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„Wir sind mit den Forschenden, Lehrenden und Studierenden verwoben“

Martin Lee ist seit Kurzem Direktor der Universitätsbibliothek der HU. Andreas Degkwitz ist sein Vorgänger. Gemeinsam sprechen sie im Interview über Schwerpunkte ihrer Arbeit, neue Experimentierräume für Forschende und Digitalität als neue Herausforderung für Bibliotheken.
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Martin Lee, Foto: privat

Herr Lee, wie sehen Ihre Pläne und Schwerpunkte für die erste Zeit an der HU aus?

Lee: Einige Schwerpunkte werden aktuell von außen mit Nachdruck an uns herangetragen. Gerade die Energiekrise beschäftigt uns sehr, da sie viele Auswirkungen darauf hat, wie wir arbeiten werden, welche Services wir bereitstellen können und wieviel Geld wir in den nächsten Jahren zur Verfügung haben werden. Ein Themenbereich, der damit stark verbunden ist und mir auch persönlich sehr am Herzen liegt, ist Klima und Nachhaltigkeit. Als Organisation können wir – zusammen mit anderen Akteur:innen der Universität – noch viel tun, zum Beispiel im nachhaltigen Umgang mit Energie, Einkäufen und Dienstreisen. Als drittes Thema beschäftigt mich Digitalität, also die Frage, wie wir gemeinsam im digitalen Raum in Zukunft zusammenarbeiten werden. Wie machen wir es zum Beispiel am besten, wenn ein Teil der Belegschaft im Homeoffice ist und der andere im Büro? Auch Forschung und Lehre verändern sich durch die Digitalisierung stark. Darauf müssen wir mit unseren Angeboten reagieren.

Mitte November wurde der Scholarly Makerspace, ein neues Service- und Supportangebot der Universitätsbibliothek für die geistes- und kulturwissenschaftliche Forschung, eröffnet. Worum geht es dabei genau?

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Andreas Degkwitz
Foto: Lukas Bergmann

Degkwitz: Es handelt sich dabei um die Entwicklung eines Service, der Forschende und Lehrende beim wissenschaftlichen Arbeiten unterstützt. Wenn zum Beispiel Forschungsprojekte von Wissenschaftlern des 19. Jahrhunderts auf der Basis digitalisierter Sammlungen rekonstruiert und die beteiligten Akteure identifiziert werden sollen, müssen die Materialien mit digitalen Verfahren analysiert und entsprechenden Werkzeugen aufbereitet und erschlossen werden. Dafür sind Kenntnisse auf den Gebieten der Data- und Tool-Literacy erforderlich, die oft nicht ausreichend vorhanden sind. Dieses Desiderat wird mit der Entwicklung des Scholarly Makerspaces aufgegriffen.

Lee: Räume bereitzustellen, in denen digitale Werkzeuge auf niedrigschwelligem Niveau und ohne IT-Kenntnisse ausprobiert werden können, ist ein jüngeres Arbeitsfeld der Bibliotheken im Bereich Digitalität. Solche Experimentierräume wollen wir zukünftig in der UB verstärkt anbieten, mit dem Ziel, Forschende und Lehrende bei ihrer Arbeit noch stärker zu unterstützen.

Wie werden sich Bibliotheken in den kommenden Jahren entwickeln, was sind weitere Trends?

Degkwitz: Forschende werden künftig noch stärker als bisher in digitalen Infrastrukturen arbeiten. Bibliotheken unterstützen Wissenschaftler:innen weiterhin mit der Bereitstellung  relevanter Inhalte und bei deren Nutzung. Zunehmend digitale Arbeitsumgebungen führen für Bibliotheken zu großen Herausforderungen, wenn ich beispielsweise an den Umgang mit Ergebnissen und Methoden künstlicher Intelligenz denke, die keine unmittelbare Affinität zu Bibliotheken haben. Es gibt viele Themen, die außerhalb und unabhängig von Bibliotheken entstehen, die aber die Vermittlung von Bibliotheken gut brauchen können. Angesichts dessen müssen Bibliotheken neue Services entwickeln, die im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung zur bibliothekarischen Unterstützung von Forschenden, Lehrenden und Studierenden erfolgreich beitragen.

Lee: Ich sehe zudem Openness, dazu zählen beispielsweise Open Access, Open Science und Open Scholarship, als wichtiges Thema. Im Mittelpunkt steht die Frage: Wie können wir als Bibliotheken den Trend der offenen Wissenschaft unterstützen? Den offenen Zugang zu Wissen und Informationen zu gewährleisten, ist im ureigensten Interesse von und ein aktueller Auftrag für Bibliotheken. Damit hängen Kooperationen mit Institutionen, auch weltweit, zusammen, die wir verstärken müssen. Ein weiterer Aspekt ist, dass wir noch genauer hinschauen müssen, was die Bedürfnisse von Forschenden, Lehrenden und Studierenden sind, denn sie ändern sich immer schneller. An den Studierenden sind wir näher dran, wir treffen sie täglich in der Bibliothek. Die Nähe zu Forschenden und Lehrenden müssen wir auf vielen Ebenen halten und weiter ausbauen.

Wie kann man das am besten umsetzen?

Lee: Wir können das zum Beispiel systematisch zusammen mit dem Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft erforschen. Es gibt aber noch viele andere Möglichkeiten. Wir können dabei auch viele vorhandene Ressourcen nutzen. Schlüsselpunkte sind zum Beispiel die vielen Zweigbibliotheken und Fachreferate, die Bibliotheksbeauftragten der Fakultäten, die Gremien oder Projekte, wie der Scholarly Makerspace, wo wir mit Forschenden zusammenarbeiten. Es gibt nicht eine Lösung, es ist ein Netzwerk an Lösungen. Wir sind und wollen verwoben sein mit den Forschenden, Lehrenden und Studierenden.

Herr Degkwitz, auf Ihrer Agenda standen zu Beginn Ihrer Dienstzeit auch die Digitalisierung der historischen Sammlungen der UB und des Universitätsarchivs und damit der Erhalt und Zugang zu diesen in Berlin einzigartigen Beständen. Was ist der aktuelle Stand der Dinge?

Degkwitz: Die in der Universitätsbibliothek und im Universitätsarchiv vorhandenen Sammlungsbestände sind ein Alleinstellungsmerkmal der HU als der ältesten Universität Berlins. Die umfangreichen Sammlungsbestände repräsentieren die Aktivitäten bedeutender Wissenschaftler:innen des 19. und 20. Jahrhunderts und sind wichtige Quellen für Forschung, Lehre und Transfer an der HU, in Berlin und über Berlin hinaus. Wir haben kürzlich ein großes Projekt zur Sammlungsdigitalisierung im Humboldt-Forum abgeschlossen. Dieses Projekt gibt zu erkennen, welchen Mehrwert die Entwicklung einer HU-weiten Digitalisierungsinfrastruktur der UB für die Unterstützung von Forschung, Lehre und Transfer hätte. Der Aufbau einer solchen Struktur sollte deshalb unbedingt aufgegriffen werden.

Das Interview führte Ljiljana Nikolic.

Zu den Personen

Martin Lee hat Neuere/Neueste Geschichte und Philosophie an der HU studiert und hier auch einen Master in Library and Information Science gemacht. Ab 2009 war er Mitarbeiter der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin, wo er eine Reihe von Projekten verantwortete, darunter das Bibliotheksintegrations- und Bauprojekt 24in1, die digitale Enzyklopädie 1914-1918-online sowie ein umfassendes Projekt zur Organisationsentwicklung. Von 2013 bis 2020 leitete er die Campusbibliothek Natur- Kultur- und Bildungswissenschaften, Mathematik, Informatik und Psychologie der FU. Ab 2020 war er stellvertretender Bibliotheksdirektor und verantwortete gleichzeitig die Abteilung Dienste für Forschung. Er war in dieser Position für die Themen wissenschaftliches Publizieren, Open Science/Open Access, Forschungsdatenmanagement, Digital Humanities und Forschungsinfrastrukturen verantwortlich. Seit dem 1. November leitet er die Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin.

Prof. Dr. Andreas Degkwitz hat Klassische Philologie und Literaturwissenschaften in Freiburg, Basel und Wien studiert und als Bibliothekar in Heidelberg, Bonn, Potsdam und Cottbus gearbeitet; von 2011 bis 2022 leitete er als Direktor die Universitätsbibliothek der HU. Schwerpunkte seiner Amtszeit waren unter anderem: die Digitalisierung bibliothekarischer Kompetenzvermittlung und Nutzerservices, der Auf- und Ausbau der DFG-geförderten Fachinformationsdienste „Hochschulforschung“ und „Sozial- und Kulturanthropologie“, die Bewahrung und die digitale Bereitstellung der einzigartigen Sammlungen der UB und des Universitätsarchivs, die Umsetzung von Open Access an der HU und im Kontext der BUA sowie die Einführung des Bibliotheksmanagementsystems ALMA in Zusammenarbeit mit den Universitätsbibliotheken der FU, TU und UdK.