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„Auch die Psyche der Kinder profitiert von der Bewegungsförderung“

Interview mit Univ.-Prof. Dr. med. Bernd Wolfarth vom Institut für Sportwissenschaften der Humboldt-Universität über die Initiative „Berlin hat Talent“, dessen wissenschaftliche Begleitung das Institut übernommen hat, sowie die Bewegungsförderung für Schüler:innen.

Das Institut für Sportwissenschaft der Humboldt-Universität (HU) hat in diesem Jahr die wissenschaftliche Begleitung des Programms „Berlin hat Talent“ übernommen. Damit machen der Senat und der Landessportbund Schüler:innen Bewegungsangebote, die individuell zu ihnen passen. Was will das Programm erreichen?

Univ.-Prof. Dr. med. Bernd Wolfarth: Es will zunächst ganz objektiv die motorischen Fähigkeiten der Berliner Drittklässler:innen erheben. Ausgehend vom Ergebnis, werden den Kindern dann unterschiedliche Angebote gemacht. Diejenigen, die bei dem Test sehr gut abschneiden, will das Programm fördern, auch im Sinne einer Talenterkennung. Denjenigen mit motorischen Defiziten werden zusätzliche Förderstunden in den Schulen ermöglicht, um ihre motorischen Grundleistungsfähigkeiten zu verbessern. Der breiten Masse will das Programm Zugang zu Vereinen verschaffen. 

Wie läuft der Test ab?

Wolfarth: Die motorischen Fähigkeiten der Kinder werden primär mit einer standardisierten Test von acht Übungen untersucht. Das beinhaltet zahlreiche Aspekte wie einen Standweitsprung, einen 20-Meter-Sprint, Liegestütze oder auch einen Ausdauerlauf. Mit dem Test soll eine möglichst große Bandbreite der motorischen Grundfähigkeiten geprüft werden.

Das Programm gibt es bereits seit 2011. Bisher hat es mit der Deutschen Hochschule für Gesundheit und Sport zusammengearbeitet. Nun ist es zur HU gewechselt. Warum?

Wolfarth: Das geschah in erster Linie auf Wunsch des Berliner Senats. Zum einen, weil an der Humboldt-Universität auch die Lehrerbildung und am Institut für Sportwissenschaft der HU insbesondere die Sportlehrerausbildung erfolgt. Denkbar ist, dass zukünftig Ergebnisse aus dem Programm direkt in das Studien-Setup und die Lehre eingehen. Der zweite Punkt ist, dass die HU mit den unterschiedlichen Abteilungen des Sportinstituts breit aufgestellt ist. So kann auch eine breitere Basis der wissenschaftlichen Aspekte verfolgt werden. Denn an der HU werden neben der Trainingswissenschaft und der Sportmedizin auch andere Fächer mit einbezogen, wie etwa die Pädagogik, die Didaktik oder die Psychologie. Das sind Bereiche die bisher nicht berücksichtigt wurden. Wir haben daher die Möglichkeit, fächerübergreifend Daten auszuwerten, die bereits vorhanden sind und zusammen neue Projekte auf den Weg zu bringen.

Aus diesen Daten wollen Sie auch Handlungsempfehlungen zu gesellschaftlich relevanten Themen erarbeiten, etwa zu den Chancen der Ganztagsbetreuung für die Bewegungsförderung. Welche Schlüsse erlauben diese Daten?

Wolfarth: Es gibt bereits Daten des Deutschen Motoriktests aus den letzten zehn Jahren, die wir auswerten. Natürlich können wir dadurch ein gutes Bild der motorischen Fähigkeiten von Kindern in diesem Altersbereich abbilden. Zukünftig können wir daraus Empfehlungen für die Verbesserung der motorischen Grundfähigkeiten ableiten, für den Bereich der Schule, der Freizeit und der Vereine. Da wir diese Kohorte künftig immer weiter untersuchen werden, erhalten wir im Verlauf auch Daten zur Entwicklung des Bewegungsverhaltens oder der körperlicher Leistungsfähigkeit im Längsschnittverlauf. Mit zusätzlichen Befragungen und Untersuchungen werden wir zum Beispiel auch Daten zum Gesundheitsverhalten der Kinder erhalten.

Die Kinder sollen von dem Programm profitieren. Wie profitiert umgekehrt Ihre Forschung von der wissenschaftlichen Begleitung?

Wolfarth: Wir bekommen durch das Programm Zugriff auf eine sehr große Klientel, mit Daten die für die motorische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen wichtig sind und sehr standardisiert erhoben werden. Wissenschaftlich betrachtet ist das ein großes Kapital. Den Zugang zu solch einer Datenfülle, insbesondere über einen langen Zeitraum zu bekommen, ist im Allgemeinen sehr aufwändig. Wo wir auch große Potenziale sehen: Wenn wir unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse in die praktische Lehre und Lehrerausbildung einbringen, hat das natürlich einen Multiplikationseffekt von dem dann auch die Qualität des Schulunterrichts profitieren kann.

In der Pandemie hat die Fitness vieler Schüler:innen abgenommen. Der Vereinssport kam zum Erliegen, Spielplätze waren zeitweise gesperrt, mit den geschlossenen Schulen gab es auch keinen Sportunterricht mehr. Wie wichtig ist denn Fitness im Kindesalter, die das Programm fördern will?

Wolfarth: Die Ausprägung von motorischen Grundeigenschaften geschieht in einem besonders sensiblen Altersbereich, dem Grundschulalter. Wir wissen, dass in diesem Altersbereich das motorische Lernen besonders gut funktioniert und daher ist es extrem wichtig, dort anzusetzen. Wenn man positive Veränderungen insbesondere auch im Gesundheitsverhalten der Schüler:innen erzielen will, dann ergibt es natürlich Sinn, gerade in diesem Altersbereich anzufangen. Wir wissen auch, dass Kinder die in diesem Altersbereich ausgeprägte motorische Defizite haben, ein hohes Risiko haben auch zu Erwachsenen mit motorischen Defiziten zu werden. Daher wollen wir mit der Intervention nach der Messung versuchen, das motorische Niveau der Kinder im Grundschulbereich nachhaltig zu verbessern und damit die Basis für bessere und gesündere Lebensgewohnheiten im Erwachsenenalter zu schaffen. Auch die Psyche der Kinder profitiert von der Bewegungsförderung, und das unmittelbar. Das ist bisher aber noch wenig untersucht worden. Das wollen wir mit unserer fächerübergreifenden Forschung ebenfalls adressieren.

Das Interview führte Vera Görgen.

Weitere Informationen

Zum Projekt „Berlin hat Talent“

Zur Webseite von Univ.-Prof. Dr. Bernd Wolfarth