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Forschen in Zeiten von Corona

Wie der Alltag an der Humboldt-Universität langsam wieder hochfährt

"Drei Fragen – Drei Antworten" mit Prof. Dr. Barbara Schlieben, Geschäftsführende Direktorin
des Instituts für Geschichte an der Humboldt-Universität

Der Quantenphysiker Arno Rauschenbeutel bewegt sich in der Welt von Atomen, Elektronen und Molekülen. Er forscht an Glasfasern, die 100-mal dünner als das menschliche Haar sind, um quantenoptische Prozesse im Nanobereich zu verstehen. Dazu setzt er Laserexperimente ein. Als der Präsenznotbetrieb an den Berliner Universitäten begann, musste er zusammen mit seiner 17-köpfigen Arbeitsgruppe fast alle diese Versuche langsam runterfahren. „Wir konnten nur einen von fünf Versuchen aus dem Homeoffice weiterführen und mit Hilfe des Computers und einer Webcam überwachen und steuern, alle anderen müssen teilweise manuell reguliert werden“, sagt der Physiker, der vor zwei Jahren mit einer Alexander von Humboldt-Professur von Wien an die Humboldt-Universität zu Berlin (HU) wechselte. Da seit einer Woche der Forschungsbetrieb an der HU wieder langsam hochgefahren wird, kann Rauschenbeutel auch die Versuche am Institut für Physik allmählich wieder in Gang setzen.

Aber Arno Rauschenbeutel ist deswegen noch nicht in Feierlaune. „Die bekannten Hygienemaßnahmen müssen eingehalten werden. Wir werden im Schichtbetrieb arbeiten, jeweils nur ein Drittel des Teams wird anwesend sein, ein Mensch pro Büro, maximal zwei pro Labor sind erlaubt.“ Das mindere die Effizienz der Arbeit sehr stark, aber es ist nicht das einzige Problem. „Es findet keine zwanglose Kommunikation mehr statt, das macht mir große Sorgen, uns fehlt der Kontakt an der Kaffeemaschine.“ Was sich im ersten Moment wie ein Luxusproblem anhören mag, ist in der naturwissenschaftlichen Forschung das A und O, der spontane fachliche Austausch beim Mittagessen, auf dem Flur oder im Büro des Gruppenleiters. „Diesen direkten Kontakt kann ein Zoom-Meeting nicht ersetzen.“

Lebende Organismen kann man nicht im Homeoffice erforschen

Benedikt Beckmann, Molekularbiologe und Arbeitsgruppenleiter für molekulare Infektionsbiologie am IRI Life Sciences, ist erleichtert über die schrittweise Rückkehr ins Labor. Dort untersuchen er und sein Team normalerweise RNA-Protein-Interaktionen – und zwar in Salmonelleninfektionen. Not macht jedoch erfinderisch: Beckmann überträgt seine Methoden zur Erforschung von Bakterieninfektionen nun auf die Erforschung von SARS-CoV-2, einem RNA-Virus, um zu verstehen, wie die Proteine einer infizierten Zelle mit dem Coronavirus-Genom interagieren.
 

"Drei Fragen – Drei Antworten" mit Dr. Benedikt Beckmann, IRI Life Sciences an der
Humboldt-Universität

„Eine Tagung lebt von persönlichen Kontakten“

Der Sozial- und Wirtschaftshistoriker Alexander Nützenadel ist als Geisteswissenschaftler auf kein Labor angewiesen, Dokumente und Publikationen, die er braucht, hatte er auf dem Computer parat oder konnte sie im elektronischen Bestand von Bibliotheken bestellen. „Für mich war der Präsenznotbetrieb nicht so dramatisch. Ich konnte Manuskripte fertigstellen.“ Eine Enttäuschung gab es aber schon. „Ich habe im Sommersemester ein Forschungsfreisemester, ein Aufenthalt an der Sciences Po Paris war geplant. Den musste ich auf das nächstes Jahr verschieben.“

Nützenadel forscht über historische Finanzkrisen, arbeitet zurzeit in einem Projekt über die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise der 1930er und der Finanzkrise von 2008. In dieser Hinsicht sind auch die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie für ihn von Interesse. „In schwierigen Situationen greift der Staat auf Instrumente aus der Vergangenheit zurück, um aktuelle Probleme zu lösen oder Maßnahmen zu begründen, das kann man jetzt wieder beobachten, der Staat setzt Hilfsmaßnahmen für bestimmte Branchen ein – ähnlich wie in der Krise 2008.“
 

"Drei Fragen – Drei Antworten" mit Prof. Dr. Silvy Chakkalakal, Institut für
Europäische Ethnologie an der Humboldt-Universität
 

Nützenadel ist überzeugt davon, dass die Corona-Krise einen Innovationsschub für Forschung und Lehre zur Folge haben wird. „Ich bin optimistisch, dass wir Videokonferenzen in manchen Bereichen weiterhin beibehalten werden. Man muss nicht zu jedem Herausgebertreffen hinfliegen, das schlägt sich positiv auf Klimawandel und Zeitbudget nieder.“ Auch in der Kommission Forschung und wissenschaftlicher Nachwuchs – einer Kommission des Akademischen Senats der HU - , deren Vorsitzender Nützenadel ist, wurde erfolgreich per Zoom getagt. Schwierig wird es allerdings beim Thema Konferenzen. Der Historiker ist Sprecher des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Schwerpunktprogramms „Erfahrung und Erwartung. Historische Grundlagen ökonomischen Handelns“ mit 16 Projekten. Hier mussten Veranstaltungen abgesagt oder verschoben werden. „Eine Tagung lebt von persönlichen Kontakten“, unterstreicht er.

Erforschung des Corona-Virus im Verbund

Den Biophysiker Andreas Herrmann interessiert das Corona-Virus SARS-CoV-2 von fachlicher Seite. Als Virenforscher ist die jetzige Zeit für ihn extrem spannend. Kürzlich, während des Shutdowns, ist eine Publikation erschienen, in der es um einen Inhibitor, einen Hemmstoff, mit dem Namen „Phagen-Kapsid“ geht, den er zusammen mit anderen Berliner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern entwickelt hat. Er macht Influenzaviren im Labor unschädlich und gibt Hoffnung auf neue Therapien gegen Influenza und Vogelgrippe.
 

"Drei Fragen – Drei Antworten" mit Prof. Dr. Arno Rauschenbeutel, Institut für Physik an der
Humboldt-Universität

An dieser Stelle geht seine Forschung nahtlos weiter. „Genau dieses Konzept möchten wir auch auf das Corona-Virus hin erforschen“, sagt Herrmann, der Mitglied der Forschergruppe
„Corona Virus Pre Exploration Projekt“ ist, an der unter anderem Christian Drosten von der Charité und Christian Hackenberger von der HU / Leibniz-Forschungsinstituts für Molekulare Pharmakologie beteiligt sind und das von der Berlin University Alliance gefördert wird. Dabei geht es unter anderem um ein Spikeprotein, das sich auf der Oberfläche eines Virus befindet und, mit dem es an Zellen andockt, um in das Innere von Zellen einzudringen. „Ziel ist es, einen Wirkstoff zu entwickelt, der diese Bindung von Coronaviren an die Wirtszellen in den Atemwegen und somit deren Infektion verhindert.“ Auch wenn Herrmann die Zeit des Shutdowns mit dem Schreiben von Publikationen und Gutachten gefüllt hat, ist er froh, endlich wieder ins Labor gehen zu dürfen, um das Bindungsverhalten der Viren in der frühen Infektionsphase zu erforschen. Angst vor Coronaviren aus dem Labor hat er nicht, die Experimente am Institut für Biologie werden mit Pseudoviren durchgeführt, die nicht infektiös sind.

Autorin: Ljiljana Nikolic

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