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Wie das gute Leben an Flüssen gelingen kann

Dr. Tobias Krüger, Professor für Hydrologie und Gesellschaft am Geographischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin, spricht im Interview über das Leben an und mit Flüssen

Flüsse zogen uns Menschen schon immer an. Viele Orte wurden an Flüssen gegründet, wir nutzen Flüsse für unsere Wirtschaft und erleben sie als Naturorte. Gleichzeitig können Flüsse über Ufer treten und zu Katastrophen führen, wie zuletzt im Ahrtal 2021.

Über das Leben an und mit Flüssen spricht Dr. Tobias Krüger, Professor für Hydrologie und Gesellschaft am Geographischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin. Er studierte Geoökologie an der Technischen Universität Braunschweig, promovierte in Umweltwissenschaften an der Lancaster University und forschte an der University of East Anglia. Am integratives Forschungsinstitut zu Transformationen von Mensch-Umwelt-Systemen (IRI THESys) forscht Tobias Krüger an der Schnittstelle von Hydrologie und Sozialwissenschaften.

Mit Begradigungen, Staudämmen und Schleusen schienen Flüsse kontrollierbar zu sein. Doch die Überflutungen in NRW, wo die kleinen Flüsse Ahr und Erft über die Ufer traten zu Hochwasserkatastrophen, haben gezeigt welche Gefahr noch immer von Flüssen ausgehen kann. Haben wir uns in einer falschen Sicherheit gewogen?

Tobias Krüger steht auf dem Campus Nord vor dem Gerlachbau

Prof. Dr. Tobias Krüger, Foto: Julia Baier 

Tobias Krüger: Solche Extremereignisse waren nie unmöglich und es hat sie natürlich auch schon gegeben. Allerdings sind – oder waren – sie extrem selten, weshalb es auch den Begriff Jahrhunderthochwasser gibt, das ein Hochwasser beschreibt, dass statistisch nur ein Mal alle hundert Jahre auftritt. Daher hat man solche extremen Hochwasser nicht auf dem Schirm gehabt und die Gefahr der Flüsse tatsächlich unterschätzt. Nun ist es so, dass mit dem Klimawandel solche Ereignisse nun häufiger vorkommen, sodass es nun noch wichtiger wird, sich mit dem Leben an Flüssen auseinanderzusetzen.

Also sollten die Häuser im Ahrtal nicht an der gleichen Stelle wieder aufgebaut werden?

Man sollte auf jeden Fall extreme Szenarien stärker einkalkulieren, als es bisher getan wurde und zum Beispiel Bebauungspläne  anpassen. Wichtig ist auch, dass wissenschaftliche Erkenntnisse besser und schneller bei Entscheidungsträgern und Behörden ankommen. Das gilt nicht nur für den Umgang mit den durch den Klimawandel erhöhten Risiken. Auch bei der kurzfristigen Kommunikation des Hochwassers 2021 hat es zwischen Wissenschaft und Behörden extrem gehakt, wie die Hydrologin Hannah Cloke es in der Mosse Lecture eindrücklich erklärt hat. Aus dem europäischen Hochwasser-Frühwarnsystem EFAS, das sie mitentwickelt hat, kam bereits mehrere Tage vor dem Hochwasser die Warnung, dass im Ahrtal ein extremes Hochwasserereignis bevorsteht. Doch hat die Kommunikationskette nicht funktioniert und die Informationen haben leider nicht dazu geführt, dass Menschen evakuiert wurden. Ich denke, dass die wissenschaftlichen Modelle sowohl für langfristige Risiken als auch für die kurzfristigen Hochwasservorhersagen gut sind, doch wir müssen definitiv noch an der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Entscheidungsträgern arbeiten.

Unabhängig von der Hochwasserproblematik: Wie gehen wir mit Flüssen um?

Flüsse werden in Deutschland von Menschen genutzt und geformt. Schiffe transportieren Waren auf Flüssen, die Industrie nutzt Flusswasser zur Kühlung, die Landwirtschaft für die Bewässerung. Gleichzeitig verschmutzen wir die Flüsse und verändern ihre Ökologie. Durch die Landwirtschaft kommt Düngemittel in die Flüsse und durch Schleusen und Dämme verringern wir die Fließgeschwindigkeit. In Berlin haben wir zum Beispiel das Problem, dass bei starkem Regen die Kapazität der Abwasserkanäle nicht ausreicht und Abwasser zusammen mit Regenwasser ungeklärt in die Spree fließt. Das ist übrigens auch der Grund, warum man in der Spree nicht schwimmen kann. Ganz verhindern sollten wir die Nutzung von Flüssen natürlich nicht, aber es gibt einige Maßnahmen und Stellschrauben, um die Ökologie der Flüsse zu erhalten. Schließlich sind Flüsse und Auen wichtiger Lebensraum für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten. Landwirte könnten die landwirtschaftliche Nutzung von Ufergebieten einschränken und dafür Entschädigungen erhalten. In Berlin werden jetzt beispielsweise auch Tanks als Zwischenspeicher für Abwasser bei starkem Regen getestet. Wieviel uns das wert ist, ist ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess.

Lohnt sich der Aufwand, Flüsse auch weiterhin stärker zu renaturieren und zu schützen?

Ich denke schon. Flüsse als Naturorte, als Naherholungsgebiete und auch als Badegewässer erhöhen die Lebensqualität enorm – besonders auch in Städten! Denken Sie zum Beispiel an das beliebte Basler Rheinschwimmen. Daher finde ich auch die Initiative, im Zentrum Berlins ein Flussbad einzurichten, gut und richtig. Gleichzeitig sollten wir aber auch die Arbeit, die am und mit dem Fluss passiert würdigen und uns bewusst werden, dass unsere Wirtschaft auch von Flüssen abhängt – sei es für Transport, Kühlung von Industrie oder Energiegewinnung. Und am Ende verringern naturnahe Flüsse und mit natürlichen Überschwemmungsgebieten das Hochwasserrisiko und verhindern so mögliche weitere Katastrophen.

Das Interview führte Artur Krutsch.