Geht es auch ohne seltene Erden?
Ein Mobiltelefon steckt voller Rohstoffe: Seine elektronischen Komponenten enthalten wertvolle Edelmetalle wie Gold, Silber und Platin, rare Metalle wie Cobalt, Gallium oder Indium und seltene Erden wie Neodym. Häufig landen die alten Geräte im Müll – und mit ihnen ihre wertvolle Fracht. „In den Mülldeponien für Elektroschrott haben wir schon heute teilweise höhere Konzentrationen von Elementen wie Gold oder Germanium als in einigen Minen, in denen sie abgebaut werden“, sagt der Materialchemiker Prof. Dr. Michael J. Bojdys. Und einige dieser Materialien könnten künftig knapp werden.
Seit 2011 zählt die EU in der „Liste der kritischen Rohmaterialien“ alle Stoffe auf, von denen es in den kommenden Jahrzehnten nicht mehr genug geben könnte. Entweder, weil es davon in der Erdkruste nur sehr wenig gibt oder weil sie nur sehr schwer zu recyceln sind. Aktuell stehen 30 Materialien auf dieser Liste. Darunter auch etliche, die dafür sorgen, dass Displays von Handys und Laptops oder auch Flachbildschirme leuchten. Michael Bojdys erforscht als Gastprofessor für organische Materialchemie und Leiter der Functional Nanomaterials Group am IRIS Adlershof und dem Institut für Chemie gemeinsam mit seinem Team, welche alternativen Materialien diese Lücken künftig füllen könnten.
Kohlenstoff ist die Basis für neue Materialien
Bei ihrer Suche blicken die Forschenden auch auf organische Leuchtdioden – kurz OLEDs, die als wegweisende Zukunftstechnologie gelten und als energiesparende Lichtquelle beispielsweise in biegsamen Bildschirmen eingesetzt werden können. Sie kommen ohne seltene Metalle oder Erden aus und werden schon heute in Displays von Smartphones oder Tablets und in Bildschirmen verarbeitet. Das Prinzip ist einfach: Eine OLED ist aus mehreren dünnen Schichten aufgebaut. Der Kern ist eine hauchdünne aktive Schicht aus kohlenstoffbasierten Molekülen, ein organischer Halbleiter, der von Elektroden angeregt und zum Leuchten gebracht wird. Für Forschende wie den Chemiker David Burmeister ist vor allem diese aktive Schicht interessant – denn sie kann aus ganz unterschiedlichen Materialien bestehen.
In seiner Promotionsarbeit am IRIS Adlershof konzentriert sich David Burmeister auf ein solches Material, das aus übereinandergestapelten Schichten von miteinander verbundenen Kohlenstoff- und Stickstoffatomen besteht. Es ist ein sogenanntes Polymer, das aus lauter identischen Bausteinen zu einem großen Netzwerk zusammengesetzt ist und im Labor synthetisiert wird. Sein Name: Poly(triazinimid) – kurz PTI. Im Bereich der organischen Halbleiter gehört das Schichtpolymer zu einer völlig neuen Materialklasse – den graphitischen Carbonitriden. Seine Eigenschaften, Struktur und Funktion untersuchen die Forschenden nun von Grund auf, um zu prüfen, ob es sich als Baumaterial in OLEDs oder anderen Zukunftstechnologien eignet.
Von der Skizze bis zur Anwendung
„OLEDs sind heute noch nicht ganz dort, wo der Markt sie gerne hätte“, beschreibt Michael Bojdys den aktuellen Stand. Das liegt vor allem an einer wesentlichen Schwäche: Sie sind empfindlich gegenüber Luft und Wasser und oxidieren rasch. Außerdem sind sie anfällig für Defekte, da bestimmte chemische Verbindungen durch das Material wandern und die Funktion beeinträchtigen können. Die Lebensdauer von organischen Leuchtdioden ist deshalb recht kurz und ihre Lichtausbeute noch gering. Es gibt also reichlich Raum für Verbesserungen und Optimierungen. Die spezielle Struktur des PTI lässt die Materialforscher hoffen, dass sich einige dieser Probleme mit dem neuen Polymer umgehen lassen. „Es gibt zwischen den einzelnen Bausteinen starke chemische Bindungen – wir nennen sie kovalente Bindungen –, die das System stabiler machen“, erklärt Michael Bojdys. Gegenüber Hitze und Sauerstoff ist PTI weniger empfindlich – Leuchtdioden mit dem Material sind möglicherweise langlebiger als die herkömmlichen Systeme.
Noch steht das Team ganz am Anfang seiner Untersuchungen. Bis tatsächlich eine optimierte Leuchtdiode mit PTI auf den Markt kommt, dürften noch etliche Jahre vergehen. „Es beginnt immer mit einer Idee auf dem Papier“, beschreibt Michael Bojdys die Anfänge eines solchen Arbeitsprozesses. Er selbst hat die Substanz PTI in seiner eigenen Promotionsarbeit am Max-Planck-Institut für Kolloidchemie 2008 zum ersten Mal als Skizze entworfen und die chemische Strukturformel mit einem Bleistift aufgezeichnet. Viel Arbeit im Labor verging, bevor das Polymer erstmals erfolgreich synthetisiert wurde. David Burmeister analysierte und charakterisierte es schließlich chemisch und physikalisch. Alle Eigenschaften eines solchen neuen Materials werden dabei unter die Lupe genommen: Wie sind seine atomaren Strukturen aufgebaut? Ist es löslich, säurebeständig, hitzefest, elastisch oder spröde? Wie reagiert es mit anderen Elementen? Absorbiert es Licht und in welcher Wellenlänge? „Allein dafür habe ich ein Jahr lang gebraucht“, erzählt Burmeister. „Aber das Material lebt im Grunde von der Qualität der Charakterisierung. Nur wenn das gut gelingt, können wir am Ende daraus etwas bauen.“
Nach der Analyse und Charakterisierung des Materials ist Ingenieurswissen gefordert, um die einzelnen Komponenten in einer funktionsfähigen Leuchtdiode zu vereinen. „Der Weg von der Skizze bis zum Prototyp funktioniert nur in einer interdisziplinären Umgebung“, betont Michael Bojdys. „Das haben wir hier am IRIS Adlerhof – mit Expertinnen und Experten aus der Chemie, der Mathematik, der Physik und den Ingenieurswissenschaften.“
Nur ein Atomdurchmesser dick
Nun steht der erste Prototyp der PTI-Leuchtdiode – er ist Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen und Entwicklungen, um Lichtausbeute und Energieeffizienz noch zu optimieren. Darüber hinaus prüfen die Forschenden, wofür das neue Material außerdem angewendet werden könnte. Besonders interessant ist dabei, dass PTI eine graphitische Struktur besitzt: Es ist aus mehreren übereinanderliegenden Schichten aufgebaut. Diese lassen sich aufspalten, sodass eine extrem dünne Nanoschicht von genau einem Atomdurchmesser entsteht. Bisher sind nur fünf auf leichten Elementen basierende (Kohlenstoff, Bor, Stickstoff, Fluor, Sauerstoff) Verbindungen bekannt, für die das ebenfalls gilt. Eine davon ist Graphen, das eine einlagige Schicht aus verknüpften Kohlenstoffringen bildet und für dessen Entdeckung die Physiker Konstantin Novoselov und Andre Geim 2010 den Nobelpreis für Physik bekamen. „Was kann man mit diesem Material noch alles anstellen?“, fragt Michael Bojdys. Die Forschenden sind fest entschlossen, das herauszufinden.
Autorin: Heike Kampe