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Bildungsungleichheit fängt in der Grundschule an

Wie Lehrer*innen im Schulalltag mit der vielfach dokumentierten sozialen Benachteiligung umgehen, hat die Erziehungswissenschaftlerin Dr. Carolina Claus in Deutschland und Argentinien untersucht.
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Bildungsungleichheit beginnt bereits früh.
Foto: Envato Elements

Für mehr als 830.00 Kinder hat in Deutschland mit der Einschulung in die 1. Klasse der Grundschule kürzlich ein neuer Lebensabschnitt begonnen. Und auch ihr Schulerfolg wird vermutlich nicht nur davon abhängen, wie sehr sie sich anstrengen. Denn Studien belegen Jahr um Jahr: Wie hoch der Bildungsabschluss ist, die ein Schüler oder eine Schülerin erreicht, hängt in Deutschland auch stark vom Einkommen und dem Bildungsabschluss der Eltern ab. Dabei ist Bildung der Schlüssel zum sozialen Aufstieg und der beste Schutz vor Armut, Arbeitslosigkeit und Krankheit. Der Staat gibt im Grundgesetz Kindern das Versprechen, ihnen die Bildung zu ermöglichen, die es für eine gleichberechtigte Teilhabe benötigt.

Wie agieren Lehrerinnen und Lehrer in diesem Spannungsfeld von Bildungsversprechen und Bildungsbenachteiligung? Wie gehen sie mit Bildungsungleichheiten um und wie verstehen sie in diesem Zusammenhang ihre Rolle als Lehrer*innen? Das hat die Erziehungswissenschaftlerin Dr. Carolina Claus vom Institut für Erziehungswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin in einer vergleichenden Studie untersucht und dafür jeweils acht Lehrkräfte an vier Grundschulen in mittelgroßen Städten in Deutschland und Argentinien interviewt.

Verständnis für familiäre Probleme unterscheidet sich

Die Daten zeigen, dass es Gemeinsamkeiten, aber auch wesentliche Unterschiede gibt. So war beispielsweise das, was die Lehrkräfte unter dem Bildungsversprechen verstehen, in beiden Ländern deckungsgleich: Lehrerinnen und Lehrer sehen die Schule als einen sicheren Ort, an dem Schüler*innen Schutz erfahren, soziales Miteinander pflegen und gemeinsam lernen. Unterschiede wurden unter anderem bei ihrem Umgang mit den Schüler*innen deutlich: Während die Lehrkräfte an den deutschen Grundschulen weniger Verständnis für familiäre Problemlagen aufbringen und sich in ihrer Arbeit an leistungsstärkeren Schüler*innen orientieren, zeigen ihre Kolleg*innen in Argentinien mehr Verständnis und orientierten sich beim Unterrichten eher an leistungsschwächeren Schüler*innen. Außerdem sahen sich die befragten Lehrer*innen in Deutschland selbst nur in geringem Maße in der Lage, der Bildungsungleichheit etwas entgegenzusetzen. Dagegen legten die Kolleg*innen in Argentinien nach eigener Aussage großen Tatendrang an den Tag, um Bildungsungleichheiten produktiv zu bearbeiten.

Was heißt Bildungsgerechtigkeit im Schulalltag?

„Es war mir wichtig, den Fokus auf die Mikroprozesse im Schulalltag zu richten und die Lehrpersonen selbst zu Wort kommen zu lassen. Denn während auf politischer Bühne Forderungen nach Bildungsgerechtigkeit gestellt werden, bleibt oft unklar, was damit genau gemeint ist, und auch, was die Lehrpersonen darunter verstehen“, sagt Carolina Claus, die mit dieser Studie an der Europa-Universität Flensburg promoviert wurde, bevor sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an die HU kam.

„Die Bildungspartnerschaft zwischen Schule und Familie muss gestärkt werden“

Einen Schlüssel für mehr Bildungsgerechtigkeit sieht die Erziehungswissenschaftlerin in einer besseren Zusammenarbeit der Lehrer*innen mit den Familien der Kinder. „Die Interviews zeigen, wie überaus engagiert die Lehrkräfte an den Grundschulen arbeiten und sich für ihre Schüler*innen mit vollem Herzen einsetzen. Auffällig ist aber insbesondere bei den Lehrpersonen in Deutschland, dass sie die Zusammenarbeit mit den Eltern häufig als anstrengend und herausfordernd erleben. Hier gilt es anzusetzen: Die Bildungspartnerschaft zwischen Schule und Familie muss gestärkt werden. Um in einen offenen Dialog mit den Erziehungsberechtigten zu treten, brauchen die Lehrerinnen und Lehrer – gerade bei Schulen in sozial benachteiligter Lage - zusätzliche Zeit. Das sollte berücksichtigt und mitgedacht werden.”

Kontakt

Dr. Carolina Claus
E-Mail: carolina.claus@hu-berlin.de

Weitere Informationen

Das Buch zur Studie „Bildungsungleichheit im deutsch-argentinischen Vergleich. Konturen eines professionellen Verständnisses von Bildungsgerechtigkeit“ ist im Verlag Barbara Budrich erschienen.