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Das Buch Jesus Sirach

Eine Textedition zu einem antiken Lebensratgeber erschienen

Der Individualismus rückt immer stärker in den Vordergrund, traditionelle politische, wirtschaftliche und familiäre Strukturen verändern sich, die Rolle der Religion wird hinterfragt. In dieser schwierigen gesellschaftlichen Situation schreibt der jüdische Lehrer Jesus Sirach ein weisheitliches Lehr- und Lebensbuch, das Menschen, genauer gesagt jungen, begüterten Männern helfen soll, in einer Gesellschaft im radikalen Wandel Orientierung zu finden und dabei das Traditionelle zu wahren. Auch wenn die Situation modern anmutet: Der Autor schrieb sein Werk circa 180 v. Chr. in Jerusalem. Mit seinem Buch reagierte Sirach auf eine Globalisierungswelle, die der Hellenismus nach den Eroberungszügen Alexander des Großen im Vorderen Orient und andernorts auslöste. Das ursprünglich auf Hebräisch verfasste Buch wurde noch in der Antike ins Griechische, Syrische und Lateinische übersetzt: Fragmente in hebräischer Sprache wurden im 19. und 20. Jahrhundert gefunden. Der hebräische Urtext des Buches ist aber nicht mehr erhalten.

Schon allein diese spezielle Überlieferungsgeschichte führt dazu, dass Theolog:innen und Antikeforscher:innen sich auch heute noch mit Sirachs Werk auseinandersetzen. So auch Markus Witte, Professor für Literaturgeschichte und Theologie des Alten Testaments, an der Humboldt Universität. Der evangelische Theologe hat jetzt das Buch „Jesus Sirach, Jüdisches Gesetz und kosmische Weisheit“ im Verlag Mohr Siebeck herausgegeben. Es bringt alle hebräischen Fragmente des Buchs, die bis heute bekannt sind und von dem Erlanger Hebraisten Gerhard Karner textkritisch aufbereitet und mit einer deutschen Übersetzung versehen wurden, sowie ausgewählte Texte der griechischen Übersetzung durch den Enkel Sirachs, die er um 120 v. Chr. in Alexandria angefertigte, zusammen. Mitgewirkt am Entstehen des neuen Buches haben auch Markus Asper, Professor für Gräzistik an der HU, sowie Forschende anderer Universitäten in Deutschland, Österreich und Finnland.

Ratgeber rund um Religion, Gender, Sexualität, oder Gerechtigkeit

„Das Buch Jesus Sirach stellt eine gewaltige Synthese weisheitlicher, kultischer, prophetischer, rechtlicher und historiographischer Traditionen des antiken Israel und des frühen Judentums dar“, erklärt Witte. In den 51 Kapiteln geht es um Fragen rund um Religion, Gender, Sexualität, Arm und Reich, Herrschaftsformen, Gerechtigkeit, den Umgang mit dem Fremden und mit der eigenen Geschichte. Auch wenn sich Sirach an jüdischen Wert- und Glaubensvorstellungen orientiert, so greift er auch Ideen aus der Welt des Hellenismus auf. So empfiehlt er etwa bei Krankheit den Gang zu Arzt, nicht nur das Gebet, oder greift das Thema Freundschaft auf, die anstelle der auseinanderbrechenden patriarchalen Großfamilien treten kann. Er empfiehlt Reisen als Quelle von Bildung, und nicht nur zum Zweck des Handelns oder Kriegführens. In Weiterführung altorientalischen Weltordnungsdenkens und in kritischer Auseinandersetzung mit griechischer Philosophie und der Verehrung der Göttin Isis setzt Jesus Sirach die kosmische Weisheit mit der mosaischen Torah gleich.

„Die Textausgabe war viel aufwändiger als wir dachten“, sagt Witte. Denn die Forscher:innen konzentrierten sich nicht nur auf die hebräischen Fragmente, die etwa 70 Prozent des ursprünglichen hebräischen Textes ausmachen, und die griechische Übersetzung durch den Enkel, sondern verglichen auch durchgehend die lateinische und syrische Version des Sirachbuchs, die sich zum Teil deutlich voneinander unterscheiden, miteinander.

Das Buch Jesus Sirach ist heute noch bekannt

Die verschiedenen Fragmente des hebräischen Textes des Buches sind im 19. und 20. Jahrhundert in teilweise spektakulären Funden in Kairo, Masada und Qumran aufgetaucht. „In Alt-Kairo wurden in den Jahren ab 1896 rund 200.000 antike und mittelalterliche hebräische Textfragmente im Abstellraum einer Synagoge gefunden, darunter auch Teile des Buchs Sirachs. Die Fragmente befinden sich heute größtenteils in Cambridge und Oxford“, erklärt Witte.

Das Buch Jesus Sirach ist heute noch bekannt, weil es Teil des Alten Testaments der römisch-katholischen und orthodoxen Bibel ist. „In der evangelischen Bibel sind Sirachs Texte in der Regel nicht zu finden, da es aus unbekannten Gründen nicht in die Hebräische Bibel aufgenommen wurde, auf welcher aber der Kanon der protestantischen Kirchen beruht“, erklärt Witte. „Es gibt deshalb viele Kommentare aus katholischer Sicht, aber kaum aus protestantischer, auch wenn es in der protestantischen Katechismusliteratur und Lieddichtung gerne aufgegriffen wurde.“ Witte arbeitet nun an einem Kommentar des Sirachbuchs aus evangelischer Perspektive, in dem die verschiedenen Sprachformen als jeweils eigengewichtige Werke ausgelegt werden. Um das zu tun, braucht er auch die von ihm gerade herausgegebene Textedition.

Autorin: Ljiljana Nikolic

Weitere Informationen

„Jesus Sirach, Jüdisches Gesetz und kosmische Weisheit“

Herausgegeben von Markus Witte. Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden
Essays versehen von Markus Asper, Christine Ganslmayer, Gerhard Karner, Marko Marttila, Werner Urbanz, Oda Wischmeyer, Markus Witte und Burkard Zapff

518 Seiten. SAPERE XLIV, ISBN 978-3-16-158251-6
Leinen ca. 120,00 Euro, ISBN 978-3-16-162538-1
eBook PDF ca. 120,00 Euro