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Ramadan in Corona-Zeiten: „Fasten tut man für sich und Gott, aber ohne die Gemeinschaft fehlt manchen der Sinn“

Interview mit Dr. Ayşe Almıla Akca, Leiterin der Nachwunschforschungsgruppe II am Berliner Institut für Islamische Theologie
Dr. Ayşe Almıla Akca

Ayşe Almıla Akca, Foto: Matthias Heyde

Frau Akca, in Ihrem Forschungsprojekt „Islamische Feiern, umweltethisches Handeln und Soziale Arbeit“ geht es u.a. um den Monat Ramadan. Inwiefern ist der muslimische Fastenmonat dazu geeignet, die drei Begriffe in Ihrem Forschungsvorhaben zusammen zu bringen?

Akca: Der Fastenmonat Ramadan ist diejenige Zeit, die für Muslim:innen besondere Möglichkeiten für dezidiert religionspraktisches Handeln wie Fasten, Beten, Koranlesungen oder Spenden bietet, das gemeinschaftliche und soziale Handeln fördert sowie recht viele Gelegenheiten für Feierlichkeiten vorsieht.

Nicht nur der Abschluss des Ramadans mit dem ʿĪd al-Fiṭr bzw. dem Ramadanfest gehört zu den religiösen Feiern des Ramadans, sondern auch die gegen Ende begangene Nacht der Offenbarung (Laylat al-Qadr), in der die erste göttliche Offenbarung an den Propheten gefeiert wird. Im Ramadan beginnt das Feierliche bereits beim täglichen Iftar, dem Fastenbrechen am Abend, und den anschließenden freiwilligen Ramadan-Gebetseinheiten in der Gemeinde, die von schnell über sehr spirituell bis ästhetisch ansprechend begangen werden können.

Zum Iftar einzuladen begünstigt Vergemeinschaftung im privaten wie auch im institutionellen Rahmen: beispielsweise bieten Muslim:innen in Moscheen kostenlose Iftars an oder man kann besondere Gebets- und Lerneinheiten besuchen. Schließlich gibt es auch die normative Vorstellung, dass man im Ramadan von seinem Vermögen spendet, Geld wie auch Essen. Umweltethisches Handeln ist oft von Verzicht und bewusstem Umgang mit Ressourcen geprägt; Werte, die gerade in der Fastenzeit auch nochmal stark ins Bewusstsein geholt werden können.  In meinen Feldforschungen habe ich entdeckt, dass sich das Fasten nicht nur auf die klassischen Fastenmomente wie Essen und Trinken beziehen kann, sondern auch auf solche Dinge, die als nicht unbedingt notwendig wahrgenommen werden wie z.B. Süßigkeiten, Plastik, Autofahren, soziale Medien. Doch auch Essenspraktiken können sich an solchen Werten orientieren, wenn beispielsweise einfache Speisen zubereitet werden, besonders darauf geachtet wird, kein Essen wegzuschmeißen oder fair gewonnene Zutaten verwendet werden. Mit geht es in meiner Forschung um diese und andere religiösen Praxen, besonders im Ramadan, womit mehr über die gelebten Werte und Normen des Islamischen ausgesagt werden kann, was wiederum relevant für das theologische Nachdenken ist.

Dieses Jahr ist der Ramadan zum zweiten Mal geprägt durch die Vorgaben der Pandemie - religiöse Praxen der Muslim:innen erfahren viele Einschränkungen, da das gemeinsame Feiern über den eigenen Haushalt hinaus fast unmöglich ist. Ist davon auch Ihre Forschung beeinflusst?

Akca: Ja, ganz richtig, die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie beeinflussen nun zum zweiten Mal ganz erheblich die sozialen und kollektiven Komponenten des Fastenmonats und auch meine forschende Haltung. Anstelle von intensiver teilnehmender Beobachtung muss ich auf Interviews und Gespräche über die Praxis im Ramadan ausweichen und vermehrt Daten aus der digitalen Welt sammeln und auswerten. Damit ändern sich auch meine Auswertungsziele. Hatte ich vorher das alltägliche und meist nicht vollkommen bewusste und rationalisierte Tun der Menschen im Blick, frage ich jetzt danach, wie in den verbalen Äußerungen im Interview oder in Gesprächen sowie in digitalen Posts die eigene Praxis im Ramadan repräsentiert und reflektiert wird. Es geht also viel stärker um die geäußerten Haltungen, Motivationen und Sinnzuschreibungen als um die von statten gehenden Handlungen und die zugrunde liegende Logik. Zum Glück kann ich auf mehrere Jahre Feldforschung in muslimischen Milieus zurückblicken, so dass ich frühere Ramadan-Beobachtungen mit heutigen, unter Pandemie-Bedingungen entstandenen, Daten in Beziehung setzen kann.

Beobachten Sie unter Muslim:innen, die den Ramadan begehen, neue Formen religiöser Praxen durch die Pandemie?

Akca: Auch solche Praxen, die als ganz neu erlebt oder so präsentiert werden, sind in der Regel mehr oder weniger an bekannte gebunden. Ihr Neusein verdankt sich eher ihrer Affirmation in einem neuen Umfeld, neuen Sinnzusammenhang oder einfach nur ihrem Transfer von der Marginalität ins Zentrum. Die starke Verlagerung der gesamten sozialen Praxis ins Digitale ist beispielsweise so eine Bewegung. An der können diejenigen partizipieren, die über das technische Know-how und den Willen verfügen, und das sind doch recht viele. Der virtuelle Austausch wird im Ramadan noch mal stärker als gemeinschaftsstiftend wahrgenommen. War vor der Pandemie „Facebook-Fasten“ oder ähnliches ein Trend unter vielbeschäftigten Muslim;innen, die mit diesem Verzicht, eine entschleunigte Besinnlichkeit im Ramadan erleben wollten, beobachte ich dies in diesem Jahr so gut wie nicht. Ganz im Gegenteil scheinen die digitalen Hilfsmittel zur Kommunikation und zum Austausch noch mal stärker im Ramadan genutzt zu werden. Vieles, was sonst in der physischen Gemeinschaft begangen wurde, wie beispielsweise Koranlesungen oder gemeinsame Bittgebete, werden nun über Zoom abgehalten. Manche halten zum Iftar ihre Video-Telefonate offen, um doch ein gemeinschaftliches Fastenbrechen zu ermöglichen.

Leider ist es für Forschende unter den Bedingungen der Kontaktbeschränkungen kaum möglich, im Privaten zu forschen. Was Muslim;innen in ihren jeweiligen privaten Bereichen, mit oder ohne digitale Medien, unter Pandemie-Bedingungen an neuen religiösen Praxen entwickelt haben, ist nicht so klar zu beantworten. Ich sehe beispielsweise, dass bei fast allen Muslim:innen, die ich befragt habe, die Absenz von physischer Gemeinschaft bzw. Geselligkeit im Ramadan als unpassend betrachtet wird. Klar, Fasten, das tut man allein, nur für sich (und Gott). Aber ohne die sozialen Komponenten scheint das Fasten bei einigen den persönlichen Sinn nicht ganz zu treffen. Bei anderen ist dagegen ein sehr bewusstes Ramadan-Erleben in den Fokus gerückt, mit durchstrukturierten Tages- und Wochenplänen zu Essen, Gebeten, Erwerb von Wissen über die Religion u.a. Hier ist auch interessant, wie manche verstärkt auf spirituelle Praktiken, wie eigene Koranlesung und Meditation ,zurückgreifen. Ein Trend der letzten Jahre ist auch, dass vor und im Ramadan vermehrt Angebote vorhanden sind, die sich der Reflexion über den eigenen Körper, das eigene Verhalten und über die eigene muslimische Identität widmen. Ohne das Gesellige im Ramadan scheint für manche mehr Raum und Zeit für die Bewusstwerdung der religiösen Gefühle, gerade im Ramadan, möglich zu sein. Zwei Jahre Kontaktbeschränkungen haben ausgereicht, diesen Trend zu verstärken. Ob sich daraus neue Traditionen religiöser Praxis etablieren ist noch offen.

Mit welchen Gefühlen stellen sich Muslim:innen Ihrer Beobachtung nach auf die gegenwärtige Situation ein?

Akca: Ich sehe zum einen die Sehnsucht nach den alten, bekannten Modellen, die einem ja quasi eingeschrieben sind. Sie machen den Sinn und die Freude des Ramadans durch die alljährliche Wiederholung greifbar. Diese Sehnsucht betrifft insbesondere Menschen, die den Ramadan sonst nicht allein, sondern in irgendeiner physischen Gemeinschaft erleben, Familie, Gemeinde, Freund:innen, Nachbar:innen. Seien es nun Iftar-Einladungen, die den sozialen Zusammenhalt stärken, seien es fürsorgliche Taten, die als Gruppe initiiert werden, seien es gemeinsame Gebetseinheiten oder einfach nur der Austausch über das eigene Befinden im Ramadan - all dies fällt weg oder wird höchst sparsam gelebt. Gepaart mit 14 Monaten Social Distancing ist es wohl für viele schwer, auch noch im geselligen Ramadan-Monat auf Kontakte im allgemeinen und gemeinsames religiöses Erleben und Essen zu verzichten. Für manche ist das Fasten im Homeoffice schwerer.

Zum anderen sehe ich nach wie vor, dass es auch Muslim:innen gibt, die durch die Begrenzung des Ramadans auf den eigenen Haushalt, eine entschleunigte und ruhigere Zeit verbringen als in den Jahren zuvor. Davon erzählten insbesondere Frauen, die neben Erwerbsarbeit und/oder Familie oft die Hauptarbeit bei den Iftars übernehmen.

Wie praktizieren Sie in Ihrer Familie den Ramadan unter den aktuellen Umständen? Gibt es da Unterschiede zur Vor-Corona-Zeit?

Akca: Ich lerne, auch durch meine Forschung, wie man unter diesen Bedingungen den Ramadan trotzdem schön mit der Familie verbringen kann. So haben wir bereits letztes Jahr meinen Kindern zum ersten Mal einen Ramadan-Kalender gebastelt, der sie auf das Fest vorbereitet hat. Der Kalender ist eine Mischung aus Lego, arabischem Alphabet und koranischen Suren. Das Fasten fällt mir im Homeoffice auch leichter. Jedes Jahr sehen wir uns im Ramadan einen bestimmten Film an. Aber ja, es gibt auch große Unterschiede zu den Vorjahren. Beispielsweise gab es am letzten Wochenende das erste Mal seit zwei Jahren wieder eine Iftar-Einladung. Meine noch kleinen Kinder hatten schon ganz vergessen, wie das war, und waren ganz aufgeregt. Ansonsten arrangieren wir uns so gut, wie es eben geht.

Das Interview führten Dr. Sara Binay und Cordula de Pous

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Dr. Ayşe Almıla Akca, Leiterin der Nachwuchsforschungsgruppe „Islamische Theologie im Kontext: Wissenschaft und Gesellschaft“ am BIT