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Computermodell simuliert Passage von Spermien durch den weiblichen Genitaltrakt

Forschende identifizieren Schlüsselfaktoren für den Reproduktionserfolg / Veröffentlichung in PLOS

Ein Forschungsteam der Humboldt-Universität zu Berlin und des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) hat ein Agenten-basiertes Computermodell entwickelt, um die Passage von Spermien durch den weiblichen Genitaltrakt zu simulieren. Schlüsselfaktoren für den erfolgreichen Transit der männlichen Keimzellen konnten identifiziert werden. Die Ergebnisse wurden vor kurzem in der Fachzeitschrift „PLOS Computational Biology“ veröffentlicht.

Während die Anzahl der Spermienzellen bei ihrer Passage durch den weiblichen Genitaltrakt dramatisch sinkt, werden die erfolgreichen männlichen Gameten auf die Befruchtung vorbereitet. Die Mechanismen, die dieser Selektion und damit dem Fortpflanzungserfolg zugrunde liegen, sind immer noch weitgehend unverstanden, da ihre experimentelle Untersuchung in vivo aus ethischen und praktischen Gründen kaum möglich ist. Ein besseres Verständnis der Spermienmigration und -selektion im Kontext unterschiedlicher Fortpflanzungssysteme, insbesondere bei Wildtieren, ist jedoch von großem Interesse, um Probleme zu erkennen sowie Techniken der assistierten Fortpflanzung wie die künstliche Besamung zu optimieren.

Mit Hilfe eines Raum-Zeit-Modells des weiblichen Genitaltraktes in dem sich die Spermien als individuelle Agenten mit speziellen Eigenschaften nach definierten Regeln bewegen und mit dem weiblichen Genitaltrakt in Wechselwirkung treten, konnten die Wissenschaftler die Spermien-Migration per Computer studieren.

Die Eigenschaften, die den Spermien zugeschrieben wurden, sowie Verhaltens-Regeln wurden zunächst vom bovinen Fortpflanzungssystem abgeleitet, das heißt einerseits von der Geometrie des weiblichen Genitaltrakts und andererseits von biophysikalischen Prinzipien der Spermienbewegung wie sie in vitro beobachtet werden können. So schwimmen Spermien bevorzugt gegen einen Flüssigkeitsstrom (positive Rheotaxis) und bewegen sich entlang von Wandstrukturen (Thigmotaxis). 

Bisher umfasst das Modell die Spermienwanderung von der Vagina bis an den Beginn des Eileiters und konnte erfolgreich mit publizierten in vivo Daten abgeglichen werden, was zum Beispiel die Anzahl an Spermien betrifft, die in einer bestimmten Zeit den Eileiter erreichen.

Ergebnisse wichtig für künstliche Fortpflanzung

„Wie erwartet, fanden wir, dass physikalische Eigenschaften wie die Geschwindigkeit und die Geradlinigkeit der Spermienbewegung für erfolgreiche Spermien wesentlich sind. Allerdings hat die Fähigkeit der Spermien, gegen den Strom vom Zervikalsekret zu schwimmen sowie sich an den Epithelwänden des Genitaltrakts entlangzubewegen, einen enormen zusätzlichen Einfluss für eine erfolgreiche Migration“, erklärt Jorin Diemer, Doktorand an der Humboldt-Universität zu Berlin. Karin Müller, Leiterin des andrologischen Labors am Leibniz-IZW, schlussfolgert, „dass diese identifizierten Eigenschaften künftig bei der Konditionierung von Spermien in Verfahren der künstlichen Fortpflanzung berücksichtigt werden müssen, bei denen die natürlichen Selektionsprozesse normalerweise umgangen werden.“

Das ist besonders wichtig, da es artspezifisch ein optimales Zeitfenster für die Ansammlung von Spermien im Eileiter mit Bezug zum Zeitpunkt der Ovulation gibt, wo die Eizellen zur Befruchtung freigesetzt werden. „Der große Vorteil unseres Modells ist seine Ausbaufähigkeit“, unterstreicht Edda Klipp, Professorin für Theoretische Biophysik an der HU. Vorhersagen, die in diesem offenen experimentellen in silico System generiert werden, haben das Potenzial die assistierte Fortpflanzung beim Menschen, bei bedrohten Tierarten aber auch bei Nutztieren zu verbessern, ohne dass Tierversuche zum Einsatz kommen.

Studie

Jorin Diemer, Jens Hahn, Björn Goldenbogen, Karin Müller, Edda Klipp (2021): Sperm migration in the genital tract - in silico experiments identify key factors for reproductive success. PLOS Computational Biology

Kontakte

Hans-Christoph Keller
Pressesprecher der Humboldt-Universität zu Berlin,

Tel.: +49 30 2093-12710
hans-christoph.keller@hu-berlin.de

Jorin Diemer
Humboldt-Universität zu Berlin
Theoretische Biophysik, Institut für Biologie

Tel.: +49 (0)30 2093 8382