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Meilenstein in der Erforschung des bakteriellen Bewegungsantriebs

Forscher lösen das Rätsel, wie Bakterien ihren Bewegungsapparat aufbauen
So sieht die Struktur einer Bakterien-Geißel aus: Der lange Faden, das sogenannte Filament (rosa). Die Kappe (orange), die hilft, den Faden zusammenzubauen. Weitere Teile sind der Haken (blau) und die Verbindung zwischen Haken und Faden (gelb und grün). Bild: Prof. Marc Erhardt

So sieht die Struktur einer
Bakterien-Geißel aus: Der lange
Faden, das sogenannte Filament
(rosa). Die Kappe (orange),
die hilft, den Faden
zusammenzubauen. Weitere
Teile sind der Haken (blau)
und die Verbindung zwischen
Haken und Faden (gelb und
grün). Bild: Prof. Marc Erhardt

Ein internationales Forschungsteam unter Leitung von Wissenschaftler*innen der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) hat die komplette Struktur der bakteriellen Geißel, Flagellum genannt, entschlüsselt. Die Erkenntnisse liefern wichtige Einblicke in den molekularen Aufbau eines der komplexesten Bewegungsapparate der Natur. „Unsere Studie löst ein zentrales Rätsel der Mikrobiologie, das Forscher seit den 1950er Jahren beschäftigt: Wie schafft es die Zelle, diese riesige molekulare Maschine so präzise und effizient außerhalb ihres Zellkörpers zu bauen?“, sagt Prof. Marc Erhardt, Leiter der Arbeitsgruppe Molekulare Mikrobiologie an der Humboldt-Universität zu Berlin und Letztautor der Studie. Das Flagellum konnte in seinem nativen Zustand dargestellt werden, also in der aktiven, korrekt gefalteten Form des Moleküls. Darüber hinaus gelang es dem Team, bisher unbekannte Schlüsselmomente des biologischen Selbstaufbaus aufzuklären. Durch diesen Prozess werden die komplexen Strukturen des Flagellums Schritt für Schritt am Bakterium zusammengebaut. Die Ergebnisse der Forschung wurden in der Fachzeitschrift Nature Microbiology veröffentlicht. An der Studie sind Wissenschaftler*innen des Randall Centre for Cell and Molecular Biophysics, King's College London, des Forschungszentrums Jülich, des Imperial College London und der Max Planck Forschungsstelle für die Wissenschaft der Pathogene in Berlin beteiligt.

Die bakterielle Flagelle

Die bakterielle Flagelle ist eines der größten und komplexesten makromolekularen Maschinen der Natur. Sie besteht aus einem Basalkörper, einem Haken und einem langen extrazellulären Filament, einem langen, dünnen Proteinfaden. Durch Rotation des Flagellums können krankmachende Mikroorganismen, wie Salmonella enterica und Campylobacter jejuni, sich gezielt fortbewegen, an Oberflächen haften und Wirtszellen kolonisieren. Trotz jahrzehntelanger Forschung war bislang unklar, wie das mehrere Mikrometer lange Flagellum an der Zelloberfläche aufgebaut und wie neue Bausteine, sogenannte Flagelline, in das wachsende Filament eingebaut werden.

„Die bakterielle Flagelle ist ein Paradebeispiel für molekulare Präzision und Effizienz. Unsere Studie enthüllt ihre Architektur in bislang ungekanntem Detail und schafft eine Grundlage für zukünftige Arbeiten an bakterieller Beweglichkeit, Infektion und synthetischer Biologie.“, sagt Prof. Marc Erhardt, dessen Forschung sich auf die Mechanismen der bakteriellen Fortbewegung und Phagen-Abwehrsysteme konzentriert.

Weitreichende Bedeutung für Mikrobiologie und Biotechnologie

Die Ergebnisse liefern nicht nur ein vollständiges Strukturmodell der bakteriellen Flagelle, sondern klären auch grundlegende Prinzipien des Selbstaufbaus makromolekularer Komplexe. Die Erkenntnisse könnten langfristig zur Entwicklung neuer antimikrobieller Strategien oder zur Konstruktion synthetischer Nanomaschinen beitragen.

Ein Blick in den molekularen Maschinenraum

Mithilfe modernster Kryo-Elektronenmikroskopie konnten die Wissenschaftler*innen die vollständige extrazelluläre Flagelle von Salmonella mit nahezu atomarer Auflösung abbilden. Zum ersten Mal gelang es ihnen, die natürliche Struktur der Filamentkappe, ein kleines Protein an der Spitze der Flagelle, in verschiedenen Phasen ihres Aufbaus als funktionsfähigen Fünferkomplex darzustellen. Außerdem konnten sie die bisher unbekannte Struktur der Verbindung zwischen dem Haken und dem Filament sichtbar machen. Auch das Flagellum von Campylobacter wurde in einem sehr frühen Aufbauzustand untersucht, bevor der eigentliche Filamentaufbau beginnt. Durch gezielte genetische Veränderungen und Funktionstests konnten die Wissenschaftler*innen zeigen, dass sich die Filamentkappe drehen und ihre Form flexibel anpassen muss, damit neue Bausteine des Filaments (die Flagellin-Moleküle) nacheinander eingebaut und korrekt gefaltet werden können. Die Verbindung zwischen Haken und Filament wirkt dabei wie ein Puffer: Sie fängt mechanische Belastungen ab und sorgt gleichzeitig dafür, dass die einzelnen Bestandteile genau richtig zusammengesetzt werden.

„Es war ein einzigartiges Erlebnis, Momentaufnahmen eines molekularen Bauprozesses zu erfassen, der bislang im Dunkeln lag“, sagt Rosa Einenkel, Erstautorin der Studie und Doktorandin an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie beschäftigt sich mit der Funktion und Struktur des bakteriellen Flagellums. „Zu sehen, wie einzelne Flagellin-Moleküle exakt gefaltet und in das wachsende Filament eingefügt werden, glich dem Entschlüsseln eines molekularen Balletts.“

Weitere Informationen

Publikation
Rosa Einenkel, Kailin Qin, Julia Schmidt, Natalie S. Al-Otaibi, Daniel Mann, Tina Drobnič, Eli J. Cohen, Nayim Gonzalez-Rodriguez, Jane Harrowell, Elena Shmakova, Morgan Beeby, Marc Erhardt, Julien R. C. Bergeron. The structure of the complete extracellular bacterial flagellum reveals the mechanism of flagellin incorporation. Nature Microbiology (2025) s41564-025-02037-0

Bild der bakteriellen Flagelle

Kontakt

Prof. Dr. Marc Erhardt
Institut für Biologie der Humboldt-Universität zu Berlin
Arbeitsgruppe Molekulare Mikrobiologie

Tel.: 030 2093-49780
X: x.com/Salmo_lab
marc.erhardt@hu-berlin.de

Rosa Einenkel
Institut für Biologie der Humboldt-Universität zu Berlin
Arbeitsgruppe Molekulare Mikrobiologie

Tel.: 030 2093-49693
einenkro@hu-berlin.de

Dr. Julien C. Bergeron
Randall Centre for Cell and Molecular Biophysikcs, Kings' College London

julien.bergeron@kcl.ac.uk