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„Wir möchten die Themen Digitalität und digitale Methoden an der HU fördern“

Obwohl am Campus Mitte bereits vielfach zu Digitalität und/oder unter Anwendung aktueller computationeller Methoden geforscht wird, standen die Projekte und Personen bislang kaum systematisch miteinander im Austausch. Das soll sich durch das neue Interdisziplinäre Zentrum (IZ) „Digitalität und digitale Methoden am Campus Mitte“ ändern. Die beiden Sprecher, der Historiker Torsten Hiltmann und der Sprachwissenschaftler Roland Meyer, erklären im Interview, was sie vor haben.

Andere Universitäten haben Digital Humanities-Zentren schon früher eingerichtet als die HU. Allerdings vor allem, um überhaupt erst digitale Forschungsprojekte in den Geisteswissenschaften anzustoßen, von denen es an der HU dagegen längst schon sehr viele erfolgreiche gibt. Nun kommt das bündelnde IZ dazu. Wie wirkt sich diese umgekehrte Reihenfolge aus, ist sie Vor- oder Nachteil?

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Torsten Hiltmann, Foto: privat

Torsten Hiltmann:Ersteres! Denn wir haben damit die Möglichkeit, von den Erfahrungen der anderen zu lernen und damit eine möglichst gute und passende Infrastruktur für die HU aufzubauen. Die anderen haben schon gesehen, was funktioniert und was nicht – davon profitieren wir jetzt. So können wir die HU quasi per Leapfrogging, also indem wir diese Findungsphase überspringen, ganz nach vorn bringen.

Roland Meyer: Es ist eine Chance, dass an der HU schon so viele profilierte Forscher:innen vorangegangen sind. Wir stehen vor einer großen Vielfalt von Projekten und Parallelstrukturen, die auf einzelnen erfolgreichen Forschungsleistungen beruhen und die unabhängig voneinander erbracht wurden. Aber es fehlte die konzertierte Aktion. An anderen Orten gibt es die Gefahr, Strukturen zu schaffen, die am Bedarf der Forschenden vorbeigehen. Wir hingegen können bedarfsgerecht und an den Spezialitäten der HU entlang entwickeln.

Was sind die Ziele des neuen IZ „Digitalität und digitale Methoden am Campus Mitte“?

Hiltmann: Wir wollen Wissenschaftler:innen, die am Campus Mitte zum Thema Digitalität oder mit digitalen Methoden arbeiten, in Austausch miteinander bringen. Es ist schon erstaunlich, wie viele spannende Projekte es hierzu an der HU bereits gibt, die aus unterschiedlichen Perspektiven zum Teil zu ganz ähnlichen Themen forschen. Nur wissen diese oft gar nicht voneinander. Diese Vielfalt zu vernetzen und die damit verbundenen Potenziale zu entwickeln, ist wesentliches Ziel des IZ. Zugleich wollen wir die Themen Digitalität und digitale Methoden auch ganz allgemein an der HU fördern und die notwendige Infrastruktur aufbauen, die es für die zukünftige Forschung braucht.

In der ersten Phase steht dabei die Vernetzung, der Informationsaustausch, und dann schrittweise eine inhaltliche Konsolidierung hin zu gemeinsamen, forschungszentriert entwickelten Schwerpunkten im Vordergrund. Hier setzen wir vor allem auch auf Promovierende und Wissenschaftler:innen in einer frühen Karrierephase. Angestrebt wird unter anderem die Beantragung eines gemeinsamen Graduiertenkollegs.

Welchen Herausforderungen sieht sich das neue IZ gegenüber?

Hiltmann:Die Besonderheit unseres IZ ist ja, dass es Wissenschaftler:innen aus zum Teil sehr verschiedenen Fakultäten zusammenführt. Dieser Austausch über die verschiedenen Fachkulturen hinweg muss auch entsprechend moderiert und gestaltet werden. Und das in einem sehr dynamischen Feld, wo immer wieder neue Entwicklungen auftauchen, die wir rasch und agil integrieren müssen. ChatGPT hat uns gerade erst gezeigt, wie schnell und tiefgreifend solche Veränderungen im Digitalen vonstatten gehen können.

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Roland Meyer, Foto: privat   

Meyer: Zudem müssen wir zunächst einmal eine gemeinsame Sprache finden. Die gleichen Dinge haben in den verschiedenen Fakultäten teils ganz unterschiedliche Bezeichnungen. Auch stellen einige Fächer eher grundsätzliche Fragen nach Digitalität, während es anderen eher um die konkrete Umsetzung und gemeinsame Weiterentwicklung von Methoden geht. Auch hier gilt es, Brücken zu bauen und diese Gegensätze nutzbar zu machen.

Wie wollen Sie das lösen?

Hiltmann: Wir setzen vor allem auf Vernetzungs- und Austauschformate und wollen Ermöglichungsstrukturen schaffen. So wird es bei unserer Kick-Off-Veranstaltung am 20. Juli unter anderem Thementische geben, die aus der Community selbst kommen und an denen man miteinander ins Gespräch kommen kann. Daneben werden wir ab dem Wintersemester verschiedene Austauschformate wie Ringvorlesungen und Workshops anbieten. Aber auch Retreats wird es geben, wo man in einem kleineren Rahmen mit Kolleg:innen fokussiert neue Projektideen entwickeln kann. Gerade auch Early Career Researchern wollen wir hier entsprechende Angebote machen.

Wollen Sie auch mit dem Naturwissenschaften-Campus Adlershof zusammenarbeiten?

Meyer: Wir möchten das gerne und stehen dem offen gegenüber. Zunächst müssen wir aber erstmal sprechfähig werden und uns konsolidieren. Aber es gibt natürlich auch jetzt schon wichtige Querverbindungen, wie etwa zur Sprachverarbeitung in der Informatik.

Was sind die Besonderheiten von Digitalität in den Geistes- und Sozialwissenschaften, die anders als die Naturwissenschaften, mit menschengemachten Daten arbeitet?

Meyer: Sicherlich wird Digitalität generell stärker hinterfragt. In der Sprachwissenschaft, die ich am besten kenne, gehören digitale Textkorpora zum Standard. In der Literaturwissenschaft dagegen ist vielmehr strittig, ob man digitale Methoden überhaupt verwenden will, ob Distant Reading zum Beispiel überhaupt sinnvolle neue Erkenntnisse bringt. Dabei geht es letztlich um die Frage: Erweitert Digitalität unsere Erkenntnismöglichkeiten oder verengt sie unseren Blick auf bestimmte Arten von Ergebnissen und bestimmte Denkwege? Statistische Verfahren, quantitative Methoden, und der Aufschwung der Künstlichen Intelligenz – was macht das mit unseren Fächern? Auch diese Reflexionen gehören dazu.

Welche Herausforderungen stellt Digitalität speziell an die Sozial- und Geisteswissenschaften?

Hiltmann: Einerseits verändern sich unsere Forschungsgegenstände. Wir leben schon längst in einer digitalen Gesellschaft und das müssen wir in unseren Forschungen auch reflektieren. Zugleich ändern sich aber auch die Grundlagen unseres Arbeitens selbst. Für uns Historiker:innen etwa sind unsere Quellen jetzt nicht mehr nur auf Papier und Pergament in Archiven und Bibliotheken zugänglich, sondern immer häufiger auch digital als Daten. Sie können auch als Daten analysiert werden, was ganz neue Möglichkeiten eröffnet. Dabei müssen wir auch lernen, mit genuin digitalen Quellen wie Webseiten oder Social Media zu arbeiten – was zur Weiterentwicklung unserer hergebrachten Methoden zwingt. Auch das Wissen, das so produziert wird, verändert sich. Auch das sind wesentliche Herausforderungen für uns.

Was sind die Besonderheiten des IZ im Vergleich zu anderen deutschen oder internationalen Zentren?

Hiltmann: Da ist zum einen die besonders große Bandbreite der beteiligten Fächer, die sich ja von der Philosophischen Fakultät und den Sprach- und Literaturwissenschaften über die Kultur-, Sozial- und Bildungsforschung, Wirtschaftswissenschaften und Rechtswissenschaft bis hin zur Theologie erstreckt. Das andere ist die explizite Verbindung aus Digitalität und digitalen Methoden und der Wunsch, beides zusammenzudenken. Damit setzen wir unseren Fokus deutlich breiter als es etwa in den verschiedenen Centers for Digital Humanities passiert. Wir denken, dass beides einander bedingt, konzeptionelle Forschung zu Digitalität und deren praktischer Anwendung in den digitalen Methoden. Diese breite, aber zugleich eng verzahnte Perspektive ist schon recht außergewöhnlich und wird hoffentlich zu vielen neuen und spannenden Entwicklungen auf diesem Feld an der HU führen.

Meyer: Hinzu kommt, dass auch infrastrukturelle Partner:nnen wie die Bibliothek und der Computer- und Medienservice mit ihrer Expertise von Beginn an eingeladen sind und zu den Unterstützern zählen. Darin liegt ebenfalls eine Chance, sowohl für die Wissenschaftler:innen als auch für eine bedarfsgerechte Weiterentwicklung von Diensten, die allen zugutekommen.

Interview: Vera Görgen

Veranstaltungshinweis: Auftakt am 20. Juli

Das Interdisziplinäre Zentrum „Digitalität und digitale Methoden am Campus Mitte“ lädt alle interessierten Kolleg:innen zu einer Auftaktveranstaltung. Vorgestellt werde die Ziele des IZ, im Ringvortrag „Was ist Digitalität bzw. digitale Methodologie für mich und mein Fach?“ werden die vielfältigen Ansätze und Perspektiven zu den Leitkonzepten Digitalität und digitale Methoden am Campus Mitte thematisiert und erste Anknüpfungspunkte für das IZ zusammentragen. Die Veranstaltung findet am 20. Juli von 12 bis 16 Uhr im Auditorium des Grimm-Zentrums und hybrid via Zoom statt.