Preis für gute Lehre 2022 an Azakhiwe Z. Nocanda verliehen
Gegenseitiger Respekt und kritisches Denken: Azakhiwe Z. Nocanda möchte in ihren Lehrveranstaltungen Räume schaffen, die sich für die Studierenden sicher anfühlen, aber die sie auch herausfordern. Der Doktorandin am Institut für Erziehungswissenschaft und Lehrbeauftragten im Berlin Perspectives Programm des International Office wurde der Preis für gute Lehre 2022 verliehen. Im Interview berichtet sie, was ihr in der Lehre wichtig ist. Die Preis wurde auf dem Tag der Lehre verliehen.
Frau Nocanda, was bedeutet es für Sie, zu lehren?
Die Frage reicht bis in meine Kindheit zurück. Gerade Menschen, die wie ich nach dem offiziellen Ende der Apartheid in Südafrika aufgewachsen sind, sind mit der Idee aufgewachsen, dass Bildung wichtig ist – und dass wir den Klassenraum als Ort respektieren. In solchen Räumen des Lernens gibt es aber auch immer ein Machtverhältnis, auch in der Universität, dort bin ich die Lehrerin, aber gleichzeitig bin ich auch Lernende.
Der Preis für gute Lehre 2022 steht unter dem Motto „Kollaboration“. Welche Methoden nutzen Sie in Ihren Lehrveranstaltungen, um gemeinsames Arbeiten und Austausch unter den Studierenden zu fördern?
Ich habe keinen speziellen Namen für die Methoden, die ich nutze. Der Titel meines Kurses lautet „(In)visibly Black: Understanding Race, Racism, and the Politics of Belonging in Berlin“. Ich folge dem Prinzip, dass ich den Studierenden nicht sage, wie sie etwas tun sollen. Ich ermutige sie nicht nur Dinge zu sagen, von denen sie glauben, dass ich sie hören möchte, sondern offen Fragen und Unsicherheiten zu kommunizieren. Ein Beispiel: In der zweiten Sitzung bekommen die Studierenden die Aufgabe, an Instituten für Afrikanistik verschiedener deutscher Universitäten Menschen aus der afrikanischen Diaspora zu finden, die Machtpositionen innehaben. Ich bekomme dann viele verzweifelte E-Mails, die ich aber nicht direkt beantworte.
Was steht in den E-Mails?
Die Studierenden wissen oft nicht, was die Definition von Menschen aus der afrikanischen Diaspora ist und fühlen sich unwohl damit, diese Menschen zu identifizieren. In der nächsten Sitzung besprechen wir dann, dass genau an dieser Stelle für sie das Lernen beginnt. Die Studierenden berichten, die Aufgabe habe sie genervt und frustriert, weil sie niemanden finden konnten. Im Austausch in der Gruppe verstehen sie dann, dass genau das Zweck der Aufgabe war – die Reaktion auf die Provokation ist die Aufgabe. Ich versuche Ihnen zu erklären, dass keine Daten auch Daten sind. Von dieser Erkenntnis ausgehend, können wir weiterreden und tiefer in die Materie einsteigen. Es geht in dem Kurs darum, einen Austausch auf Augenhöhe zu fördern und nicht frontal zu unterrichten, was richtig und was falsch ist. In einer anderen Sitzung, die ich „Colonialism hiding in plain sight“ nenne, gebe ich ihnen absichtlich wissenschaftliche Artikel über die deutsche Kolonialgeschichte in Afrika, die ich selbst kritisch betrachte. Ich möchte wissen, was die Studierenden darüber denken, ohne ihnen davor meine Position zu diesen Artikeln zu geben – durch „Critical Response Questions“.
Worum geht es in Ihrer eigenen Dissertation?
Es geht um die Kolonialität von internalisiertem Rassismus unter Schwarzen Südafrikaner*innen und Menschen in Deutschland, die sich als Schwarz identifizieren. Während meiner Masterarbeit in Freiburg habe ich südafrikanische und deutsche Migrationspolitik verglichen. Dabei ist mit aufgefallen, dass es in Deutschland nicht nur einen von nicht-Schwarzen Menschen ausgeübten Rassismus gegen Schwarze gibt, sondern auch Prozesse eines unterschwelligen „Othering“ vonseiten Schwarzer Menschen. Ich habe mich gefragt: Was passiert da? Wie beeinflussen Kolonialismus und Postkolonialismus die eigene Identitätsbildung? Das ist ein schwieriges Thema, weil es häufig falsch verstanden wird. Es geht dabei nicht darum, die Opfer von Rassismus selbst verantwortlich zu machen, sondern darum herauszufinden, wie Stereotype internalisiert wurden und werden.
Sie haben in vielen verschiedenen Ländern studiert. Wie hat das Ihr eigenes Verständnis von Lehren und Lernen geprägt?
Meine akademische Reise hat mich auf drei Kontinente in folgende Länder geführt: die Niederlande, Schottland, Deutschland, Südafrika und Thailand. Die Verbindung zu den Niederlanden und Deutschland kommt daher, dass ich in Südafrika eine Afrikaans-Schule besucht habe und während meiner Abitur-Zeit einen Austausch nach Deutschland gemacht habe. Nach dem Abitur habe ich zuerst Psychologie in den Niederlanden studiert und bin dann nach Glasgow zur Soziologie gewechselt. Über das Global-Studies-Programm der Universität Freiburg habe ich auch in Südafrika und Thailand studiert. Das war eine einzigartige Erfahrung, weil ich viele unterschiedliche Unterrichtsstile aus erster Hand kennengelernt habe. In Deutschland habe ich den Eindruck, dass das Lernen stark über Repetition funktioniert. Die Person, die vorne steht, hat viel Macht und somit ist das, was sie sagt, das Maß aller Dinge. Konstruktive Kritik an der Art und Weise, wie und wo gelehrt und gelernt wird, findet kaum statt.
Wie gehen Sie mit dieser Beobachtung um?
Für mich als Vertreterin der Post-Apartheids-Generation war das unverständlich und daher will ich in meinen eigenen Seminaren eine Alternative dazu bieten: Denn meiner Ansicht nach muss ich die Person infrage stellen dürfen, selbst wenn jemand als Professor vor mir steht. Besonders deutsche Studierende möchten dem Lehrpersonal meiner Meinung nach oft gefallen. Aber ich sage ihnen: Wir sind nicht hier, um einander zu gefallen. Wir müssen Methoden entwickeln, um kritisch zu reflektieren und uns auszutauschen. Auch Reaktionen wie Enttäuschung und Frustration sind ein wichtiger Teil des Lernprozesses. Was ich selbst aus meiner Zeit in den verschiedenen Ländern mitgenommen habe, ist vor allem, einander zu respektieren und zuzuhören und offen für neue Perspektiven zu sein.
Wie vermitteln Sie das Ihren Studierenden?
Im Berlin Perspectives Programm haben wir viele verschiedene Studierende aus unterschiedlichen Ländern und fachlichen Hintergründen. Wir sprechen sehr viel darüber, wie Rassismus und Kolonialismus in den Herkunftsländern der Studierenden – beispielsweise Deutschland, Frankreich, dem Vereinigten Königreich und Südafrika – gesehen werden. Wie beschäftigen sich Menschen in den unterschiedlichen Ländern, die eine Kolonialgeschichte haben, damit? Gleichzeitig dürfen wir Menschen nicht auf ihre ethnische Zugehörigkeit oder das Land reduzieren, aus dem sie kommen. Einmal hatten wir eine Studentin aus Südafrika im Kurs, die derselben Ethnie angehört wie ich. Aber auch zwischen uns gab es Unterschiede, weil sie aus einer anderen Stadt kam und in einem anderen sozialen Umfeld aufgewachsen ist. Ich versuche die Studierenden auch dafür zu sensibilisieren, dass wir unterschiedliche Fachsprachen verwenden. Jemand, der aus der Sozialwissenschaft kommt, drückt sich anders aus als jemand aus der Mathematik oder der Ökonomie.
Interview: Inga Dreyer
Stimmen von Studierenden, die Azakhiwe Z. Nocanda nominiert haben
- I have never known a lecturer who took this much time to get to know her students, to find out what our interests are with regards to her (class). Her teaching has a clear structure but is never set in stone and responds to the classes dynamics and follows up on individual interests. Her clear intention is no less than for each student to leave the class having learned something for life.
- Azakhiwe teaches her students what is probably the most important academic skill: to think for themselves and ask questions without being afraid of making mistakes.
- The classroom setting made my classmates, myself included, feel safe and (feel) that I could freely express my thoughts, know that I would make mistakes and that, when that (.) happen(ed), I would be met with a space that received what I was saying, inquired further, forcing me to think about it deeper, and ultimately harness a self-reflection that facilitated the expansion of my own intrinsic wisdom on the subject