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Das Humboldt Labor der Humboldt-Universität
Rendering der Projektion eines Fischschwarms. Foto: schnellebuntebilder
Im Winter 2020/21 öffnet das Humboldt Labor der Humboldt-Universität in digitaler Form. Auftaktausstellung "Nach der Natur" präsentiert im Humboldt Forum in einer großen Bandbreite von Forschungsansätzen die Wechselwirkungen zwischen Klimawandel und Biodiveritätsverlust sowie den weltweiten Anfechtungen demokratischer Ordnungsprizipien.
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Klassenfragen Folge 1: „Schon Aristoteles spricht von sozialen Klassen“
Professor Dr. Hans-Peter Müller ist Professor für Allgemeine Soziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin, seit Oktober 2019 emeritiert. Seine Forschungsfelder sind unter anderem die Soziologie der Lebensführung sowie Sozialstruktur und Ungleichheit. Er ist Mitglied des Vorstands in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS).
Herr Professor Dr. Müller, wofür brauchen wir den Klassenbegriff überhaupt?
Heute wird der Klassenbegriff scharf kritisiert, weil wir offiziell im „Zeitalter der Gleichheit“ leben. Da darf es so etwas wie Klassen eigentlich nicht geben, weil sie Ausdruck sozialer Ungleichheit sind. Da fängt das Problem mit dem Klassenbegriff schon an: Er ist sowohl normativ als auch politisch unerwünscht. Aus sozialwissenschaftlicher Sicht aber ist er nützlich, um – ich sage es mal neutral – soziale Kreise innerhalb einer Gesellschaft zu unterscheiden. Klasse ist, wie der französische Soziologe Pierre Bourdieu gesagt hat, nichts anderes als Klassifikation. Wir teilen Menschen nach bestimmten Merkmalen ein – beispielsweise nach sozialer Lage, sozioökonomischer Ausstattung und Bildung. Dabei stellt man fest: Es gibt so etwas wie gesellschaftliche Hierarchien. Weil das aber im Zeitalter der Gleichheit ein Menetekel ist, wird diese Feststellung häufig mit politischen Forderungen nach sozialem Ausgleich.
In welchem Zusammenhang ist der Begriff der Klasse entstanden?
Der Begriff geht auf die Antike zurück. Schon Aristoteles spricht von sozialen Klassen. Auch Athen war eine Demokratie, aber keine Demokratie von Gleichen. Es gab Vollbürger, Nicht-Vollbürger und das, was wir heute Unter-Klasse nennen würden. Wichtig geworden ist der Begriff im Alten Rom, durch die „Classis“, wörtlich übersetzt „Flotte“. Die Römer haben den Begriff benutzt, um Menschen nach Steuerklassen einzuteilen. Das hat bis weit in die Neuzeit gewirkt. Noch im deutschen Kaiserreich hat der Steuerbegriff etwas mit dem militärischen Dienst zu tun. Wer sich selbst ausrüsten konnte, hatte Privilegien. Ritter haben Pferd und Rüstung selber mitgebracht. Ein Bauer hatte nur seine Mistgabel. Im indogermanischen Sprachraum war statt „Klasse“ der Begriff der Stände verbreitet: Die politische und kriegführenden Stände (bellatores), die betenden Stände (oratores) und der große Rest, die arbeitenden Stände (laboratores). Dazu gehörten auch die Proletarier, die besitzlosen und lohnabhängigen Stände. In traditionellen Gesellschaften sind Klassen kein Problem, weil die Menschen bis Jean-Jacques Rousseau der Meinung waren, dass Menschen von Natur aus ungleich sind.
Also ging es zuerst um eine Zustandsbeschreibung. Wann kamen soziale Kämpfe ins Spiel?
Soziale Kämpfe hat es in der gesamten Menschheitsgeschichte gegeben. Unterprivilegierte Gruppierungen haben dafür gekämpft, dass es ihnen besser geht – wie bei den Bauernaufständen zum Beispiel. Natürlich wurde auch in feudalen Gesellschaften versucht, das eigene Los zu verbessern. Dass diese Versuche als Klassenkämpfe tituliert werden, ist eine Folge des 19. Jahrhunderts und wurde stark durch Marx und Engels beeinflusst. Das kommunistische Manifest ist sicherlich das Gründungsdokument einer sehr scharfen politischen Klassenbegrifflichkeit, die mit der sozialen Frage verbunden ist. Denn durch die Industrialisierung entstand eine große Arbeiterklasse, deren Lebensbedingungen nicht zu den Versprechen der Französischen Revolution passt: Freiheit Gleichheit und Brüderlichkeit. Karl Marx erweckte den Anschein – was soziologisch gar nicht unbedingt der Fall sein muss – dass „Klassen“ immer Klassenkampf bedeutet und Klassen auch immer ein Klassenbewusstsein haben.
Derzeit scheint es eine Renaissance des Begriffs zu geben. Warum?
Es gab immer mal wieder Renaissancen des Begriffs – eine im Gefolge der Studentenrevolte 1968. Man hat in den Sechzigerjahren Marx wiederentdeckt und die alte Bundesrepublik Deutschland als Klassengesellschaft bezeichnet. Durchgesetzt hat sich das jedoch nicht wirklich. Es gab zwar so etwas wie eine marxistische Soziologie, die mit dieser Begrifflichkeit gearbeitet hat, aber es gab auch heftige Bedenken. Denn die alte Bundesrepublik war spätestens ab den Sechzigerjahren eine Gesellschaft, in der es permanent allen besser ging. In den Achtzigerjahren hat Ulrich Beck das mit dem Begriff „Fahrstuhleffekt“ auf den Punkt gebracht. Wenn alle „aufsteigen“, weil der Wohlstand wächst, verflüchtigt sich der Eindruck, zu einer Klasse zu gehören. Deshalb hat die bundesdeutsche Soziologie eher die Begriffe „Schicht“ oder „Milieu“ benutzt. Man hat gesagt: Klassen und Klassenkampf gibt es doch gar nicht mehr, denn wir haben Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und Tarifautonomie. Dann wurde das Theorem der Individualisierung aufgestellt: Die Menschen streben mehr nach ihrem eigenen Wohlergehen und Selbstverwirklichung. Statt materieller werden postmaterielle Werte wichtiger.
Und heute?
In den letzten Jahren beobachten wir wieder eine Renaissance des Begriffs. Es wird zwar immer noch Wachstum und Wohlstand produziert, aber das übersetzt sich nicht in die Wohlfahrt aller, sondern nur einiger weniger. Die Ungleichheit innerhalb der westlichen Länder hat deutlich zugenommen. Man könnte sagen: Es gibt eine Renaissance der Klassen, weil die Menschen in komplett unterschiedlichen sozialen Lagen leben. Heute spricht man dabei nicht mehr vom Proletariat, sondern vom Prekariat. Der Begriff umfasst Menschen, die nur vorübergehend oder geringfügig beschäftigt sind, die sich keine Wohnung in den Innenstädten leisten können, nicht fürs Alter vorsorgen und keine Familie gründen können. Da stellen sich neue soziale Fragen.
Gibt es auch so etwas wie eine Renaissance des Klassenbewusstseins?
Das kommt immer darauf an, wie Sie das betrachten. Die Protestbewegung Occupy Wall Street hat behauptet: „Wir sind die 99 Prozent“. Interessanterweise wurde gesagt: Das ist eine klassenbasierte soziale Bewegung. Aber siehe da: Sie ist einfach im Sande verlaufen, weil die 99 Prozent intern sehr heterogen sind. Es war nur ein proklamiertes Klassenbewusstsein. Bei Marx ging es um die Industriearbeiter. Sie haben zusammen in Siedlungen gewohnt, die Familien haben untereinander geheiratet. Es gab einen unglaublichen internen sozialen Zusammenhalt, der für das selbstbewusste Klassengefühl gesorgt hat. Auch wenn man die Gelbwesten in Frankreich betrachtet, würde ich sagen: Nein, in einem technischen, soziologischen Sinne haben sie kein Klassenbewusstsein ausgebildet – aber ein Bewusstsein ihrer sozialen Lage: Wir haben zu wenig Ressourcen, um in dieser Gesellschaft mitmachen zu können, obwohl wir hart arbeiten. Man könnte sagen: Das ist die Klasse der Benachteiligten. Aber das ist eine externe Zuschreibung. Intern sind sie sehr unterschiedlich.
Das Interview führte Inga Dreyer
Klassenfragen Folge 2: Streik für die Care Revolution
In der zweiten Folge der Reihe Klassenfragen geht es über die Rolle des Klassenbegriffs in der Geschlechterforschung.
Der Klassenbegriff bezieht sich bei Karl Marx auf das Verhältnis zwischen Ausbeutenden und Ausgebeuteten im Kapitalismus. Er hatte die Situation der Proletarier, die nur ihre Arbeitskraft besitzen und diese auf dem Markt als Ware verkaufen müssen, im Blick. Ausbeutungsverhältnisse gibt es noch immer. Aber können Vertreterinnen und Vertreter moderner Forschungsrichtungen wie den Gender Studies noch etwas mit den Marx’schen Theorien anfangen? Wäre es beispielsweise für Care-Arbeiterinnen möglich, sich im Sinne einer sozialen Klasse zu organisieren?
Klasse ist zuerst einmal ein Begriff, der den Zusammenhang zwischen Reichtum und Armut in kapitalistischen Gesellschaften untersucht, sagt Prof. Dr. Christine Bauhardt, Leiterin des Fachgebiets Gender und Globalisierung am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der Humboldt-Universität. „Das Glück der Starken steht in direktem Zusammenhang mit dem Leid der Schwachen.“
Auch die Geschlechterforschung beschäftigt sich mit Herrschaftsverhältnissen. Sie richtet ihren Blick im Gegensatz zu Marx aber nicht nur auf bezahlte Lohnarbeitsverhältnisse, sondern auch auf weiblich konnotierte Sorge-, Haus- und Reproduktionsarbeit. Denn auch diese unbezahlten Tätigkeiten dienen der Anhäufung von Kapital und der Sicherung von Herrschaft, betont Christine Bauhardt, die aus Sicht der feministischen Ökonomiekritik argumentiert. „Von daher ist Klasse aus einer feministischen Perspektive ein Instrument, um zu verstehen, wie kapitalistische Produktionsweise und patriarchale Herrschaft gemeinsam funktionieren.“
Marx ging es auch um die Überwindung von Herrschaftszusammenhängen. Dafür brauche es Organisationsfähigkeit und Konfliktfähigkeit, erklärt Christine Bauhardt. Die Industriearbeiterschaft im späten 19. Jahrhundert traf sich beispielsweise in Gewerkschaftsräumen. Konfliktfähigkeit bewies sie, indem sie die Kapitalseite durch Streiks zwang, Arbeitsbedingungen zu verbessern.
In der Care-Arbeit sieht das anders aus. Weiblich besetzte Haus-und Sorgearbeit findet in der Privatsphäre der eigenen vier Wände statt. Es gibt keine Orte, um sich zu organisieren. Auch Streiks sind problematisch. Wenn Industriearbeiter die Produktion zum Stillstand bringen, kommen nur die Arbeitgeber zu Schaden, erklärt Christine Bauhardt. „Wenn aber Frauen ihre Arbeit in der sozialen Reproduktion einstellen, dann leiden Menschen ganz direkt darunter.“
Trotzdem gibt es Frauenstreik-Bewegungen – in Europa, aber auch darüber hinaus, berichtet die Politikwissenschaftlerin. Unter dem Stichwort „Care Revolution“ kämpfen Frauen (und Männer) für die Anerkennung reproduktiver Arbeit als ökonomisch höchst relevant. „Der feministische Frauenstreik ist ein sehr machtvolles Instrument, um zu zeigen, dass die ganze Gesellschaft stillgelegt wird, wenn Frauen diese Arbeiten nicht mehr übernehmen.“ Diese konkreten Erfahrungen widersprächen der These, Frauen könnten sich nicht im Sinne einer sozialen Klasse organisieren.
Was die universitäre Soziologie betrifft, beobachtet Dr. Mona Motakef, dass der Klassenbegriff wieder größere Beachtung findet. „Das liegt daran, dass Kapitalismusanalyse zeitweise als anrüchig und links galt. Heute wird anerkannt, dass kapitalistische Vergesellschaftung nichts Selbstverständliches ist und in seiner historischen Entwicklung analysiert werden muss“, sagt die Soziologin, die derzeit die Professur "Soziologie der Arbeit und Geschlechterverhältnisse" am Institut für Sozialwissenschaften der HU vertritt. Im Frühjahr 2020 erscheint ihr Buch „Prekäre Arbeit, prekäre Liebe. Über Anerkennung und unsichere Lebensverhältnisse“, das sie zusammen mit Prof. Dr. Christine Wimbauer geschrieben hat.
Sie forscht zum Zusammenhang von Arbeit und Geschlecht. „Wir haben beispielsweise gefragt, mit welchen Problemen unsicher Beschäftigte konfrontiert sind, wenn sie versuchen, Erwerbs- und Sorgearbeit zu vereinbaren.“ Eine Klassenperspektive spiele eine Rolle, obwohl sie den Begriff nicht verwendet. Sie spreche lieber von Prekarität und „prekären Lebenszusammenhängen“ statt vom Prekariat im Sinne einer neuen Klasse.
Der Klassenbegriff unterscheide zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten. „Das ist plakativ“, sagt Mona Motakef. Ihrer Meinung nach sind Lebenslagen – beispielsweise von Solo-Selbständigen im Medienbereich oder Care-Arbeiterinnen zu unterschiedlich, um sie in eine Schublade zu stecken.
Trotzdem sei der Klassenbegriff noch immer ein Schlüsselinstrument zur Erforschung von Ungleichheit. Verwendet wird er beispielsweise in der Intersektionalitäts-Forschung – in Verbindung mit anderen gesellschaftlichen Strukturkategorien wie Geschlecht, Ethnizität oder Alter. Verschiedene Merkmale, die Identitäten formen, werden dabei in den Blick genommen. „Die Intersektionalitäts-Debatte will uns darauf hinweisen, dass wir als Subjekte von unterschiedlichen Achsen sozialer Differenzierung durchzogen sind“, erklärt Christine Bauhardt. Im Intersektionalitätsansatz allerdings dominiere der englische Begriff „class“, derm Deutschen eher der Bedeutung von „Schicht“ entspreche und damit genau nicht den inneren Zusammenhang von ökonomischer Ausbeutung und Herrschaft zwischen Arm und Reich benennt.
Im Gegensatz zur Klassenanalyse nach Marx geht diese intersektionale Perspektive nicht nur von ökonomischen Fragen aus, sondern bezieht auch andere Faktoren sozialer Differenz ein, die zu Ungleichheit und Dominanzverhältnissen führen können. Wenn es allerdings um die Überwindung des kapitalistischen Systems gehe, stehe diese Perspektive in der Kritik, sagt Christine Bauhardt. Denn durch die Fokussierung auf unterschiedliche Identitäten und Differenzen gerate die gemeinsame Position der Herrschaftsunterworfenen im kapitalistischen System in den Hintergrund. „Soziale Differenzierungen sind funktional für den Kapitalismus, indem sie Solidaritäten verhindern“, sagt die Professorin. Kritisiert werde der Klassenbegriff für seine Homogenisierung unterschiedlicher sozialer Positionierungen, Nutzen bringe er im Sinne einer sozialen Mobilisierung und politischen Solidarisierung.
Autorin: Inga Dreyer
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Klassenfragen Folge 1: „Schon Aristoteles spricht von sozialen Klassen“
Klassenfragen Folge 3: Ist unser Bildungssystem ein Klassensystem?
Die dritte Folge der Serie „Klassenfragen“ stellt die Frage, ob unser Bildungssystem ein Klassensystem ist. Die Bildungsforscherin Prof. Dr. Rita Nikolai beschäftigt sich am Institut für Erziehungswissenschaften der Humboldt-Universität mit Schulsystemen und Bildungsungerechtigkeit.
„Wenn die Bourgeoisie ihnen vom Leben so viel lässt, als eben nötig ist, so dürfen wir uns nicht wundern, wenn sie ihnen auch nur so viel Bildung gibt, als im Interesse der Bourgeoisie liegt. Und das ist so viel wahrlich nicht.“ Ausführlich beschreibt Friedrich Engels in seinem 1845 erschienenen Werk „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ die mangelhaften Bildungschancen von Kindern aus Arbeiterfamilien: Kinderarbeit, Schulgeld und untaugliche Lehrer verhinderten, so Engels, die geistige und sittliche Bildung der Arbeiterklasse – und damit ihre politische Mündigkeit und gesellschaftliche Emanzipation. Bildung war deshalb traditionell eine zentrale Forderung der Arbeiterklasse.
„Bis in die 1950er und 1960er Jahre unterschieden sich die Bildungschancen der Arbeiterklasse und der höheren Klassen in Deutschland tatsächlich noch sehr stark“, erläutert die Bildungsforscherin Rita Nikolai. Für die meisten Kinder aus Arbeiterfamilien sei die Bildungskarriere nach acht Jahren Volksschule zu Ende gewesen. Höhere Klassen schickten ihre Kinder dagegen zumeist auf das Gymnasium. „In den meisten Bundesländern wurde das Schulgeld für Gymnasien erst in den 1950er Jahren abgeschafft. Bildungschancen waren also immer davon abhängig, was der Geldbeutel der Eltern hergab.“
„Bildungspolitik ist Interessenpolitik“
Rita Nikolai ist Heisenberg-Stipendiatin der Deutschen Forschungsgemeinschaft am Institut für Erziehungswissenschaften der Humboldt-Universität. Sie beschäftigt sich mit dem institutionellen Wandel von Schulsystemen und bringt dabei politische Aspekte mit erziehungswissenschaftlichen zusammen. „Bildungspolitik ist Interessenpolitik“, sagt sie. „Deshalb stelle ich mir immer die Frage, welche Interessengruppen sich bei bildungspolitischen Entscheidungen durchsetzen können und wie sich Veränderungen im Schulsystem auf Bildungsungleichheiten auswirken.“ Mit dem Blick auf 200 Jahre Schulgeschichte sagt Nikolai: „Es ist eine Mär, dass in hochselektiven Schulsystemen die Besten gefördert werden. Gefördert werden diejenigen, die sich am besten durchsetzen können. Und das sind immer Familien aus höheren sozialen Schichten.“
Heute können es scheinbar individuelle Entscheidungen sein, die sich im Verlauf einer Bildungskarriere summieren. Kinder aus „besserem Hause“ bekommen zum Ende der Grundschulzeit zum Beispiel häufiger die Empfehlung für das Gymnasium – und falls nicht, setzen sich ihre Eltern häufiger über Empfehlungen der Lehrperson hinweg. Es seien aber auch die großen politischen Weichenstellungen, bei denen die höheren sozialen Schichten sich stets durchsetzen, so Nikolai. „Sie wissen einfach, wie man Kampagnen führt und politischen Druck ausübt.“ Als Beispiel nennt sie die Hamburger Primarschulreform, die 2010 an einem Volksentscheid scheiterte. „Wahlkreise mit hohem Haushaltseinkommen waren sehr aktiv gegen eine Verlängerung der Grundschulzeit, in sozial schwachen Kreisen gab es kaum Wahlbeteiligung.“
„Die Klassengrenzen sind aufgeweicht“
Ziel der Reform war eine Ausweitung der Grundschulzeit in Hamburg von vier auf sechs Jahre. Eine Forderung, die aus Sicht vieler Bildungsforscherinnen und -forscher tatsächlich zentral wäre, um das deutsche Bildungssystem gerechter zu machen. „Der Zeitpunkt, an dem Eltern über die Zukunft ihrer Kinder entscheiden müssen, ist einfach zu früh“, sagt Nikolai. Internationale Vergleiche zeigen, dass Schulsysteme, in denen die Jugendlichen länger als in Deutschland gemeinsam lernen, sozial durchlässiger sind. Das heißt: Schülerinnen und Schüler haben dort bessere Chancen, einen Lebensweg zu wählen, der ihrer Begabung entspricht – und nicht ihrer sozialen Herkunft.
Um die soziale Herkunft wissenschaftlich zu erfassen sei der Begriff der Klasse heute allerdings nicht mehr hilfreich, sagt Rita Nikolai. „Die Klassengrenzen sind aufgeweicht. Bildungsnahe und bildungsferne, sozio-ökonomisch starke und schwache Schichten überlappen sich.“ Sinnvoll sei eine Kombination von Faktoren, wie sie beispielsweise der ESCS-Index (Index of economic, social and cultural status) der Pisa-Studie erfasse. Er berücksichtigt auch, wie viele Bücher oder Kunstwerke die Familie besitzt und ob es einen Internetzugang gibt.
Die Schülerschaft spiegelt idealerweise alle Gruppen der Gesellschaft
Rita Nikolai verwendet einen plakativen Vergleich, um deutlich zu machen, wer im deutschen Bildungssystem besonders benachteiligt ist: „Früher vereinte das katholische Arbeitermädchen vom Lande alle schlechten Bildungschancen auf sich. Heute ist es der Migrantensohn in der Großstadt.“ Ungleichheit beginne bereits in den Kindergärten und Grundschulen, wenn diese in sozial schwächeren Wohnvierteln schlechter ausgestattet seien. Und sie sei auch dann nicht überwunden, wenn junge Menschen es trotz schlechterer Ausgangssituation schließlich an die Universität schaffen. „Das Wissen, wie ich ein Studium finanziell überlebe, wie ich mit Dozenten umgehe, welche Rechte ich als Studierende habe und wie ich sie einfordere – das müssen sich Menschen aus bildungsfernen oder sozial schwächeren Schichten erst mühsam erarbeiten.“ Die Arbeit von Organisationen wie „Arbeiterkind“ oder „firstgen“ sei für den Ausgleich von Bildungsungerechtigkeiten deshalb sehr wichtig.
Aktuell beschäftigt Rita Nikolai der große Zulauf an Privatschulen. Besonders bei den Grundschulen sei der Anteil privater Schulen zwischen 1990 und 2016 um 345 Prozent gestiegen, erläutert sie. Die Gründe, warum Eltern sich gegen eine öffentliche Grundschule entscheiden, seien vielfältig. Beunruhigend sei jedoch, wenn Eltern glauben, dass Privatschulen generell eine bessere Bildung anböten und es eine bessere Passung zum elterlichen Milieu gebe. Wenn beispielsweise konfessionelle Schulen gewählt würden, um sicherzugehen, dass es in den Klassen keine muslimischen Schülerinnen und Schüler gibt.
Idealerweise spiegele eine Schülerschaft alle Gruppen der Gesellschaft, sagt Nikolai. Dies würde die Gleichheit der Bildungschancen für alle Kinder deutlich erhöhen. Aus lernpsychologischer Sicht würden zudem die Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern nicht in homogenen Klassen am besten gefördert, sondern in heterogenen: „Es geht ja nicht nur um Lesen, Schreiben oder Rechnen. Kinder müssen auch Empathie lernen. Und das Wissen, wie sie mit Menschen umgehen, die nicht über dieselben Ressourcen verfügen.“
Autorin: Stefanie Hardick
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Klassenfragen Folge 1: „Schon Aristoteles spricht von sozialen Klassen“
Klassenfragen Folge 4: „Selbst Menschen derselben Klasse haben heute sehr unterschiedliche Chancen“
Für die dritte Folge der Serie „Klassenfragen“ sprachen wir mit der Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Hanna Schwander darüber, ob unsere Gesellschaft immer ungerechter wird und welche politischen Folgen soziale Ungleichheit haben kann.
„Die Ausgangslage für politische Entscheidungen hat sich extrem verändert: Es gibt weniger Loyalität zu den Parteien, mehr Wechselwähler und darum auch mehr Parteien“, sagt die Politikwissenschaftlerin Hanna Schwander. Die Opposition werde vielfältiger, das Regieren schwieriger – und entsprechend geringer die Zufriedenheit mit der jeweiligen Regierung. Schwander, Professorin für Politische Soziologie und Sozialpolitik am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin (HU), untersucht, wie sich strukturelle Veränderungen in der Gesellschaft, des Sozialstaats und des Arbeitsmarkts auf den politischen Prozess auswirken, etwa auf politische Einstellungen, das Wählerverhalten, die Parteienbindungen oder Regierungszusammensetzungen. Und sie erforscht, wie sozialpolitische Maßnahmen wiederum in der Gesellschaft wirken und sie verändern.
Der Umbruch des Parteiensystems sei Spiegel und Folge der zunehmenden Individualisierung und Fragmentierung der Gesellschaft, sagt sie. „Die Berufsaussichten und Lebenschancen von Menschen in der gleichen Klasse unterscheiden sich heutzutage sehr stark. So stark, dass ich eigentlich gar nicht mehr von ‚Klassen‘ spreche.“ Traditionell bezögen sich Soziologen in ihrer Definition von Klassen stark auf Unterschiede in Besitzständen, insbesondere an den Produktionsmitteln. Zwar seien soziale Klassen, wie sie zum Beispiel Karl Marx und Friedrich Engels oder Max Weber definiert haben, auch früher nicht homogen gewesen, doch die Politik und auch die Forschung hätten stets den männlichen, besitzenden Klassenvertreter als Norm gesetzt und abweichende Lebensrealitäten ignoriert. Aber Frauen und Männer, jüngere und ältere Menschen oder Menschen mit Migrationshintergrund begegneten auf dem Arbeitsmarkt ganz unterschiedlichen Herausforderungen und Risiken – selbst, wenn sie derselben Berufs- oder Statusgruppe angehören. Schwander sagt: „Der Begriff der ‚Klasse‘ ist nicht falsch, es gibt immer noch die Vermögenden und das, was man als Unterschicht bezeichnen würde. Aber es gibt auch eine zunehmende Prekarisierung der Mittelschicht, eine wachsende Unsicherheit auf dem Arbeitsmarkt.“
„Insider“ und „Outsider“
In ihrer Forschung unterscheidet sie deshalb nach „Insidern“ und „Outsidern“: Insider sind diejenigen, die in sicheren Beschäftigungsverhältnissen stecken, vielleicht sogar Vermögen aufbauen und vererben können. Outsider jene, die in ständiger Angst um ihren Arbeitsplatz und ihr Auskommen leben – weil sie atypisch beschäftigt sind, alleinerziehend, gering qualifiziert oder im Leben nicht immer Glück hatten. „Es wird zunehmend schwieriger, sich über Erwerbsarbeit ein stabiles finanzielles Fundament aufzubauen. Sogar ein Hochschulabschluss ist heute keine Garantie für eine gesicherte, unbefristete, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Also für das, was der deutsche Sozialstaat fordert und fördert“, sagt Schwander. Die Debatte um Sozialleistungen zeige die Konfliktlinie zwischen Insidern und Outsidern recht deutlich: „Wenn Sozialleistungen lohnabhängig gezahlt werden, zementieren sie bestehende Einkommensunterschiede. Menschen, die weniger in die Sozialversicherungen eingezahlt haben, würden hingegen von einer Umverteilung profitieren.“
Doch seit den 1980er und 1990er orientierten sich konservative Parteien an neoliberalen Prinzipien der Arbeitsmarktpolitik, wie sie von Ronald Reagan oder Margaret Thatcher eingeführt wurden. Die Sozialdemokraten reinterpretierten diese als „Third Way“, indem sie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in die Verantwortung für ihren Erfolg – oder Misserfolg – auf dem Arbeitsmarkt nahmen. Auch aufgrund technologischer Entwicklungen, die von den Arbeitnehmern mehr Bildung verlangen, stagnieren die unteren Einkommen seitdem. Noch gravierender für die soziale Gerechtigkeit sei es jedoch, so Schwander, dass zugleich die Einkommen der oberen fünf Prozent der Beschäftigten rasant gestiegen seien. Zudem seien stabilisierende Faktoren wie Gewerkschaften oder Beschäftigungsschutz politisch entwertet worden.
„Männliche untere Mittelklasse hat es heute schwerer als früher“
Wie wirkt sich diese zunehmende ökonomische Ungleichheit auf das politische System aus? Sind es vor allem die „Abgehängten“ und „Modernisierungsverlierer“, die rechtspopulistische Parteien wie die AfD wählen? Um diese oft gehörte Hypothese zu unterprüfen, wertete Hanna Schwander gemeinsam mit dem Bremer Politikwissenschaftler Philip Manow Daten zur sozio-ökonomischen Situation von Kreisen und Gemeinden aus, in denen AfD gewählt wird. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass es nicht die „Outsider“ waren, die mit hoher Wahrscheinlichkeit AfD wählten. „Outsider nehmen an Wahlen gar nicht mehr teil.“ In west- wie in ostdeutschen Wahlkreisen wählten vor allem jene Menschen AfD, die eigentlich eine stabile Arbeitsmarktposition haben, also Insider sind, aber „gerade so auf der Kippe stehen und sich davor fürchten, abzusteigen.“
Ob die Angst vor dem sozialen Abstieg begründet ist oder nicht, oft geht damit ein Gefühl einher, von der Politik ungerecht behandelt zu werden. „Ganz vereinfacht gesagt, geht es hier um die männliche untere Mittelklasse, und die hat es heute tatsächlich schwerer als früher“, sagt Schwander. „Der männliche Alleinernährer hatte einen ganz anderen sozialen Status, er war das deutsche Modell. Die Gewerkschaften repräsentierten diesen Typ Mensch, die Parteien buhlten um ihn. Das ist heute nicht mehr so.“ Gerechter geworden sei die Gesellschaft hingegen zum Beispiel für Frauen. Sie hätten heute gesellschaftlich und wirtschaftlich mehr Chancen als früher. Im Vergleich zur glorifizierten Zeit des Wirtschaftswunders sei die Bundesrepublik heute weniger hierarchisch, sagt Schwander: „Althergebrachte Privilegien wurden in Frage gestellt, der Zugang zum Arbeitsmarkt geöffnet. Alle Gruppen, die vom männlichen Durchschnittsarbeitnehmer als Norm abweichen, stehen heute besser da.“
Autorin: Stefanie Hardick
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Klassenfragen Folge 1: „Schon Aristoteles spricht von sozialen Klassen“
Klassenfragen Folge 2: Streik für die Care Revolution
Klasssenfragen Folge 3: Ist unser Bildungssystem ein Klassensystem?
Klassenfragen Folge 5: Ist eine klassenlose Gesellschaft möglich?
In der fünften Folge der Serie „Klassenfragen“ erläutert Professor Dr. Joseph Vogl die Widersprüche des Klassenbegriffs und warum er heute eine Renaissance erlebt. Joseph Vogl ist Professor für Neuere deutsche Literatur / Literatur- und Kulturwissenschaft / Medien an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er beschäftigt sich unter anderem mit der kapitalistischen Moderne und ihren Akteuren.
Die Rede von „Klassenfragen“ ist mit einem nicht unerheblichen Begriffsrisiko verknüpft. Denn mit Klassenfragen und mit allem, was sich darauf reimt – wie Klassenlage, Klassenverhältnisse, Klassenbewusstsein, Klassenkampf –, gerät man nicht nur in einen Resonanzraum, in dem sich der Lärm älterer und scheinbar erledigter Schlachten auf eigentümliche Weise bewahrt hat. Vielmehr ist der Begriff der Klasse selbst immer noch ein Unruhekonzept. Es ist mit einem oszillierenden Begriffsinhalt ausgestattet und verweist damit auf überaus dynamische Sachverhalte in der sozialen, politischen und ökonomischen Welt. Heute ist die Kategorie der sozialen Schichtung gebräuchlich, die von einem distanzierten, neutralen und gleichsam geläuterten Blick auf die Gesellschaftsgeologie zeugt und sich dabei mit der aufgestapelten, mehr oder weniger stabilen Lagerung von Unter-, Mittel- und Oberschichten irgendwie abgefunden hat. Dagegen war schon die Entstehung des Klassenbegriffs von einer unruhigen Lage gekennzeichnet, in der sich eine Auflösung des Stehenden und des Ständischen vollzog.
Klassenbegriff nimmt Wirtschaftsverhältnisse in den Blick
Als man seit dem achtzehnten Jahrhundert damit angefangen hatte, das Ordnungskonzept der Klasse von Pflanzen und Tieren auf soziale Wesenheiten zu übertragen, wurde eben damit der Verlust älterer Ordnungsfiguren festgestellt. Der Klassenbegriff hat dabei nicht bloß den älteren Begriff des Standes ersetzt, er geriet vielmehr vor allem in jenen Zeiten in Umlauf, in denen die Ständegesellschaft samt ihrer Institutionen und Gesetze schleichend, revolutionär oder per Dekret an ihr Ende gelangt war: sei es mit der Französischen Revolution, sei es mit den preußischen Reformen zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts, sei es mit den Prozessen der Industrialisierung in Europa. So wenig es bis heute eine kohärente Theorie sozialer Klassen gibt (das Hauptwerk von Karl Marx brach übrigens genau mit dem Kapitel „Die Klassen“ ab), so sehr muss man das wohl als eine erste Bedeutungseinheit, als einen wesentlichen Grundton in der Verwendung des Klassenbegriffs festhalten: Wer von Klassen redet, unterstellt, dass es keine naturwüchsige Sozialordnung gibt, dass jedes Sozialverhältnis auf der Zerstörung von Sozialverhältnissen beruht. Man unterstellt also, dass sich die Kategorien, mit denen man soziale Verhältnisse zu erfassen versucht, an der Erfassung von Veränderungen und Prozessen messen lassen müssen.
Damit sind drei weitere Begriffselemente verknüpft. Schon bei den Physiokraten und bei Adam Smith, vor allem aber seit David Ricardo und Karl Marx nimmt der Klassenbegriff insbesondere Wirtschaftsverhältnisse in den Blick. Mit ihm werden der Ökonomie, den Reichtumsverteilungen, den Produktionsverhältnissen eine privilegierte Rolle in der Beschreibung und Selbstbeschreibung von Gesellschaften zugewiesen.
Wenn es dabei nicht zuletzt um die Feststellung von unterschiedlichen, unvereinbaren oder widerstreitenden Interessen geht, so ist der Klassenbegriff zweitens aus einem umkämpften Feld hervorgegangen, um sich wiederum auf Kämpfe und Konflikte zu beziehen. Die Rede von Klassen macht nur Sinn, wenn sie Machtgefüge, Antagonismen, strategische und taktische Operationen berücksichtigt. Und gerade weil diese Rede seit dem neunzehnten Jahrhundert mit der Beobachtung von Konfliktlinien (etwa zwischen Kapital und Arbeit), mit der Beobachtung von Repressionen und Emanzipationsbewegungen (etwa der Arbeiterklasse) verknüpft war, ist der Klassenbegriff selbst zu einem polemischen, das heißt kämpferischen und umkämpften Begriff geworden. Nicht von ungefähr wurden zuweilen Gesetze gegen die politische und diskursive Zuspitzung von Klassenkonflikten (bei Androhung von Geld- oder Freiheitsstrafen) erlassen; und gerade der deutsche Liberalismus hat keinen Zweifel daran gelassen, dass auch liberale Politik Klassenkampf bedeutet. Die „ganze Zukunft des Liberalismus“, schrieb etwa Friedrich Naumann um 1900, hängt „im weitesten Sinne davon ab, dass der Klassencharakter des Liberalismus frei und offen anerkannt werde, denn nur ein klassenbewusster Liberalismus hatte die Festigkeit, im allgemeinen Klassenkampf, der heute einmal da ist, seinen Mann zu stehen“. Das sollte man nicht vergessen: Der Liberalismus hat sich bis heute einer vehementen Klassenpolitik verschrieben.
Utopie einer klassenlosen Gesellschaft ist ferner denn je
Drittens aber ist der Klassenbegriff von inneren Spannungen geprägt, die ihn zu einem ebenso problematischen wie ergiebigen Diskurswerkzeug machen. Der Begriff der Klasse erfasst eben keine irgendwie „klassifizierbaren“ sozialen Einheiten, er erhält seine Prägnanz vielmehr dadurch, dass er sich auf die Problematisierung sozialer Verhältnisse bezieht. Das betrifft nicht nur das Verhältnis zwischen einer Klasse für sich und einer Klasse an sich (wie Marx gesagt hätte). Das betrifft auch jene Verwerfungen und Widersprüche, die zwischen gegebenen Klasseninteressen, politischen Standpunkten und Organisationsweisen und einem subjektiven oder soziokulturell bestimmten „Klassenbewusstsein“ bestehen. Der Klassenbegriff ruft somit eine soziale Ontologie auf den Plan, die weniger das Vorhandensein als das Werden und die Formierung von Klassensubjekten verfolgt. Es ist eben keine Selbstverständlichkeit, dass und wie sich Erfahrungen in kollektive Erfahrungen, diese in Klassenbewusstsein und dieses wiederum in politische Aktionsformen übersetzen.
Schließlich sollte man nicht übersehen, wie der Klassenbegriff (und seine Wiederkehr) heute mit einem intellektuellen und politischen Phantomschmerz verbunden ist, der entweder von fehlenden Begriffen für neue Sachverhalte oder von überholten Begriffen für verschwundene Sachlagen ausgelöst werden kann. Wahrscheinlich sind es wenigstens zwei Aspekte beziehungsweise Entwicklungen, die den Klassenbegriff heute im strengen Sinn frag-würdig und also diskutierenswert erscheinen lassen. Einerseits haben neue Arbeits- und Beschäftigungsformate sowie die Arbeitsmarktreformen der letzten Jahrzehnte zu einer systematischen Atomisierung in den gegenwärtigen Marktgesellschaften geführt. Sie haben eben jene Solidarmilieus zerstört, in denen einst gemeinsame Interessen politisches Interventionspotential und also Klassenbewusstsein entwickeln konnten. Andererseits möchte man daran erinnern, dass das aktuelle Finanzregime selbst einen neuen Klassenkampf ausgerufen hat. Warren Buffet, der amerikanische Großinvestor, hat das direkt, unmissverständlich und durchaus selbstkritisch formuliert: „Der Klassenkrieg (class warfare) ist eine historische Tatsache; er wird von meiner Klasse – der Klasse der Reichen – geführt und wir sind dabei, ihn zu gewinnen.“ Tatsächlich hat man es heute wohl mit einer internationalen Reichtumsverteidigungspolitik zu tun, in der eine global operierende Klasse von Finanzoligarchien und supercitizens den erdschweren Staats- oder Unterbürgern (also dem Rest der Bevölkerung) den Krieg erklärt hat. Die Utopie einer klassenlosen Gesellschaft ist ferner denn je.
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Klassenfragen Folge 1: „Schon Aristoteles spricht von sozialen Klassen“
Klassenfragen Folge 2: Streik für die Care Revolution
Klasssenfragen Folge 3: Ist unser Bildungssystem ein Klassensystem?
Klassenfragen Folge 4: „Selbst Menschen derselben Klasse haben heute sehr unterschiedliche Chancen“
Klassenfrage Folge 6: Kann es eine klassenlose Gesellschaft geben?
Zum Abschluss unseres Winterspecials zum Thema Klassenfragen haben sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Erziehungswissenschaft, den Geschichtswissenschaften, der Soziologie und der Philosophie auf das Gedankenspiel eingelassen und auf die Frage geantwortet, ob es eine klassenlose Gesellschaft geben kann.
Die Bildungsforscherin Prof. Dr. Rita Nikolai beschäftigt sich am Institut für Erziehungswissenschaften der Humboldt-Universität mit Schulsystemen und Bildungsungerechtigkeit.
„Das würde ich mir wünschen, aber das scheitert in der Realität oft daran, dass sich die Habenden durchzusetzen wissen. Umso wichtiger sind daher die zwei Seiten des Sozialstaates: Bildung und sozialer Schutz. Letzteres vor allem für diejenigen, die durch das Bildungssystem fallen.“
Dr. Martin Lutz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Seine Forschungsinteressen sind der Einfluss von Religion auf ökonomisches Handeln, die Geschichte der Globalisierung, die Unternehmensgeschichte und die Institutionentheorie.
„Es gab in der Geschichte immer wieder Versuche, eine klassenlose Gesellschaft zu schaffen. Oft waren diese Versuche religiös motiviert. Ein Beispiel ist die christliche Glaubensgemeinschaft der Hutterischen Brüder. Für sie ist die Gleichheit der Menschen vor Gott Ausgangspunkt der sozialen Organisation ihrer Gemeinden. Dazu zählt die Eigentumslosigkeit des Individuums, wie sie in zwei Versen der Apostelgeschichte zur christlichen Urgemeinde formuliert wird: „Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam. Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte.“ (Apostelgeschichte 2:44-45, Lutherbibel)
Die Hutterer entstanden als Teil der Täuferbewegung in der Reformationszeit in Mitteleuropa. Nach Jahrhunderten religiöser Verfolgung und mehreren Migrationen befinden sich die gemeinschaftlichen Siedlungen („Bruderhöfe“) der heute rund 50.000 Gemeindemitglieder überwiegend in Kanada und den USA. Mitglieder eines Bruderhofs haben kein persönliches Eigentum. Sie werden nach ihren Bedürfnissen von der Gemeinschaft versorgt, allerdings nur so lange sie sich der strengen religiösen und sozialen Lebensreglementierung unterwerfen. Im sozioökonomischen Sinne ist eine klassenlose Gesellschaft unter Hutterern Realität. Die Gemeinden sind allerdings auch durch klare Hierarchien wie beispielsweise eine hohe Autorität von Predigern und Ältesten sowie einer klaren Aufteilung von Geschlechterrollen geprägt.“
Prof. Dr. Rahel Jaeggi ist Professorin für Praktische Philosophie an der HU und leitet das Humanities and Social Change Center Berlin. Ihre Schwerpunkte liegen unter anderem in der Sozial- und Rechtsphilosophie sowie der politischen Philosophie und der philosophischen Ethik.
„Das kommt darauf an:
Kann es eine moderne, arbeitsteilige, ausdifferenzierte Gesellschaft geben, in der Individuen nicht in unterschiedlichen Funktionen, mit je unterschiedlichen Kompetenzen, Qualifikationen und Motivationen am gesellschaftlichen Kooperationszusammenhang teilnehmen?
Vermutlich nicht.
Kann es eine Gesellschaft geben, in der diese Unterschiede nicht hierarchisch geschichtet sind und sich nicht in krass asymmetrischen Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe ausdrücken? In der also Pflegekräfte, Erzieher_innen, Müllarbeiter_innen, Arbeiter_innen gemäß ihrem Beitrag zur gesellschaftlichen Reproduktion anerkannt und bezahlt werden, statt ein Hundert- oder Tausendfaches weniger zu verdienen als Finanzmanager oder Manager z B in der Automobilindustrie, die uns in die vielfachen gegenwärtigen Krisen hineinmanövriert haben? Und kann es eine Gesellschaft geben, in der ein immer größerer Teil der Gesellschaft nicht in prekären Verhältnissen lebt?
Sicherlich.
Lässt sich andererseits eine Gesellschaft denken, in der sich die vielfältigen sozialen Konfliktlinien nicht zu Macht- und Interessensgegensätzen stabilisieren, bei denen vorentschieden ist, welche soziale Gruppe sich durchsetzt und welche Probleme überhaupt auf die Agenda der öffentlichen Auseinandersetzung gesetzt werden können? Daran wäre zu arbeiten. Unter anderem ist das eine Frage der sozialen Auseinandersetzung und sozialer Kämpfe, des Willens zur politischen Gestaltung ökonomischer Verhältnisse und der (Wieder-) Aneignung unserer Lebensbedingungen. Manche würden dieses Projekt einen erneuerten demokratischen Sozialismus nennen.“
Prof. Dr. Hans-Peter Müller ist Professor für Allgemeine Soziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin, seit Oktober 2019 emeritiert. Seine Forschungsfelder sind unter anderem die Soziologie der Lebensführung sowie Sozialstruktur und Ungleichheit. Er ist Mitglied des Vorstands in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS).
„Dafür müssten wir erst einmal klären, ob wir heute überhaupt in einer Klassengesellschaft leben. Bourdieus Idee war, dass jede Gesellschaft hierarchisch aufgebaut ist. Es gibt ein Oben, ein Unten und eine Mitte. Das Distinktionskriterium ist der Geschmack. Ich schaue mir Lebensstile an – beispielsweise Freizeit- und Familienmuster – und kann die Menschen danach in Klassen einteilen. Auf diese Weise kann ich ein relativ kohärentes Bild einer Gesellschaft bekommen. Den Wandel der Gestalt der Klassengesellschaft kann ich daran sehen, wie groß das Oben, die Mitte und das Unten sind.
Wenn das Unten wächst und die Mitte schrumpft, ist das ein Anzeichen für ein Wiederkehren der Klassengesellschaft. Insofern kann man im Vergleich zu den Achtziger- und den Neunzigerjahren schon sagen, dass es Anzeichen gibt, dass die Klassengesellschaft in Deutschland zurückkehrt.
Man darf aber die Wirkung des Sozialstaats nicht unterschätzen, der nach wie vor in erheblichem Maße Ungerechtigkeiten ausgleicht. Eine klassenlose Gesellschaft ist eine Utopie. Wenn man davon ausgeht, dass alle Menschen gleich sind, dann sollten sie auch gleichwertige Lebensverhältnisse haben. Das ist das Ziel von Politik. Klassenlos aber ist keine Gesellschaft, denn es wird immer Reichtumsunterschiede geben. Aber es kommt dem Eindruck von Klassenlosigkeit recht nah, wenn eine Gesellschaft sehr wohlhabend ist. Denn dann verorten sich Menschen nicht unter der Klassenbegrifflichkeit, sondern haben das Gefühl, annähernd auf Augenhöhe verkehren zu können.“
Weitere Informationen
Klassenfragen Folge 1: „Schon Aristoteles spricht von sozialen Klassen“
Klassenfragen Folge 2: Streik für die Care Revolution
Klasssenfragen Folge 3: Ist unser Bildungssystem ein Klassensystem?
Klassenfragen Folge 4: „Selbst Menschen derselben Klasse haben heute sehr unterschiedliche Chancen“
Klassenfragen Folge 5: Ist eine klassenlose Gesellschaft möglich?
Islamische und Katholische Theologie an der HU
Alle Informationen zum Berliner Institut für Islamische Theologie (BIT) und zum Institut für Katholische Theologie an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) gibt es auf den Webseiten.
#WIR SIND HUMBOLDT
Webseite WIR SIND HUMBOLDT mit Fotogalerie und Fotoautomat.
Berlin University Alliance
Die Freie Universität Berlin (FU), die Humboldt-Universität zu Berlin (HU), die Technische Universität Berlin (TU) sowie die Charité – Universitätsmedizin Berlin bewerben sich unter dem Namen Berlin University Alliance gemeinsam in der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder. Mit dem neuen, bundesweiten Förderwettbewerb, der der Exzellenzinitiative folgt, sollen wissenschaftliche Spitzenleistungen, Forschungskooperationen und die Profilbildung von Universitäten weiter gestärkt werden. Im Herbst 2018 hatten die vier Berliner Partnerinnen sieben Exzellenzcluster, also große Verbundforschungsprojekte zu zukunftsträchtigen Themen, eingeworben und damit die „Fahrkarte“ erhalten, um sich als Universitäten-Verbund um den Exzellenztitel zu bewerben.
Die Entscheidung, wer den Titel erhält, fällt am 19. Juli 2019. Neben der Berlin University Alliance sind noch 17 Universitäten und ein weiterer Verbund im Rennen. Ab November 2019 sollen bis zu elf Exzellenzuniversitäten oder Exzellenzverbünde gefördert werden. Im Erfolgsfall kann der Berliner Verbund insgesamt 196 Millionen Euro in sieben Jahren beantragen, um seine strategischen Pläne umzusetzen.
Die HU hat ein eigenes Cluster, Matters of Activity, das an das 2012 bewilligte Cluster Bild Wissen Gestaltung anknüpft, eingeworben. Außerdem ist sie an drei erfolgreichen Clustern beteiligt: Science of Intelligence (SCIoI), ein Neuling unter den Clustern, Neurocure, ein Verbund von HU, FU und Charité, sowie MATH+, ein Zusammenschluss von HU, FU und TU.
Aktuelles aus dem Verbund
Anschubförderung für gemeinsame Forschungsprojekte - Die University of Melbourne und die Partnerinnen der Berlin University Alliance legen ein Förderprogramm für gemeinsame Forschungsprojekte auf
Neue Professuren für Digitalisierungsforschung - Vier Wissenschaftler forschen am Einstein Center Digital Future künftig zu computer-assistierter Medizin, Wandel der Arbeitswelt und biomedizinische Bildgebungsverfahren
Von Schlaganfallforschung bis Globalgeschichte
Einstein Stiftung Berlin fördert Forschungsvorhaben und -aufenthalte an den drei großen Berliner Universitäten und der Charité
Matters of Activity: Image Space Material
Eine neue Kultur des Materialen
Foto: Bild Wissen Gestaltung
Konsequenter kann man die Idee der Trennung von Körper und Geist eigentlich nicht in ein Produkt umsetzen. Im Silicon Valley des 21. Jahrhunderts hat sich der Geist gleichsam des Körpers entledigt, „leben“ Algorithmen ohne Verfallsdatum auf immer neuen, verschleißenden Festplatten. So verführerisch scheint einigen dieses Unsterblichkeitsmodell zu sein, dass ein Start-up es nun gar auf den Menschen übertragen will, indem es das Gehirn, vielmehr: dessen Denkaktivität, in eine Cloud hochladen möchte. Der Körper als Trägermaterial einer unsterblichen Information, beliebig austauschbar oder sogar ganz und gar überflüssig?
Einem radikal anderen Blick auf die Welt der Materie kann man in der Sophienstraße in Berlin-Mitte begegnen. Hier befinden sich die Räumlichkeiten des Exzellenzclusters Matters of Activity, der im Januar 2019 die Arbeit aufgenommen hat. Schon der Name zeigt: Materie wird hier nicht als etwas Passives verstanden, das nach Maßgabe eines externen Willens funktionieren muss und bei Versagen verschrottet wird, sondern als etwas Eigengesetzliches, dessen Regungen bejaht und als produktiv betrachtet werden. Wolfgang Schäffner, Professor für Wissens- und Kulturgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin, ist Sprecher des neuen Exzellenzclusters. Die westliche Postmoderne, deren Blick auf das Materiale er und seine Mitstreitenden verändern wollen, begreift er als geprägt von einer Kultur des Konservierens. „Veränderung ist in unserer gegenwärtigen Kultur des Materialen nicht vorgesehen, die Aktivität eines Materials will man also meist ausschalten. Ein Tisch aus Holz soll genau so bleiben, wie er ist, und nicht mit der Zeit aus dem Leim gehen; Eisen korrodiert, man braucht einen Korrosionsschutz.“
Alterungsprozesse aufhalten zugunsten eines Ideals starrer Unvergänglichkeit – in einem nach Unordnung strebenden Universum ist das ein Kampf auf verlorenem Posten. Dass man Artefakte auch ganz anders denken kann, zeigt der Philosoph, Literaturwissenschaftler und Medizinhistoriker, indem er die europäische Haltung mit einem Beispiel aus Fernost kontrastiert. „Japanische Schreine stehen unter Denkmalschutz wie viele Gebäude hierzulande auch, werden aber alle 20 Jahre abgerissen und dann neu aufgebaut“, sagt Schäffner. Der Forscher bezieht sich auf eine Tradition im Rahmen der Naturreligion Shintoismus, die im Gegensatz zu den meisten europäischen Denktraditionen auf das Diesseits fokussiert. „Dort ist es also der Bauprozess, der bewahrt wird, während wir die Objekte der Vergangenheit selbst wie Leichen konservieren.“ Eine Kultur des Einbalsamierens, die dem Tod so mindestens symbolisch ein Schnippchen schlagen will?
„Das Auto war niemals als Massenprodukt gedacht“
Die historischen Ursprünge der Neigung zum übermäßig haltbaren Produkt verortet Wolfgang Schäffner vor allem im 19. Jahrhundert. „Das war die Zeit der Eisenbahn, der Mechanik, von Beton und Stahl, von passiven, harten und starren Materialien.“ Prinzipien von damals hätten auch im 20. Jahrhundert Gültigkeit gehabt und fänden sogar heute noch Anwendung. Unter anderem im Gebrauch schwer recycelbarer Materialien, die oft bereits in der Herstellung übermäßig viel Energie verschlingen. Material würde hier ausschließlich passiv gedacht und müsste „gegenüber einem Befehlsgeber stillhalten, wie ein Sklave. Das ignoriert eine Intelligenz, die in der Sache selbst liegt, was extrem viel Energie kostet.“ Gemeint ist, dass in einem solchen Design das Einwirken von Umweltfaktoren – Sonneneinstrahlung, Feuchtigkeit, Temperaturschwankungen – kostenintensiv unterbunden wird.
Solche Warendesignideen sind heute Basis einer globalen Industrie, die jedes Jahr ihre Erträge steigert. Verhängnisvoll ist das nicht nur in Hinblick auf die stetig wachsenden Plastikmüllgebirge. „Um ein konkretes Beispiel für dieses Denken in der Produktion zu nennen: Das Auto ist das Erbe der Eisenbahn, eine historische Altlast, die wir mit uns herumschleppen. Wir bauen da etwas, das eine Tonne schwer ist, um ein Objekt von unter 100 Kilogramm zu bewegen“, betont Wolfgang Schäffner und schüttelt den Kopf. „Noch dazu war das niemals als Massenprodukt gedacht. Dazu kann man nur sagen, dass die gegenwärtige Technologie in Hinblick auf die Gestaltung das Spiel von vornherein verloren hat. Ingenieurstechnisch steckt zwar eine Menge Know-how dahinter. Aber Matters of Activity denkt in einer ganz anderen Richtung.
Wo der Mensch nach wie vor gern Entwürfe in Beton gießt, arbeiten natürliche Systeme meist mit abbaubaren, adaptiven Materialien. „Die Dinge gehen in der Natur vielleicht nicht so schnell wie bei einem Flugzeug und mit Holz kann man vielleicht nicht ganz so hoch bauen – dafür ist das energetisch viel nachhaltiger“, sagt Wolfgang Schäffner. Hochkomplexe Strukturen würden in biologischen Systemen häufig durch die situativ anpassbare Architektur eines einzigen Stoffes, etwa eines Faserstoffes wie Zellulose, erreicht. Solche Materialien und Systeme, die an und in ihnen stattfindenden Prozesse des Webens, Schneidens und Filterns, will das Forscherteam untersuchen, in ihrer Funktionsweise besser verstehen und auf Adaptierbarkeit hin untersuchen, um so Alternativen in Hinblick auf überkommenes Objektdesign zu entwickeln.
Natürliche Materialien arbeiten energieeffizient
Ein besonders eindrucksvolles Beispiel für einen adaptiven Prozess, der im Cluster untersucht wird: der Biofilm. Dieser besteht aus einer Schleimschicht, in der Mikroorganismen unterschiedlichen oder gleichen Typs leben, über chemische Signale miteinander kommunizieren und je nach Situation kollektiv ihr Verhalten anpassen. So schützen sich die Mikroorganismen gegenseitig vor dem Verhungern oder helfen sich im Kampf gegen Angreifer. Fast keine wässrige Grenzfläche – ob Schneidezahn, Waschbecken oder Waldboden – ist vor dem blitzschnellen Entstehen solcher Verbünde sicher. Dreidimensionale Struktur und Wachstum von Biofilmen hängen ganz und gar von den spezifischen Umweltbedingungen ab. Aufgrund ihrer strukturellen Komplexität lassen sie sich mathematisch bislang nicht beschreiben. „Schon ein Häufchen Bakterien baut also Strukturen, die unsere bisherigen Vorstellungen von Code und Intelligenz überfordern“, resümiert Schäffner und zeigt so das große Potenzial entsprechender Grundlagenforschung auf.
Bislang sei die Intelligenz von Systemen stets in digitale Steuerungen ausgelagert worden. „In der Natur gibt es eine solche Trennung von Arbeits- und operativer Einheit aber nicht. In jeder Holzstruktur, in jedem Blatt, steckt Code – nicht nur in der DNA.“ Struktur und Funktion hingen hier zusammen, ließen sich nicht voneinander trennen. Ziel des Clusters sei es insofern, das Analoge in seiner transdigitalen Qualität sichtbar zu machen. „Unser Kampf heißt heute Anthropozän. Herkömmliche Artefakte durch Äquivalente aus abbaubaren Stoffen wie Zellulose oder Zuckern zu ersetzen, ist das Optimum, das wir als Weltgemeinschaft perspektivisch erreichen können. So würden wir vermeiden, dass weitere Müllberge entstehen, die sich nicht mehr in den Wertstoffkreislauf rückführen lassen.“ Mit interdisziplinärer Grundlagenforschung zu Struktur und Aufbau solcher vergänglichen Materialien hofft der Cluster, die Welt dieser Zukunft einen Schritt näher zu bringen.
Autorin: Nora Lessing
Berlin University Alliance-Beilage im Tagesspiegel
Sprecher
Prof. Dr. Wolfgang Schäffner
Tel.: +49 (0)30 2093-66257
wolfgang.schaeffner@hu-berlin.de
Antragstellende Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Kooperationspartner
Direkt beteiligte Institutionen: Charité Berlin, Freie Universität Berlin, HTW Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, Kunstgewerbemuseum Berlin, MPI für Kolloid- und Grenzflächenforschung Potsdam, Technische Universität Berlin, Weißensee Kunsthochschule Berlin
Wichtigste Kooperationspartner (Auswahl)
Bard Graduate Center, New York; Bundesanstalt für Materialforschung und –prüfung, Berlin; École nationale supérieure des Arts Décoratifs, Paris; Universidad de Buenos Aires; Universidade de São Paulo; Wyss Institute / Harvard University
Weitere Informationen
Matters of Acitivity
Link zur Verbundwebseite
Weitere Cluster mit HU-Beteiligung
Foto: MATH+
Mit dem Forschungszentrum der Berliner Mathematik MATH+ entsteht ein institutionen- und disziplinübergreifender Exzellenzcluster, an dem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler neue Ansätze in der anwendungsorientierten Mathematik erforschen und weiterentwickeln wollen. Im Fokus stehen mathematische Grundlagen zur Nutzung immer größerer Datenmengen in den Lebens- und Materialwissenschaften, der Energie- und Netzwerkforschung oder den Geistes- und Sozialwissenschaften. Ziel ist es, neben wissenschaftlichen Fortschritten auch technologische Innovationen und ein umfassendes Verständnis sozialer Prozesse zu forcieren. MATH+ wurde von den drei großen Berliner Universitäten – Freie Universität Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin und Technische Universität Berlin – gemeinsam beantragt und bindet das Weierstraß-Institut für Angewandte Analysis und Stochastik sowie das Zuse-Institut Berlin konzeptionell wie strukturell ein. Es schreibt die Erfolgsgeschichten des renommierten Forschungszentrums Matheon und der Berlin Mathematical School fort, die seit 2006 durch die Exzellenzinitiative gefördert wird.
„Die Entscheidung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, den Exzellenzcluster MATH+ zu fördern, bestätigt die herausragende Stellung Berlins als international exzellenter Standort, an dem die Mathematik in ihrer gesamten Breite, von der reinen Theorie bis hin zu einer großen Vielzahl mathematischer Anwendungsfelder, vorangetrieben wird“, betont Professor Martin Skutella von der Technischen Universität Berlin und einer der drei Sprecher von MATH+. Die konsequent interdisziplinäre Ausrichtung von MATH+ werde dazu beitragen, Fortschritte bei so wichtigen Zukunftsthemen wie der nachhaltigen Energieversorgung, der individualisierten Medizin oder auch der Analyse sozialer Prozesse zu erzielen.
„Unsere Forschung wird durch einen Transferbereich komplementiert, dessen Aufgabe es ist, Forschungsergebnisse möglichst zeitnah in Industrie und Gesellschaft zu bringen“, erläutert Clustersprecher Professor Michael Hintermüller von der Humboldt-Universität zu Berlin.
Das Forschungsprogramm von MATH+ geht aber weit über die technologie-orientierte Forschung hinaus. „Unser Ziel ist es, in ausgewählten Zukunftsfeldern mit Mathematik neue Themen zu erschließen“, erklärt der dritte Sprecher, Professor Christof Schütte von der Freien Universität Berlin. „Dabei denken wir an ungewöhnliche und neue Kooperationen zu gesellschaftlich relevanten Themen, insbesondere mit Kollegen aus den Geistes- und Sozialwissenschaften.“ Neben konkrete Forschungsprojekte soll hier ein neues kreatives Element treten, das „Topic Development Lab“: Es schafft intellektuelle Freiräume und bietet einen Rahmen für ganz unterschiedliche Formate. Hier sollen weltweit renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus allen Disziplinen zusammenkommen und neue Forschungsthemen explorieren. Darüber hinaus wird MATH+ selbst zum Forschungsobjekt: Im Rahmen einer soziologischen Untersuchung soll analysiert werden, welche Rolle der Exzellenzcluster in der Karriere-Entwicklung junger Mathematikerinnen einnimmt, wie er sich auf Karriere-Entscheidungen und die akademische Auswahlprozesse auswirkt.
MATH+ will nachhaltig auf die Entwicklung der Mathematik in Deutschland und der Welt ausstrahlen. Deshalb wird der Ausbildung in Studium und Forschung höchste Bedeutung zugemessen. Hier baut MATH+ auf eine Weiterentwicklung der international renommierten Berlin Mathematical School (BMS), unter anderem mit dem Ziel, die Karrierelücke zwischen der Phase als Postdoktorandin oder -doktorand und einer Professur zu schließen.
Sprecher
Prof. Dr. Michael Hintermüller (Humboldt-Universität zu Berlin)
Tel.: 030 2093-2668
hint@math.hu-berlin.de
Prof. Dr. Christof Schütte (Freie Universität Berlin),
Tel.: 030 838-75353
schuette@mi.fu-berlin.de
Prof. Dr. Martin Skutella (Technische Universität Berlin)
Tel.: 030 314-78654
martin.skutella@tu-berlin.de
Antragstellende Forschungsinstitutionen:
Technische Universität Berlin (Sprecherhochschule)
Freie Universität Berlin
Humboldt-Universität zu Berlin
Kooperationspartner
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Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
-
Deutsches Archäologisches Institut (DAI)
-
Ferdinand-Braun-Institut, Leibniz-Institut für Höchstfrequenztechnik (FBH)
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Helmholtz Zentrum Berlin für Materialien und Energie (HZB)
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Max Delbrück Centrum für molekulare Medizin (MDC)
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Max-Planck-Institut für molekulare Genetik (MPIMG)
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Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB)
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Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK)
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Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)
Weitere Informationen
Foto: Andreas Horn
Der neurowissenschaftliche Exzellenzcluster NeuroCure wird bereits seit 2007 im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder an der Charité – Universitätsmedizin Berlin gefördert und kann nun seine erfolgreiche Arbeit fortsetzen. Die Erforschung von neurologischen sowie psychiatrischen Krankheitsmechanismen und die Übertragung grundlagenwissenschaftlicher Erkenntnisse in klinisches Handeln, kurz: Translation, stehen im Zentrum des interdisziplinären und internationalen Konsortiums. NeuroCure wird sich in Zukunft mit Projekten aus dem gesamten Lebensbereich – von der embryonalen Entwicklung bis ins hohe Alter – beschäftigen und neue innovative Module etablieren, die den Translationsprozess beschleunigen.
NeuroCure ist an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, der gemeinsamen medizinischen Fakultät von Freier Universität Berlin und der Humboldt-Universität zu Berlin – angesiedelt und kooperiert eng mit verschiedenen außeruniversitären Forschungseinrichtungen.
„Unser Ziel ist, Erkenntnisse aus der neurowissenschaftlichen Grundlagenforschung noch erfolgreicher als bisher in die klinische Anwendung zu überführen und neue therapeutische sowie diagnostische Ansätze für Patientinnen und Patienten zu entwickeln,“ sagt Prof. Dietmar Schmitz, Direktor des Neurowissenschaftlichen Forschungszentrums an der Charité und Sprecher des Clusters.
Die Untersuchungsansätze reichen von molekularen Methoden über bildgebende Verfahren bis zu verhaltensbiologischen und neuropsychologischen Untersuchungen. Dabei stehen Entwicklungsstörungen, aber auch Erkrankungen wie Parkinson, Multiple Sklerose, Demenz und Epilepsie sowie verschiedene psychiatrische Krankheitsbilder wie Schizophrenie, Sucht und Depression im Vordergrund. „Mit unserer Forschung möchten wir übergreifende Mechanismen über die Entstehung und die Verläufe von neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen identifizieren und uns nicht allein auf eine spezifische Krankheit des zentralen Nervensystems fokussieren. Dabei ist unsere interdisziplinäre Zusammenarbeit sehr wichtig, damit wir aussichtsreiche Therapien entwickeln können“, erklärt Dietmar Schmitz. Um die Forschung der Neurowissenschaftlerinnen und -wissenschaftler zu unterstützen, werden Know-how und hochmoderne Geräte in zentralen Einrichtungen zur Verfügung gestellt.
Zur Förderung der klinischen Forschung wird das bereits etablierte NeuroCure Clinical Research Center durch das Modul 'BrainLab' erweitert. Zukünftig werden in enger Zusammenarbeit mit den klinischen Bereichen der Neurochirurgie und der neurologischen Intensivstation Behandlungswege insbesondere für akute und hyperakute Erkrankungen entwickelt. Dies ermöglicht eine noch umfassendere Erforschung verschiedenster neurologischer Krankheitsbilder.
Das Mentoring-Programm 'SPARK-Berlin' soll die Umsetzung von Ergebnissen aus der Forschung in klinisch-relevante Arzneimittel und Diagnostika beschleunigen.
Mithilfe des 'VOS-Moduls' (Value and Open Science) soll die Vorhersagekraft und Reproduzierbarkeit der Forschung verbessert werden; zudem soll ein freier Zugang zu den Resultaten der wissenschaftlichen Arbeiten ermöglicht werden.
„Gerade durch die Schaffung dieser neuen strukturellen Module, der Vernetzung der laufenden Forschungsaktivitäten sowie durch die Rekrutierung exzellenter Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler wird der neurowissenschaftliche Standort Berlin beständig ausgebaut“, so Schmitz.
Zu den Partnern von NeuroCure zählen das Deutsche Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE), das Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP) und das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC). Auch wird die Zusammenarbeit mit den beiden transnationalen Forschungszentren, dem Berliner Institut für Gesundheitsforschung/Berlin Institute of Health (BIH) und dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), weiter ausgebaut.
Sprecher
Prof. Dr. Dietmar Schmitz (Charité – Universitätsmedizin Berlin)
Antragstellende Hochschulen
Freie Universität Berlin und Humboldt-Universität zu Berlin als Trägerinnen der Charité – Universitätsmedizin Berlin
Beteiligte Institutionen
Helmholtz Gemeinschaft (Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen/DZNE
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin/MDC), Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP)
Max-Planck Gesellschaft (MPIIB)
Kooperationspartner
Berliner Institut für Gesundheitsforschung/Berlin Institute of Health (BIH)
Deutsche Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE)
Max-Planck-Institut für Bildungsforschung (MPIB)
Weitere Informationen
Foto: Oliver Brock
Künstliche Intelligenz (KI) wird unseren Alltag grundlegend verändern – so sagen es wissenschaftliche Studien vor- aus. Der Exzellenzcluster Science of Intelligence (SCIoI) beschäftigt sich ganz grundlegend mit allen Facetten der Intelligenz: Welche fundamentalen Prinzipien liegen den unterschiedlichen Formen von Intelligenz zugrunde? In dem Cluster kooperieren Forschende aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen, von der Psychologie, der Medizin, der Robotik bis hin zur Philosophie, daher ist die Begriffsschärfung ein wesentliches Etappenziel.
„In der Informatik und Robotik definieren wir künstliche Intelligenz als ein Verhalten bei technischen Systemen, das wir bei biologischen Systemen als intelligent bezeichnen würden“, sagt Verena Hafner, Professorin für Adaptive Systeme an der Humboldt-Universität. „Nicht nur Menschen, sondern auch einzelne Tiere, Fischschwärme oder Roboter können intelligent sein. Intelligentes Verhalten bei künstlichen Systemen kann völlig anders aussehen als bei Menschen.“
Ihr Kollege John-Dylan Haynes, Professor für Psychologie und Neurowissenschaften an der Humboldt-Universität und der Charité – Universitätsmedizin Berlin, definiert Intelligenz so: „In der Psychologie hat die Intelligenzforschung eine lange Tradition. Der berühmte Intelligenzquotient gilt dort als Maß für geistige Leistungsfähigkeit. Aber auch die psychologischen Intelligenzforscher finden nur schwer eine gemeinsame Definition. Es gibt immer noch keine Einigkeit über die Grundmechanismen menschlicher Denkprozesse.“ Sabine Ammon hält die Spannungen zwischen den Disziplinen für unvermeidbar: „Wir können sie aber produktiv nutzen und Unstimmigkeiten als Auslöser neuer Denkansätze sehen“, sagt die Professorin für Philosophie an der Technischen Universität Berlin. „Allein in der Philosophie versuchen wir seit mehr als 2000 Jahren das Denken zu verstehen. Was heute als Intelligenz diskutiert wird, wurde zu anderen Zeiten Verstand oder Geist genannt.“
In einem Programm wird jede neue Theorie nachgebaut
Damit bei so unterschiedlichen Zugängen Zusammenarbeit überhaupt gelingen kann, haben sich die Forschenden vorab auf ein paar zentrale Kriterien für Intelligenz geeinigt: Sie ist anpassbar, liefert nicht nur Lösungen für Nischenprobleme, sondern ist in vielen Anwendungssituationen einsetzbar. „Intelligente Lösungen sind elegant und effektiv, sie arbeiten nicht mit der Brechstange. In einem Schachcomputer werden mit viel Rechenleistung alle denkbaren Handlungsoptionen durchgespielt. Die meisten Alltagsprobleme sind aber mit hohem Zeitdruck verbunden. Da bleibt keine Gelegenheit, alle Optionen durchzuspielen“, erläutert Haynes. „Intelligent ist es, die erfolgversprechendsten Lösungsoptionen auf effektive Weise herauszufiltern und nur diese auszuprobieren.“
Neben dieser gemeinsamen Arbeitsdefinition spielen künstliche Systeme eine zentrale Rolle im Cluster. „Jede neue Theorie wird in einem Roboter oder einem Computerprogramm nachgebaut. Damit können wir testen, ob das System sich wirklich intelligent verhält“, sagt Verena Hafner. „Das ist keine Einbahnstraße. Das Verhalten der künstlichen Systeme hilft uns, bessere Fragen an natürliche Systeme zu stellen. Diese Schleife – von der Natur zum Roboter und wieder zurück – ist ein zentrales Arbeitsprinzip im Cluster.“
Dabei setzen die Forschenden voraus, dass der Intelligenzbegriff nicht statisch ist. „Menschliche Intelligenz entsteht immer im Austausch von Kultur und Technik. Durch den Einsatz intelligenter Maschinen und Systeme werden sich unsere Kulturtechniken verändern – und damit auch das, was wir als intelligentes Verhalten bezeichnen“, sagt Sabine Ammon.
Die Auswirkungen des wachsenden Anteils künstlicher Intelligenz in unserem Alltag zu erforschen, gehört ebenfalls zu den Zielen von SCIoI. „Laut einer Forschungsarbeit aus dem Jahr 2013 sollten potenziell 47 Prozent aller Jobs durch Computer ersetzt werden. Diese Studie wurde damals in allen Medien zitiert“, erinnert sich Haynes. Bei genauerer Betrachtung zeigte sich aber: Die Studie war zu undifferenziert, und die Einschätzung musste stark relativiert werden.
Lehrer sind absehbar nur schwer durch Maschinen zu ersetzen
Heute geht man von viel geringeren Quoten aus, einige Studien sehen sogar eine Nettozunahme der Arbeitsplätze. „Im Zuge technischer Entwicklungen sind schon immer einige Berufe obsolet geworden. Heute bedauert niemand, dass es keine Lieferanten für Eisblöcke, Gaslampenanzünder, Liftboys oder Telefonvermittler mehr gibt“, sagt Haynes. „Berufe, die manuelle Geschicklichkeit oder soziale Interaktionen und Einfühlungsvermögen erfordern, wie Friseur und Lehrer, sind absehbar nur schwer durch Roboter zu ersetzen. Entscheidend ist jedoch, dass es uns gelingt, eine harmonische Partnerschaft zwischen Mensch und Maschine zu erreichen. Gerade im Zusammenspiel zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz liegt ein großes Potenzial.“
Die aktuellen Veränderungen sehen die Forschenden als eine Aufforderung, aktiv zu werden. Niemand ist in der Lage, gesellschaftliche Veränderungen vorauszusehen. Daher können Überlegungen über zukünftige Entwicklungen nur aus der Erfahrung der Gegenwart heraus angestellt werden. Inwiefern diese Voraussagen Wirklichkeit werden, liegt auch in der Hand der Gesellschaft.
„Das Thema künstliche Intelligenz polarisiert: paradiesartige Verheißungen treffen auf Weltuntergangsängste. Hinzu kommt das Gefühl einer großen zeitlichen Beschleunigung der technologischen Veränderungen und die Sorge, vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden“, sagt Ammon. „Aber ich bin optimistisch, dass unsere Gesellschaft robust genug ist, angemessene Antworten auf die neuen Herausforderungen zu finden.“ Ein Schlüssel liege sicherlich im Faktor Zeit. „Es braucht einen gesellschaftlichen Dialog und ausreichend Zeit für Lernprozesse und die Ausgestaltung der neuen Technologien im Einklang mit unseren Wertvorstellungen.“
Autorin: Katharina Jung
Sprecher
Prof. Dr. Oliver Brock, Technische Universität Berlin
Antragstellende Hochschulen
Humboldt-Universität zu Berlin, Technische Universität Berlin
Partnerinstitutionen
Charité – Universitätsmedizin Berlin, Freie Universität Berlin, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Berlin, Universität Potsdam
Kooperationspartner
Internationale Kooperationen: MIT (Center for Brains, Minds, and Machines); University of Oxford; Aarhus University (Interacting Minds Center);
Nationale Kooperationen: Bernstein Center for Computational Neuroscience Berlin, Einsteincenter Neuroscience
Kooperationen mit der Industrie: Amazon Development Center Berlin, Datalab Volkswagen AG, PSIORI, mindX, Hypoport
Weitere Informationen
Durch die Nacht mit Alexander
Alexander von Humboldt war ein unermüdlicher Wissenschaftler, voller Taten- und Wissensdrang. Bis tief in die Nacht saß er an seinen Experimenten und Schriften, wenige Stunden Schlaf reichten ihm aus. Mit dem Entdecker als Begleiter lädt die Humboldt-Universität zu Berlin in der Langen Nacht der Wissenschaften am 15. Juni 2019 zu einer Forschungsreise von den Anden bis nach Asien ein.
Termine
Ab 17 Uhr
Experiment
Hauptgebäude der Humboldt-Universität zu Berlin (HU), Unter den Linden 6, 10117 Berlin
Was hat die Klassische Archäologie mit Alexander von Humboldt zu tun? Sehr viel! Zwar reiste der Universalgelehrte vor allem nach Südamerika und beobachtete die Natur, aber er nutzte Arbeitsweisen, die in der Archäologie aktueller sind als je zuvor. Er sah die Natur und den Menschen als Verbund und beobachtete und vermaß dabei alles ganz genau. Und eben dies macht auch die Archäologie: Sie rekonstruiert vergangene Lebenswelten und zeigt, wie die Menschen im Naturraum Häuser, Städte und Bildwerke erschufen. Wir laden Sie ein, im Humboldt‘schen Sinne neue Welten der Antike zu entdecken!
18 Uhr
Vortrag
Tieranatomisches Theater, Philippstraße 13, 10115 Berlin
Prof. Dr. Wilfried Endlicher, Geographisches Institut
Alexander von Humboldt gilt durch seinen integrativen Ansatz von Natur und Mensch in der Landschaft als Mitbegründer der modernen Geographie. Er nahm die neuesten Messinstrumente mit auf seine Forschungsreisen und dokumentierte die empirisch gefundenen Ergebnisse. Der Vortrag beschreibt einige wichtige Folgen für die geographische Teildisziplin Klimatologie: eine neue Definition von Klima, die kartographische Darstellung tropischer Höhenstufen und ihr Bezug zur Pflanzenwelt sowie die Auswirkungen des Kaltwasserauftriebs an der Pazifikküste Südamerikas, den nach ihm benannten Humboldt-Strom.
18-22 Uhr
Hörspiel
Hauptgebäude der Humboldt-Universität zu Berlin (HU), Unter den Linden 6, 10117 Berlin
Im Universitätscafé c.t. können Sie sich in die Welt von Alexander von Humboldt und Aimé Bonpland zurück versetzen lassen, wenn Sie den Dialogen der beiden in einer Hörspielserie der Deutschen Welle lauschen. Möglicherweise ist Alexander höchstselbst am Schmökern an den Büchertischen der Universitätsbibliothek.
18:30 Uhr
Vortrag
Tieranatomisches Theater, Philippstraße 13, 10115 Berlin
Lavinia Frey, Geschäftsführerin
Programme und Projekte des Humboldt Forums im Berliner Schloss
Das nach den Brüdern Alexander und Wilhelm von Humboldt benannte Humboldt Forum im Berliner Schloss ist weit mehr als ein konventionelles Museum. Es ist ein Ort des Diskurses und der Begegnung, des Experiments und des Lernens, des Rückblickens und der Vorausschau. Der Vortrag stellt Bezüge her zwischen dem Humboldt Forum und dem Humboldt’schen Kosmos der Interdisziplinarität und Weltoffenheit. Er zeigt das Forum als Ort der Wissenschaft, Kunst und Kultur, an dem globale Fragen thematisiert werden und die Bereitschaft besteht, mit weltoffenem Blick neue Wege zu beschreiten.
20.15 Uhr
Vortrag
Tieranatomisches Theater, Philippstraße 13, 10115 Berlin
Prof. Dr. Olaf Müller, Institut für Philosophie
Zwar kann man das Wechselspiel zwischen Humboldt und Goethe als Geschichte der gegenseitigen Bereicherung und Bewunderung erzählen, aber im Lichte damals vertraulicher Humboldtbriefe an Dritte stellt sich die Sache in fatalem Licht dar: Nach Goethes Tod äußerte sich Humboldt überaus negativ über Goethes Lieblingsprojekt (die Farbenlehre von 1810) und behauptete, seit jeher gegenüber Goethe keinen Hehl aus seiner Kritik gemacht zu haben. Davon hat Goethe nichts bemerkt, und Humboldts frühere Briefe in dieser Sache waren alles andere als negativ. Wann und warum hat er gelogen? Für alle, die sich auch für die dunklen Seiten der beiden Genies interessieren.
19.00 Uhr (Wdh.: 21.00 Uhr)
Vortrag
Tieranatomisches Theater, Philippstraße 13, 10115 Berlin
Beate Wonde, Institut für Asien- und Afrikawissenschaften
Auch wenn man bei den Gebrüdern Humboldt nicht automatisch Asien vor Augen hat, lag bei beiden ein starkes Interesse gerade auch an Japan vor. Wilhelm von Humboldt hatte sich im Zuge seiner sprachwissenschaftlichen Recherchen mit der japanischen Sprache befasst, während Alexander sich die „Verbindung mit fremden Erdtheilen“ zur Lebensaufgabe erkoren hatte. Für Alexander von Humbdolt war Japan stets im Fokus seines Interesses. Die Einbeziehung von Philipp Franz von Siebold und Wilhelm Heine in sein wissenschaftliches Netzwerk erlaubte es ihm, Japan in den narrativen Rahmen seines Kosmos einzubeziehen.
Weitere Informationen
Webseite der Langen Nacht der Wissenschaften
Das Programm der HU zum 250. Geburtstag Alexander von Humboldts
Kontakt
Boris Nitzsche
Stellvertretender Pressesprecher
Humboldt-Universität zu Berlin
Tel.: 030 2093 2945
boris.nitzsche@hu-berlin.de
„Je mehr Experimente, desto besser!“
Teamsitzung: Frauke Stuhl, Andreas Geißler, Friedrich von Bose,
Gorch Pieken und Katja Widmann (v.l.n.r.) Foto: Matthias Heyde
Wenn das Humboldt Forum im Berliner Stadtschloss eröffnet, wird dort auch die Humboldt-Universität zu Berlin (HU) mit einer Ausstellung in eigenen Räumen auf etwa 750 Quadratmeter Fläche vertreten sein. Die Schau soll einen Beitrag zu zentralen Themen der Gegenwart leisten – Studierende, Forschende, Besucherinnen und Besucher können sich dabei einbringen. Einblicke in die Planung gibt Dr. Gorch Pieken, der leitende Kurator.
Herr Dr. Pieken, womit befasst sich die Auftaktaustellung?
Sie wird sich hauptsächlich mit den gegenwärtigen politischen und wissenschaftlichen Herausforderungen des sogenannten Anthropozäns befassen und diesbezüglich insbesondere mit den Beziehungen zwischen Menschen, Umwelt und Ordnungen.
Mit welchen Partnern und Disziplinen aus der Universität arbeiten Sie und Ihr Team dafür zusammen?
Die Räume der HU im wiedererrichteten Stadtschloss werden ein Forum für die gesamte Universität sein. Wir arbeiten mit vielen Fachdisziplinen und Instituten sowie mit fünf Exzellenzclustern, die 2018 bewilligt wurden und an denen die HU beteiligt ist, zusammen. Wichtig ist uns auch die Kooperation mit anderen Universitäten und wissenschaftlichen Einrichtungen; sie erweitert das Themenfeld, ermöglicht die Leihnahme von seltenen Objekten und Dokumenten und vergrößert Spielräume durch Teilung der Aufwendungen.
Geplant ist auch der enge wissenschaftliche Austausch mit außereuropäischen Partnern. In welcher Form werden sie mitwirken?
In allen Bereichen der Ausstellung findet die Arbeit im internationalen Rahmen statt. Wenn die Besucherinnen und Besucher die Ausstellung betreten, dann erwartet sie eine Welt des Perspektivenwechsels. Globale Phänomene werden bis auf regionale Ebenen heruntergebrochen. Der Exzellenzcluster „Contestations of the Liberal Script“, mit dem wir zusammenarbeiten, kooperiert beispielsweise mit wissenschaftlichen Einrichtungen in der ganzen Welt und arbeitet auf der Basis der „doppelten Reflexivität“.
Was bedeutet das?
Damit ist unter anderem gemeint, dass die Forschenden selbst Teil eines westlich/westeuropäisch geprägten Wissenschaftsbetriebs sind und dass sie sich dessen bewusst sind. Die doppelte Reflexivität ist hierbei auf mindestens zwei Ebenen relevant: auf der thematischen sowie auf der Ebene der Fragestellungen und Methoden, die von ersterer natürlich nicht zu trennen ist. Wie dem Cluster dient auch uns diese Perspektive dazu, sich kritisch mit der eigenen Wissensproduktion auseinanderzusetzen und Wissenschaft immer auch im Kontext noch immer existierender globaler kolonialer Machtverhältnisse zu beleuchten.
Wie wird die Ausstellung aussehen?
Sie wird kein großes museales Stillleben sein. Stramme Wegführungen werden durch Netzwerke ersetzt, die es den Besucherinnen und Besuchern ermöglichen, Zusammenhänge herzustellen. Die Ausstellungsgestaltung soll sie motivieren und in die Lage versetzen, Spuren zu lesen – je mehr Experimente, desto besser. Die Gestaltung folgt einer Choreografie von Bewegung und Objekten. Die Exponate werden von einem eingezogenen Schnürboden herabhängen und können, wo immer möglich, von den Besucherinnen und Besuchern berührt, sinnlich erfahren und auch bewegt werden.
Die Objektträger sind höhenverstellbar und drehbar, zu jeder Objektseite wird ein anderer Kontext hergestellt. Jedes Objekt steht dabei in räumlicher und inhaltlicher Korrespondenz mit Fragestellungen und Themen der aktuellen Forschung. Deren Inhalte werden auf den kinetischen Projektionsflächen einer 35 Meter langen Wand abgebildet. Die kinetischen Elemente sollen nicht nur auf die beweglichen Objekte reagieren können, sondern auch auf vorbeigehende Besucherinnen und Besucher. Ihre Körperhaltung und ihr Tempo werden dabei zum Bestandteil der Szenografie.
Das Interview führten Ljiljana Nikolic und Jens Wagner
Termin
Am Mittwoch, 10. April 2019 stellen Dr. Gorch Pieken und die Präsidentin der HU Sabine Kunst bei der Veranstaltung HU im Dialog um 10.30 Uhr im Grimm-Zentrum das Konzept vor.
Lesen Sie das vollständige Interview im Presseportal der HU.
Zurück aus der Vergangenheit
Alexander ist zurück aus der Vergangenheit. Seine Erkenntnisse und Erlebnisse schreibt er für uns im Pageflow der Humboldt-Universität auf.
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Eine Wiederentdeckung
Die Auftaktausstellung der Universität im Humboldt Forum wird eine Sammlung ins Licht der Öffentlichkeit rücken, die bislang wenig Aufmerksamkeit auf sich zog: die historische Dialektsammlung des Lautarchivs. Diese wurde von Wilhelm Doegen, dem Begründer des Lautarchivs, in den 1920er- bis 1940er-Jahren angelegt und ist seit 1934 im Besitz der Universität. Zurzeit wird sie intensiv wissenschaftlich bearbeitet und wird auch nach dem Umzug ins Stadtschloss für wissenschaftliche Zwecke nutzbar sein.
Die 730 Dialektaufnahmen der deutschen Sprache sowie von Varietäten der ihr nah verwandten Sprachen Friesisch und Niederdeutsch wurden an zentralen Orten der jeweiligen Regionen mit dem Grammophon auf Schellackplatten aufgenommen – damals eine spektakuläre, neue Methode der Sprachforschung. Zurzeit werden sie für die Ausstellung transkribiert und übersetzt, da die Besucherinnen und Besucher die meisten Dialekte wohl nicht verstehen würden. Zudem haben sich die Dialekte im Laufe der zurückliegenden Jahrzehnte so sehr verändert, dass sie heute häufig selbst für Dialektsprecherinnen und -sprecher schwer verständlich sind.
Eine interessante Entdeckung waren rund 130 Aufnahmen aus heute teilweise nicht mehr existierenden deutschen „Sprachinseln“ in Europa. Dabei handelt es sich nicht nur um die ältesten, sondern häufig auch um die einzigen erhaltenen Tonaufnahmen einzelner Varietäten des Deutschen. Auch vor diesem Hintergrund sind die Dialektaufnahmen des Berliner Lautarchivs von besonderem Wert.
Die Dialektologie war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eng verbunden mit der Volkskunde und nicht nur wissenschaftlich motiviert. Im Zuge der Grenzziehungen des Versailler Friedensvertrages diente sie politischen Zwecken und wurde „zur Identifizierung historischer deutscher Kulturlandschaften und Siedlungsräume (…) genutzt, um Forderungen nach Grenzrevisionen eine quasi-wissenschaftliche Legitimation zu geben“ wie der Historiker Rainer Schulze in dem Band „Die „Volksdeutschen in Polen, Frankreich, Ungarn und der Tschechoslowakei: Mythos und Realität“ schreibt.
Autorin: Antonia von Trott zu Solz
Lesen Sie den vollständigen Artikel im Presseportal
Weitere Informationen
- Interview mit Kurator Gorch Pieken: „Je mehr Experimente, desto besser!“
- Webseite vom Lautarchiv der HU
- Webseite Humboldt Forum
- Webseite Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik
Auf den Spuren Alexander von Humboldts
Als Alexander von Humboldt mit 30 Jahren zu seiner größten Forschungsreise nach Südamerika aufbrach, war Teneriffa die erste Station. Er bestieg den Pico de Teide, erforschte und dokumentierte den Vulkan sowie seine Umgebung.
Dort entdeckte Humboldt die Gesetze der Geobotanik, welche bis dahin nicht bekannt waren. Er führte Untersuchungen durch von Astronomie über Botanik bis Geologie und beobachtete Besonderheiten wie den Drachenbaum Dracaena Draco in La Orotava.
220 Jahre später im März 2019 reisen nun Geographinnen und Geographen der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) nach Teneriffa um Humboldts Fußspuren zu folgen. Die Exkursion, initiiert von Prof. Dr. Patrick Hostert vom Geographischen Institut der HU, umfasst 25 Studierende. Vor Ort untersucht die Gruppe unter anderem Höhenvegetation, Vulkangestein sowie die Kanarische Kiefer, ein endemisches Gewächs auf den Kanaren. Im Reisetagebuch berichten die Studentinnen und Studenten von ihren Erlebnissen und Forschungsergebnissen.
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Alexander von Humboldt-Jahr 2019
Anlässlich des 250. Geburtstags Alexander von Humboldts informiert ein Verbund von dreizehn Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen ab dem 14. November 2018 auf einer zentralen Plattform über alle Ausstellungen, wissenschaftlichen Tagungen und Veranstaltungen im kommenden Humboldt-Jahr 2019. Ein umfassender Veranstaltungskalender gibt Auskunft über anstehende Termine des Jubiläumsprogramms und bietet weiterführende Hinweise auf die wissenschaftlichen und kulturellen Schwerpunkte und Neuigkeiten des gemeinsamen Themenjahres. Der Kalender wird im Laufe des Jubiläumsjahres kontinuierlich erweitert.
Auch die Humboldt-Universität zu Berlin (HU) informiert ab dem 14. November 2018 über ihre zahlreichen Aktivitäten im Jubiläumsjahr. Zu seinem 250. Geburtstag öffnet sich die HU allen, die sich für die große Entdeckungsreise „Forschung“ begeistern und sich von ihrem Wissensdurst und kritischem Geist führen lassen.
Weitere Informationen
Webseite zum Alexander von Humboldt-Jahr 2019
Webseite der HU zum 250. Geburtstag von Alexander von Humboldt
Forschen wie Alexander!
Am 14. September 2019 jährt sich der Geburtstag Alexander von Humboldts zum 250. Mal. Die Humboldt-Universität zu Berlin (HU) nimmt dieses Jubiläum zum Anlass, Leben und Werk dieses Ausnahmewissenschaftlers mit einer Festwoche öffentlich zu würdigen. Zum Jubiläum des Forschers und Entdeckers suchen wir Projekte, die seine Ideen aufgreifen, weiterführen und sein Leben und Werk reflektieren. Alle Studierenden und Mitarbeitenden der Humboldt-Universität zu Berlin können mitmachen und sich mit einem Projekt bewerben. Die ausgewählten Projekte werden auf dem Sommerfest im Rahmen der Festwoche zum Jubiläum am 29. August 2019 der Öffentlichkeit vorgestellt.
Gesucht werden Beiträge und Projekte, die Alexander von Humboldts wichtigste Themen mit neuen Ideen aufgreifen und aus aktueller Sicht beleuchten. Diese Beiträge können sich wahlweise auf laufende oder noch in der Planung befindliche Lehr- und Forschungsprojekte beziehen.
Teilnahmebedingungen
An allen eingereichten Projekten muss mindestens eine Studierende oder ein Studierender der Humboldt-Universität beteiligt sein. Hierbei kann es sich entweder um studentische Projekte oder Gemeinschaftsprojekte von Studierenden und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern handeln.
Eine Jury wählt bis zum 15. März 2019 die Projekte aus, die im Rahmen der Feierlichkeiten vorgestellt werden. Die Bewerbung und Projektvorstellung muss schriftlich in Form eines Konzepts von zwei bis drei Seiten bis zum 16. Februar 2019 unter pr@hu-berlin.de eingereicht werden.
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Kontakt
Abteilung Kommunikaton, Marketing und Veranstaltungsmanagement
Humboldt-Universität zu Berlin