man gleichzeitig an seine Errungenschaften erinnern kann, ohne dabei seine menschenverachtenden Forschung an Bewohner:innen der Ssese-Inseln auszublenden. Eine ganz eigene Form des Umgangs mit Provenienzfragen zeigt die künstlerische Arbeit von Tal Adler zu einem Schädel aus der Sammlung der Charité, die in Kooperation mit dem Centre for Anthropological Research on Museums and Heritage (CARMAH) entstanden ist und deren Ergebnis im Humboldt Labor zu sehen ist.

Wirken Studierende der HU im Humboldt Labor mit?

Stapelfeldt: An der Auftaktausstellung waren neben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aller Karrierestufen und vieler verschiedener Institutionen auch zahlreiche Studierende der HU beteiligt: Studierende der Literaturwissenschaft haben eine eigene Station zu Christa Wolfs „Störfall“ erarbeitet. Im Foyer des Humboldt Labors stellt sich neben Filmen der sieben Berliner Exzellenzcluster ein achter Bildschirm buchstäblich quer. Zu sehen ist darauf ein studentisches Filmprojekt, das sich kritisch mit der Zukunft der Universität als Bildungsinstitution auseinandersetzt. Mir persönlich liegt besonders die Zusammenarbeit mit einem Masterseminar des Instituts für Europäische Ethnologie am Herzen, das über längere Zeit die Entstehung des Humboldt Labors begleitet hat. Die Studierenden haben nicht nur wichtige Impulse für die Entwicklung der Ausstellung gegeben, sondern sich auch an unterschiedlichen Stellen aktiv eingebracht. Für die Zukunft des Humboldt Labors wird diese Art der studentischen Beteiligung eine zentrale Rolle spielen – unter anderem auch in Form von Lehrveranstaltungen der neuen Stiftungsprofessur „Theorie und Praxis der Kuration“.

Die HU hat nicht nur eine Ausstellungsfläche im Humboldt Forum, sondern auch Büros. Wo sind sie gelegen, und wer wird dort arbeiten?

Stapelfeldt: Wir nennen unsere Büros das „Hinterland“, weil sie direkt hinter den Ausstellungsflächen liegen. Diese unmittelbare Nachbarschaft bringt uns buchstäblich nah ans Publikum: Mit drei Schritten sind wir von der Teeküche in der Ausstellung, können Befragungen und Forschungsprojekte durchführen oder einfach nur Mäuschen spielen, wie es den Leuten gefällt. Neben Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des kuratorischen Teams wird dort auch die neue Stiftungsprofessur unterbracht sein. Außerdem gibt es einen Seminarraum, der für hochschulöffentliche Veranstaltungen genutzt werden kann. Und worüber ich mich persönlich besonders freue: Das Lautarchiv wird ebenfalls mit seinen Archiv- und Büroräumen ins Humboldt Forum ziehen, so dass wir Tür an Tür sitzen. Durch diese räumliche Nähe erhoffen wir uns eine Intensivierung des Austauschs, aber auch eine gesteigerte öffentliche Aufmerksamkeit für das Lautarchiv und seine Bestände.

Was viele noch gar nicht wissen, wesentlicher Bestandteil des Humboldt Labors ist ein umfangreiches Bildungs-, Vermittlungs- und Veranstaltungsprogramm. Geben Sie uns einen kleinen Ausblick, was erwartet uns dort?

Stapelfeldt: Bereits im April – und damit noch vor der physischen Hausöffnung – ist die Veranstaltungsreihe MitWissenschaft/WeSearch in Kooperation mit der Stiftung Humboldt Forum (SHF) gestartet. An den ersten Terminen, die bisher leider nur digital stattfinden konnten, geben die sieben Berliner Exzellenzcluster Einblicke in ihre aktuelle Forschung. Unser eigentliches Vermittlungsprogramm wird ab Herbst starten: Es umfasst neben regelmäßigen Führungen in unterschiedlichen Sprachen und barrierefreien Angeboten auch Formate wie Tandemführungen, die unsere kooperierenden Wissenschaftler:innen in direkten Dialog mit dem Publikum bringen. Zudem planen wir ab Herbst verschiedene interne und öffentliche Workshops – etwa in Kooperation mit den Kolleg:innen von CARMAH. Ein Highlight, auf das ich mich besonders freue, ist die Vorstellung des neuen Buchs von Steffen Mau zu Grenzen als „Sortiermaschinen“, die im August als Kooperation mit SCRIPTS in unseren Ausstellungräumen stattfinden wird. Der Clou der Ausstellung ist nämlich, dass wir sie per Kopfdruck in einen Veranstaltungsraum verwandeln können, indem wir die Vitrinen unter die Decke ziehen. Dennoch müssen wir bei aller Vorfreude mit Blick auf den Herbst und die Pandemie in unserer Planung flexibel bleiben.

Stichwort Citizen Science, also, Forschungsprojekte, die mit interessierten Laien durchgeführt werden. Gibt es schon konkrete Angebote?

Stapelfeldt: In der Ausstellung, wie sie jetzt ab 20. Juli zu sehen sein wird, gibt es bereits einige Angebote, die Besucherinnen und Besucher aktiv an Forschungsprozessen beteiligen. Eine Medienstation macht rund 700 historischen Dialektaufnahmen aus dem Lautarchiv zugänglich, die in Zusammenarbeit mit Mundartkundigen und -vereinen eigens für die Ausstellung ins Hochdeutsche übersetzt wurden. Da sich einige Dialekte über die Zeit derart verändert haben, dass selbst Mundartkundige sie heute nicht mehr verstehen, enthalten manche der Transkriptionen Lücken. Nach dem Motto „Viele Ohren hören mehr“ sind Besucher und Besucherinnen eingeladen, sich am Füllen dieser Lücken zu beteiligen. An einer großen kinetischen Projektionswand können Besucher:innen sich via Twitter an Diskussionen zu aktuellen Forschungsfragen beteiligen. Ab August wird ein Forschungsprojekt unter dem Titel „Museum Raum Wissen“ die Ausstellung als einen Ort der kollaborativen Wissensproduktion erforschen.

Was passiert dabei genau?

Stapelfeldt: Über ein eingebautes Tracking werden die Bewegungen der Besucherinnen und Besucher aufgezeichnet und auf ein Architekturmodell in der Ausstellung projiziert. Die Forschungsergebnisse wiederum werden in die Weiterentwicklung der Ausstellung einfließen. Im hinteren Teil des Hauptsaals haben wir einen eigenen Bereich eingerichtet, der ab August mit wechselnden Citizen-Science-Projekten bespielt wird. Den Auftakt macht ein Experiment zum Phänomen der „adaptiven Rationalität“ in Kooperation mit dem Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Was mir im Gespräch mit den Forschenden positiv auffällt: Es gibt ein großes und ehrliches Interesse am wechselseitigen Austausch mit dem Publikum. Entsprechend gespannt warten alle darauf, dass es nun endlich losgeht.

Die Fragen stellte Ljiljana Nikolic

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