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„Wir müssen das unsichtbare Grundwasser sichtbar machen“

Im Interview erklärt die Hydrogeologin Dr. Theresa Frommen, was Grundwasser so besonders macht und gibt einen Einblick, wie Menschen in Berlin und im indischen Jaipur mit ihrem Grundwasser leben.
Dr. Theresa Frommen

Dr. Theresa Frommen, Foto: Kolja Bosch

Dreißig Prozent des gesamten Süßwassers auf der Erde besteht aus Grundwasser. Es ist die weltweit wichtigste Quelle für Trinkwasser. Und doch bleibt es für uns meist unsichtbar. Die Hydrogeologin Dr. Theresa Frommen erklärt, was Grundwasser so besonders macht und gibt einen Einblick, wie Menschen in Berlin und im indischen Jaipur mit ihrem Grundwasser leben.

Theresa Frommen studierte geologische Wissenschaften mit dem Schwerpunkt Hydrogeologie an der Freien Universität Berlin, der RWTH Aachen und der University of Manchester. Nach ihrem Masterabschluss promovierte sie am Institut für Geologische Wissenschaften der FU Berlin zu partizipativen Methoden in der Hydrogeologie. Seit September 2019 forscht sie am Integrativen Forschungsinstitut zu Transformationen von Mensch-Umwelt-Systemen (IRI THESys) an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Frau Frommen, was ist das Grundwasser eigentlich und warum ist es für uns so wichtig?

Theresa Frommen: Die offizielle Definition lautet: Grundwasser ist Wasser, das den Untergrund der Erde zusammenhängend ausfüllt und sich nur durch Schwerkraft bewegt. Es gibt je nach Geologie des Ortes Gesteins- und Erdschichten, die Regenwasser, das in die Erde versickert, aufnehmen können. Das können Hohlräume zwischen wasserdichten Gesteinsschichten sein oder Erdschichten, die porös sind und Wasser aufnehmen können. Unter Berlin gibt es zum Beispiel ganz viel Sand, das sich schon während der Eiszeit abgelagert hat und hier das Grundwasser sehr gut speichert. Das Besondere am Grundwasser ist auch, dass es im Vergleich zu Oberflächenwasser, besser geschützt ist vor Verschmutzung, Verdunstung und dem Einfluss der Menschen generell. In Deutschland basiert ungefähr zwei Drittel der Wasserversorgung auf Grundwasser, das wir mit Brunnen aus der Erde pumpen. In Berlin sogar das gesamte Nutzwasser.

Wir sehen, wie Flüsse über die Ufer treten oder austrocknen. Das Grundwasser bleibt jedoch unsichtbar. Können wir trotzdem nachvollziehen, wie sich das Grundwasser verändert?

Es gibt in Deutschland ein gutes und dichtes Messsystem für Grundwasser und Daten, die teilweise 150 Jahre zurückreichen, sodass wir einen guten Überblick über den Stand und die Entwicklungen des Grundwassers haben. Und wir sehen definitiv den Einfluss des Klimawandels. Nicht so sehr in den tieferen Grundwasserschichten, aber deutlich in den flacheren. In Berlin zum Beispiel befindet sich das Grundwasser an manchen Stellen nur zwei bis drei Meter unter der Oberfläche. Und da haben die trockenen Jahre 2018 bis 2020 – zeitlich verzögert – auch zu einem Absinken des Grundwasserspiegels geführt.

Doch auch vor dem Klimawandel haben Menschen den Grundwasserspiegel durch die Wassernutzung immer beeinflusst. In Berlin kann man das über die letzten 150 Jahre deutlich sehen. Der Grundwasserspiegel war immer mit der politischen und ökonomischen Geschichte verbunden. In Zeiten von Wirtschaftswachstum war der Grundwasserstand niedrig, weil einfach viel Wasser für die Industrie gebraucht wurde. Nach der Weltwirtschaftskrise 1929 ist der Grundwasserspiegel wieder deutlich gestiegen. Das ist eine spannende Beobachtung: Die Linie des Grundwasserstandes spiegelte auch immer die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt wider. Natürlich ist heute Berlin nicht mehr so industriell geprägt, sodass man das nicht mehr so sagen kann.

Sie haben die Grundwassernutzung in den ärmeren Vororten der indischen Stadt Jaipur erforscht. Wie steht es dort um das Grundwasser?

Jaipur liegt im Nordwesten von Indien und ist die Hauptstadt von Rajasthan, einem sehr trockenen und heißen Bundesstaat in Indien. Die Stadt liegt quasi am Rand der Wüste Thar. Allerdings liegt Jaipur auch im Monsungebiet, sodass der Regen normalerweise die dort vorhandenen Grundwasserreserven jedes Jahr neu auffüllt. Durch den Klimawandel ist der Monsun unvorhersehbar geworden und auch die Regenmenge ist gesunken. Zusammen mit einem starken Anstieg der Grundwasserförderung durch die Landwirtschaft und einem steigenden Bedarf durch die anwachsende Bevölkerung, hat es in den letzten Jahrzehnten eine extreme Absenkung des Grundwassers von ein bis zwei Metern pro Jahr gegeben.

Nun ist es so, dass es zwar eine öffentliche Wasserversorgung in der Stadt gibt, die das Wasser über einen 100 Kilometer entfernten Staudamm bezieht. Doch die ärmeren, teilweise informellen Siedlungen sind nicht an dieses Wassersystem angeschlossen. Die Menschen dort müssen illegal immer tiefere Brunnen bohren, um an Wasser zu kommen. Oder sie kaufen Wasser von privat betriebenen Wassertankwagen, die das Wasser ebenfalls unkontrolliert aus dem Grundwasser ziehen. Dieses Wasser ist außerdem recht salzig und eigentlich nicht zum Trinken geeignet. So entsteht die paradoxe Situation, dass die ärmere Bevölkerung mehr Zeit und Geld für Wasser aufwenden muss als die reichere, und dabei auch noch Wasser von schlechterer Qualität bekommt.

In einem sozio-hydrogeologischen Forschungsprojekt haben wir von 2016 bis 2018 zum Einen das Grundwasser in zwei ärmeren Vororten von Jaipur analysiert und zum Anderen untersucht, wie Menschen das Grundwasser nutzen und was sie darüber wissen. Dabei ist aufgefallen, dass viele Grundwasser fälschlicherweise als eine unendliche Ressource wahrnehmen und kaum Verständnis für hydrogeologischen Zusammenhänge haben – was übrigens auch in Deutschland nicht anders ist. Daher haben wir mit lokalen Partnerorganisationen versucht, die Bewohner:innen für das Problem zu sensibilisieren und ein partizipatives Grundwassermanagement zu entwickeln.

Das ist auch ein wichtiger Schwerpunkt meiner Forschung: In Zeiten von Klimawandel, Umweltverschmutzung und Bevölkerungswachstum müssen wir naturwissenschaftlich geprägten Hydrolog:innen auch die Menschen, die das Grundwasser nutzen, stärker in unsere Forschung einbeziehen. Denn, um das Grundwasser schützen zu können, müssen wir verstehen, wie und warum Menschen es nutzen. Und gleichzeitig den Menschen besser die hydrogeologischen Zusammenhänge erklären – das unsichtbare Grundwasser also sichtbar machen.

Die Fragen stellte Artur Krutsch.

Open Humboldt Festival 2022

„Wasser“ ist eines der Themen, die auf dem diesjährigen Open Humboldt Festival der Humboldt-Universität im Fokus stehen.

  • Der Workshop „Ich sehe Was(ser), was du nicht siehst“ am 29. Juni um 17 Uhr macht  den versteckten Wasserverbrauch sichtbar. Dr. Theresa Frommen und Prof. Dr. Dieter Gerten erklären im Workshop, welche Auswirkungen unser Lebensstil auf die Wasserprobleme der Erde hat. Die Teilnehmer:innen ermitteln im Workshop den Wasserverbrauch für die Produktion verschiedener Produkte und bestimmen ihren eigenen „Wasserfußabdruck“.
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  • Prof. Dr. Dieter Gerten hält am 29. Juni 2022 um 18 Uhr die KOSMOS-Lesung „Wasserkrise in der Klimakrise – was nun?“. Wassermangel, Dürren und Überschwemmungen, Wasserverschmutzung und Wasserkonflikte – die Wasserkrise auf dem „blauen Planeten“ hat sich verschärft. Prof. Gerten zeigt Ursachen und Lösungsmöglichkeiten auf und hält ein Plädoyer für eine neue Wasserethik.
    Zur Anmeldung
  • Über „Kleine Flüsse, große Fluten“ spricht der Autor Norbert Scheuer in der Mosse Lecture am 30. Juni 2022, um 19.15 Uhr. Davor lädt um 16.30 Uhr Tobias Krüger gemeinsam mit dem Journalisten und Literaturkritiker Lothar Müller zu einem Spaziergang entlang der Panke und der Spree ein, um die Berliner Flüsse sowohl aus hydrologischer als auch aus literarischer Sicht besser kennenzulernen.