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„Es ist Zeit für einen Generationswechsel“

Für den Vorsitz der Kommission „Barrierefreie Hochschule“ des Akademischen Senats wird ein*e Nachfolger*in von Jochen Ley gesucht. Sie oder er sollte Zeit, Durchhaltevermögen und positive Energie mitbringen.
Alternativtext

Jochen Ley, Foto: Stefan Klenke

Ein*e Vorsitzende*r wird gesucht. Sie oder er sollte Zeit, Durchhaltevermögen und positive Energie mitbringen. Es geht um den Vorsitz der Kommission „Barrierefreie Hochschule“ des Akademischen Senats. Den hat seit Juli 2021 Jochen Ley inne, aber Ende März wird er sich von dieser Position verabschieden. „Es ist Zeit für einen Generationswechsel“, sagt der Leiter der Allgemeinen Studienberatung und -information, der sich lange für die Belange Studierender mit Beeinträchtigungen eingesetzt hat.

An der HU studieren etwa 5500 Studierende mit Beeinträchtigung. Die Zahl ist eine Schätzung, sie basiert auf einer Hochrechnung der 22. Sozialerhebung, denn Beeinträchtigungen werden nicht statistisch erfasst. Niemand ist gezwungen, seine Behinderung offenzulegen, wenn er*sie nicht möchte. Die Arten von Beeinträchtigungen sind vielfältig: Sie können Sehen, Hören, Körper, Kognition und Psyche betreffen. Dieses Jahr setzt die HU einen Fokus auf das Thema Barrierefreiheit und wird zentrale Aktivitäten zum Abbau von Barrieren intensivieren sowie verstärkt über das Thema informieren. Ziel ist, dass Humboldtianer:innen physische Barrieren per Mail an barrieren.melden@hu-berlin.de schreiben. 

Konzept zur Barrierefreiheit liegt vor

Auch wenn die Universität noch nicht da ist, wo Ley sie gerne in punkto Barrierefreiheit sehen würde, so hat sich doch einiges getan im vergangenen Jahrzehnt. 2019 wurde eine unbefristete halbe Stelle „Beauftragte für behinderte Studentinnen und Studenten“ eingerichtet. Hier erhalten Studierende online, telefonisch, per E-Mail und in Präsenz Rat zu Nachteilsausgleich und Inklusionsleistungen. Ein 33-seitiges Konzept von der Kommission „Barrierefreie Hochschule“ aus dem Jahr 2016, damals unter dem Vorsitz des Chemikers Georg Kubsch, liegt immer noch in der Schublade bereit und hat nichts an Aktualität verloren. „Das Konzept war seinerzeit Thema im Akademischen Senat, leider wurden nur Ideen umgesetzt, die kein Geld kosteten“, erinnert sich Ley, der auch damals ständiger Gast der Kommission war. 

Ein Meilenstein: das Inklusionsverständnis

Was ihm im Universitätsalltag positiv auffällt: „Barrierefreiheit erhält beim Bauen und Sanieren eine viel höhere Aufmerksamkeit als früher. Unsere Bauleiter*innen denken das Thema mit.“ Ley würde sich eine Fahrspur für Rollstuhlfahrer*innen wünschen, die über das Kopfsteinpflaster zum Hauptgebäude führt – vor wie hinter dem Gebäude. Das erfordert allerdings Investitionen und die Auseinandersetzung mit dem Berliner Denkmalamt. Ein weiterer Meilenstein: Das Inklusionsverständnis der HU, das 2022 ebenfalls von der Kommission erarbeitet wurde und weit über Barrierefreiheit hinausgeht. „Ziel aller Maßnahmen im Sinne der Inklusion ist es, eine nachhaltige Inklusions- und Diversitätskultur zu schaffen, die vollumfassende und gleichberechtigte Teilhabe und individuelle Entwicklung ermöglichen“, heißt es dort an einer Stelle. 

„Wie bekommen wir es hin, dass es funktioniert?“

Ley, der einen Magister in Geschichte an der Technischen Universität Berlin gemacht hat, arbeitet auch als Lehrbeauftragter am Institut für Geschichtswissenschaften der HU. Er hält Seminare zu Persönlichkeiten der römischen Antike ab. „Im Vorfeld jeder Veranstaltung frage ich die Teilnehmenden per Mail, ob sie spezielle Bedarfe in punkto Barrierefreiheit haben.“ Er wünscht sich, dass auch andere Lehrende das machen, um Probleme vor Beginn der Veranstaltungen lösen zu können und sie in AGNES zu melden. Stichwort „Awareness“. Leys Leitfrage ist: „Wie bekommen wir es hin, dass es funktioniert?“ Er greift auch mal über den kurzen Dienstweg für einen Lehrenden zum Telefonhörer, um einen Raum zu verlegen, damit ein Rollstuhlfahrer teilhaben kann. Er schreibt an das Ordnungsamt, wenn E-Scooter eine Gehwegabsenkung vor dem Hauptgebäude der Universität blockieren. „Es ist das Fundamentalste, dass Menschen dort hinkommen, wo sie hinwollen und dabei nicht zu Bittsteller*innen werden müssen. Das ist sonst demütigend“, unterstreicht Ley. 

Kommunikation ist das A und O  

Seinen ersten Brief in Sachen Barrierefreiheit hat er noch als Student in Nordrhein-Westfalen an die Deutsche Bahn geschrieben als ein gehbehinderter Kommilitone ohne Hilfe von Bahnbediensteten aus dem Zug kommen musste. „Es war Bahnsteigschluss und keiner fühlte sich zuständig.“ Regeln vor Menschen zu stellen, findet er absurd. Kommunikation steht für ihn an erster Stelle. Er spricht aus Erfahrung, wenn er sagt: „Situationen eskalieren in der Regel nur dann, wenn Menschen nicht miteinander reden.“ 

Wunsch: barrierefreier digitaler Zugang zur HU

Seit vergangenem Jahr ist die Website der Studienabteilung der HU endlich barrierefreier. Möglich gemacht hat es Geld, dass die HU vom Berliner Senat für Digitalisierung in Lehre, Studium und Verwaltung erhalten hat. Finanziert wurden auch Schulungen zur Barrierefreiheit, Schriftdolmetscher*innen für zentrale Veranstaltungen, Amberscript, eine Software, die Audio- und Videoinhalte in Text umwandelt. Anlass zur Freude. Aber Jochen Ley ist müde geworden, sein Blick richtet sich viel öfter auf die Dinge, die nicht funktionieren als auf die, die funktionieren. „Ich kann nicht durch Berlin gehen, ohne Barrieren zu sehen“, meint er. Und davon gibt es auch noch viel zu viele an der HU. Neben den bereits erwähnten besseren physischen Zugängen wünscht sich Ley generell mehr Aufmerksamkeit für das Thema bei allen Mitgliedern der HU . Und was auch dringend nötig ist:  eine barriefreier digitaler Zugang zur HU, eine komplett barrierefreie Website. Jochen Ley verabschiedet sich bald von der Kommission und auch vom Thema Barrierefreiheit. Vielleicht nur in eine längere Pause. Das wird die Zeit zeigen.

Autorin: Ljiljana Nikolic

Wenn Ihnen physische Barrieren auffallen, schreiben Sie bitte an: barrieren.melden@hu-berlin.de