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„Objekt des Monats“: das Lise-Meitner-Denkmal von Anna Franziska Schwarzbach

In der Serie „Objekt des Monats“ begeben wir uns auf den HU-Campus, schauen auf Skulpturen und Denkmäler, stöbern in Magazinen und Schränken und stellen besonders schöne und interessante Objekte der Kunstsammlung und der wissenschaftlichen Universitätssammlungen im monatlichen Rhythmus vor. Mit im Fokus stehen dabei die Künstler:innen, die diese Werke geschaffen haben, die Forscherpersönlichkeiten, die mit den Objekten in Verbindung stehen und die Nutzung in Forschung und Lehre.
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Das Lise-Meitner-Denkmal von
Anna Franziska Schwarzbach.
Foto: Matthias Heyde

 

Seit 2014 blickt Lise Meitner nun in Richtung Unter den Linden, auf der anderen Seite des Ehrenhofes des Hauptgebäudes sind ihr Theodor Mommsen und Max Planck zugewandt. Das Denkmal für Hermann von Helmholtz vervollständigt die historische Reihe, die sowohl zeitge-schichtlich als auch ästhetisch durch Lise Meitners Repräsentation aufgebrochen und weitergeführt wird – nicht mehr überlebensgroß und in raumgreifender Pose, sondern zurückgenommen und asymmetrisch auf den Sockel gesetzt. Das Bronzedenkmal für Lise Meitner (1878-1968) ist das jüngste im Ehrenhof der Universität und ehrt als bisher einziges eine Wissenschaftleri

Lise Meitner (1878-1968) vereint viele Besonderheiten in ihrer wissenschaftlichen Biographie: als zweite Frau wurde sie 1906 an der Universität Wien in Physik promoviert, 1913 wurde sie als erste Frau Wissenschaftliches Mitglied der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, bei Max Planck war sie als erste Frau Assistentin, 1922 habilitierte sie sich als erste Physikerin Preußens an der Berliner Universität und wurde schließlich 1926 als erste außerordentliche Professorin für experimentelle Kernphysik berufen. Dass sie dabei die Arbeit mit den Studierenden sehr ernst nahm, beschreibt sie rückblickend selbst als „eine große menschliche Verantwortung für unsere jungen Mitarbeiter …, mit denen wir den ganzen Tag zusammen sind und für deren menschliche Gesamtentwicklung alles, was wir tun und sagen, Einfluß haben kann“.

Kernkraft für friedliche Nutzung

Bereits vor ihrer theoretischen Deutung der Kernspaltung 1939 erhielt sie die erste von insgesamt vier Nominierungen für den Nobelpreis 1919 – den Nobelpreis selbst bekam sie allerdings nicht. Diese Ehre wurde Otto Hahn 1945 zuteil, mit dem Lise Meitner Jahrzehnte gemeinsam arbeitete und forschte – und den sie selbstbewusst neckend zuweilen als „Hähnchen“ bezeichnete. Der Fachwelt wurde sie früh bekannt, sie lernte Marie Curie und Albert Einstein persönlich kennen. Durch das 1933 erlassene NS-Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums wurde sie als Jüdin gezwungen, ihre wissenschaftliche Arbeit aufzugeben. 1938 konnte sie nach Schweden emigrieren. Dort hatte sie von 1947 bis 1960 die Forschungsprofessur und Leitung der Kernphysikalischen Abteilung an der Technischen Hochschule Stockholm inne. Nicht dem Bau der Atombombe, sondern der friedlichen Nutzung der Kernenergie verschrieb sie sich fortan. Nach ihrer Emeritierung 1960 übersiedelte sie nach Cambridge, wo sie acht Jahre später, vielfach international geehrt und ausgezeichnet, verstarb.

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Die Berliner Bildhauerin Anna Franziska
Schwarzbach konnte sich im europäischen
Kunstwettbewerb mit ihrem Entwurf für das
Lise Meitner-Denkmal durchsetzen.
Foto: Matthias Heyde

 

Denkmal mit Unterschrift, Kernreaktion und Berechnung

Die Berliner Bildhauerin Anna Franziska Schwarzbach konnte sich im europäischen Kunstwettbewerb mit ihrem Entwurf für das Lise Meitner-Denkmal durchsetzen. Der Aufstellungsort besetzt zudem fast die Stelle, an der ehemals das Denkmal für Heinrich von Treitschke stand – dem Historiker, der mit seinem Satz „Die Juden sind unser Unglück“ den Berliner Antisemitismusstreit ausgelöst hat und dessen Denkmal nach seiner Versetzung durch die Nationalsozialisten 1951 endgültig entfernt wurde.

Schwarzbach kontrastiert das Verhältnis von Figur und Sockel: Auf der Bodenplatte liegt ein Sockel mit verschiedenen Einschnitten und Rissen, die assoziativ mit den Brüchen in Meitners Biographie verbunden sind. Die porträtähnliche Figur selbst steht etwas abseits, zugleich zart und klein und herausragend, sie repräsentiert ebenso Marginalisierung wie Verdienste. Auf der Vorderseite des Sockels ist die Unterschrift Lise Meitners angebracht, auf der glatten linken Seitenfläche eine Zeichnung der Kernreaktion und Fragmente einer Berechnung. Somit sind auch die Attribute auf den Sockel gewandert und nicht der Figur beigegeben. Als dekorativ, weiblichen Stereotypen folgend und ohne Irritationspotentiale als Anstoß zum Nachdenken kritisiert, ist das Denkmal dem stimmigen Erscheinungsbild des Ehrenhofes untergeordnet. Auf dem alltäglichen Gang ins Hauptgebäude der Universität stimmt das Lise Meitner-Denkmal dennoch deutsche Geschichte, Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte ebenso an wie Fragen der Gleichberechtigung – ob es ein Anachronismus ist, sollte jede:r selbst entscheiden.

Autorin: Christina Kuhli, Kustodin der HU