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Experte für Klang und Musik: Der Humboldt-Preisträger Alejandro Madrid kommt an die Humboldt-Universität

Der renommierte Musikwissenschaftler forscht ab Mitte Mai am Institut für Musik- und Medienwissenschaft.
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Alejandro L. Madrid,  Foto: privat

Alejandro L. Madrid, Walter W. Naumburg-Professor für Musik an der Harvard University, ist mit dem Humboldt-Forschungspreis der Alexander von Humboldt-Stiftung für seine Forschungs- und Studienleistungen ausgezeichnet worden. Er forscht ab Mitte Mai am Institut für Musik- und Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin zusammen mit Sebastian Klotz, Professor für Transkulturelle Musikwissenschaft und historische Anthropologie der Musik. Der Humboldt-Forschungspreis ist ein wichtiger Forschungsförderpreis in Deutschland für international anerkannte Wissenschaftler*innen aus dem Ausland und ist mit 60.000 Euro dotiert.

Madrid ist einer der führenden Wissenschaftler in der lateinamerikanischen Musikwissenschaft und wurde mit zahlreihen Preisen ausgezeichnet. Er versteht sich als ein Kulturtheoretiker für Klang und Musik, der im Bereich der Lateinamerika- und Latinx-Studien arbeitet. Seine aktuellen Forschungsarbeiten an der Schnittstelle von Musikwissenschaft, Musikethnologie und Performance Studies konzentrieren sich auf Klangarchive, Rasse und Repräsentation in afro-lateinamerikanischen Gemeinschaften, Homophobie und Männlichkeit sowie Geschichtsschreibung und biografische Erzählungen.

An der Humboldt-Universität wird er unter anderem an einem neuen Buch über das Album „Días y Flores“ des kubanischen Singer-Songwriters Silvio Rodríguez arbeiten. Es ist ein historisches Album und markiert den Beginn der Internationalisierung der so genannten kubanischen Nueva Trova. „Ich erforsche den Zeitgeist, der die weltweite Rezeption dieser einflussreichen Musikbewegung geprägt hat, im Kontext des Kalten Krieges und darüber hinaus“, sagt Madrid.

„Entweder gedeihen wir zusammen oder wir driften auseinander“

Interview mit Alejandro L. Madrid.

Einer Ihrer Forschungsschwerpunkte ist die Darstellung von Männlichkeit in der lateinamerikanischen Musik. Wie hat diese Musik auf Bewegungen wie #MeToo reagiert?

Alejandro L. Madrid: Mich interessiert, wie Musik genutzt wird, um neue Arten von Männlichkeiten zu konstruieren. Einige dieser einfühlsameren Formen von Männlichkeit führe ich auf die Art und Weise zurück, wie die Gesellschaft in den letzten fünfzig Jahren mit historischen Fällen von Homophobie umgegangen ist. Leider gibt es diese Vorfälle immer noch. Aber wenn ich mir Persönlichkeiten wie den mexikanischen Songwriter Juan Gabriel ansehe, stimmt mich das optimistisch. Seine Musik und seine Performance haben festgefahrene Symbole und Vorstellungen von Männlichkeit in Mexiko in Frage gestellt.

Zu welchen Themen werden Sie an der HU forschen?

Madrid: Mein neuestes Buch ist eine Studie über die Produktion und Zirkulation von archiviertem Wissen im Zusammenhang mit dem „Sonic Turn". Also mit der Wende in den Geisteswissenschaften hin zu einer Betonung von Klang und Hören als Ort der Wissensproduktion – im Gegensatz zum logozentrischen Ansatz, der die westliche Wissenschaft seit Jahrhunderten geprägt hat. Die Institution des Archivs war von zentraler Bedeutung für die Entwicklung der Schriftkultur. Ich untersuche, ob Archive auf der Grundlage von Klang und Hören in eine neue Art von Einheit überführt werden können. Dieses Projekt will ich in Berlin abschließen. Außerdem arbeite ich an einem neuen Buch über das Album "Días y Flores" des kubanischen Singer-Songwriters Silvio Rodríguez. Es ist ein historisches Album und markiert den Beginn der Internationalisierung der so genannten kubanischen Nueva Trova. Ich erforsche den Zetgeits, der die weltweite Rezeption dieser einflussreichen Musikbewegung geprägt hat, im Kontext des Kalten Krieges und darüber hinaus.

Wie wird Ihre Zusammenarbeit mit Sebastian Klotz aussehen, dem geschäftsführenden Direktor des Instituts für Musikwissenschaft und Medienforschung an der HU?

Madrid: Professor Klotz und ich interessieren uns für die Themen Transkulturalität und Globalisierung und ich erwarte daher eine fruchtbare Zusammenarbeit. Ich schätze die HU für ihre Tradition der intellektuellen Forschung und für ihre Mission als öffentliche Forschungsuniversität in einer Welt, in der das Gemeinwohl und die öffentliche Bildung unter Beschuss stehen. Ich freue mich darauf, produktiv mit den Studierenden von Professor Klotze zusammenzuarbeiten. Und darauf, ihnen zu helfen, ihre Forschungsprojekte zu durchdenken.

Was waren die wichtigsten Meilensteine in Ihrer Forschung?

Madrid: Ich bin stolz auf das Buch über den Danzón, das ich gemeinsam mit Robin Moore verfasst habe. Unser theoretischer und methodischer Ansatz überschreitet die disziplinären Grenzen zwischen Musikwissenschaft und Musikethnologie und stellt einen wichtigen Beitrag zu unserem Fachgebiet dar. Besonders stolz bin ich auf mein Buch über elektronische Tanzmusik (EDM) und das Nortec-Kollektiv. Es hat neue Forschungsmöglichkeiten in der lateinamerikanischen Musikwissenschaft eröffnet, die thematisch noch sehr konservativ war. Damals war das Studium von EDM bei Musikwissenschaftlern in Lateinamerika verpönt. Das Buch hat also ebenfalls disziplinäre Grenzen überschritten.

Sie sind in Mexiko aufgewachsen, wo Humboldt seine berühmte Erkenntnis vermerkte, dass alles Wechselwirkung sei. Würden Sie das auch über Ihr Forschungsgebiet sagen?

Madrid: Mit seiner Beobachtung nimmt Humboldt vorweg, wie viele Wissenschaftler heute ihre Forschung sehen: als eine interdisziplinäre und als Antwort auf größere globale Gespräche. Meine Arbeit über Musik und Globalisierung ist der Keim für mein größeres intellektuelles Projekt: eine Kritik des Nationalismus. Die politische Polarisierung, die wir gerade in der Welt erleben, ist das Ergebnis von Nationalismen und der engstirnigen Vorstellung, Abschottung und Zäune verhelfen uns zu Wohlstand. Das werden sie aber nicht. Wir müssen diese Einstellung ablegen. Entweder gedeihen wir zusammen oder wir driften auseinander. Ganz wie Humboldt herausfand: „Alles ist Wechselwirkung“ und „alles hängt mit allem zusammen“.

Das Interview führte Vera Görgen.