Editorial
Grenzen überschreiten
Interdisziplinäre Zentren der Humboldt-Universität
»Es gibt Momente, die unverhofft ganze Gedankenkonstrukte
verwandeln. Ein solcher Augenblick ereignete sich, als ein Teilnehmer
eines Seminares über naturwissenschaftliche Illustrationen im
Wintersemester 2001/2002 eher beiläufig erwähnte, daß zu Charles
Darwins (1809–1882) frühen Evolutionsdiagrammen auch das Bild der
Koralle gehört habe. Ich war elektrisiert.« Mit diesen Sätzen leitet
Horst Bredekamp, Professor für Mittlere und Neue Kunstgeschichte an der
Humboldt-Universität, seine jüngst erschienene Publikation »Darwins
Korallen« ein, Darin weist er nach, dass die »Ikone darwinistischer
Orthodoxie«, der »Baum des Lebens« als Metapher für ein hierarchisches
Modell der Natur, eigentlich eine »Koralle des Lebens« ist, welche die
unhierarchische Variabilität der Natur weitaus angemessener
repräsentiert.
Dieser Paradigmenwechsel kann als ein besonders anschauliches Beispiel
dafür angesehen werden, wie fruchtbar disziplinäre
Grenzüberschreitungen in der Forschung sein können, denn es ist ein
Kunsthistoriker, der der Evolutionstheorie einen neuen Mosaikstein
hinzufügt. Kunstgeschichte und Biologie gehörten zu den ersten
Disziplinen, die sich methodologisch angenähert hatten. Mittlerweile
ist es common sense, dass sich Innovationen und wissenschaftlicher
Fortschritt zunehmend an den Schnittstellen der Einzeldisziplinen
»abspielen«, Und da die Forschungsleistung ausschlaggebend im
Wettbewerb der Universitäten um die »besten Köpfe« und Forschungsmittel
ist, hat dies weitreichende Konsequenzen für die Forschungskultur und
-organisation einer Universität. Denn will man das Forschungs- und
Leistungspotenzial durch interdisziplinäre Forschung systematisch
aktivieren, genügt es mittlerweile nicht mehr allein, auf entsprechende
Förderprogramme von Forschungsfördereinrichtungen zu setzen, auf das
individuelle grenzüberschreitende Engagement der Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler zu bauen oder auf Initialzündungen durch
»beiläufig« erwähnte Stichworte zu hoffen. Sattdessen gilt es,
zusätzlich spezifische Organisationsstrukturen einzuführen, um die
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ihrem Engagement gezielt zu
unterstützen und innovationsfördernde Synergieeffekte zu
initiieren.
Mit dieser Zielsetzung wurde vom Akademischen Senat im Februar 2004
beschlossen, an der Humboldt-Universität Interdisziplinäre Zentren
einzurichten. Damit wird in die klassische »versäulte«
Organisationsstruktur in Gestalt von Instituten und Fakultäten über die
Fächergrenzen hinweg eine horizontale Netzstruktur in Form
Interdisziplinärer Zentren eingezogen. In dieser Matrixstruktur
behalten die Fakultäten und Institute nach wie vor ihre »tragende«
Funktion, sie werden aber ergänzt durch temporär – zunächst auf fünf
Jahre – angelegte Zentren. Damit erhält die Universität ein effizientes
und flexibles Steuerungsinstrument, um die Innovationskraft gezielt zu
fördern: (1) Mit dem »Gütesiegel« Interdisziplinäres Zentrum werden
erfolgversprechende Initiativen in Forschung, Lehre und
Nachwuchsförderung ausgezeichnet, die das Profil der
Humboldt-Universität maßgeblich mitbestimmen werden. (2) Die
Konzentration der bekannt knappen universitären Ressourcen auf einzelne
Schwerpunktbereiche ist eine conditio sine qua non, um den forcierten
nationalen und auch internationalen Konkurrenzkampf auf
zukunftsträchtigen Forschungsfeldern mit der Spitzengruppe auf
»Augenhöhe« führen und bestehen zu können. (3) Mit dem breiten, auf
Exzellenz angelegten Profil der Interdisziplinären Zentren werden
Grundlagen für die erfolgreiche Einwerbung von strukturbildenden
Projekten wie Sonderforschungsbereiche, Forschergruppen, BMBF- und
EU-Projekte erarbeitet. (4) Im Wettbewerb um herausragende
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Kooperationspartner aus
den Bereichen Wissenschaft, Wirtschaft und Bildung stellen
Interdisziplinäre Zentren eine besondere Attraktion dar. (5)
Studierende können ein zusätzliches, hochqualitatives
Ausbildungsangebot und damit beste Voraussetzungen für ihre künftige
berufliche Karriere innerhalb oder außerhalb der Wissenschaft
erhalten.
Ihre Arbeit aufgenommen haben bereits fünf Interdisziplinäre Zentren.
Als erstes wurde im vergangenen Jahr das Interdisziplinäre Zentrum für
Infektionsbiologie und Immunität mit einem Festakt feierlich eröffnet.
Es folgten das August-Boeckh-Antikezentrum, das Georg-Simmel-Zentrum
für Metropolenforschung sowie die Interdisziplinären Zentren
Sprachliche Bedeutung bzw. Ubiquitäre Information. Einblick in deren
Profil und Forschungsprogramm bieten die Porträts in diesem
Schwerpunktheft von Humboldt-Spektrum. Dieses Grenzen überschreitende
Netzwerk wird in absehbarer Zeit durch weitere »Maschen« verstärkt und
eröffnet der Humboldt-Universität aussichtsreiche Zukunftsperspektiven
über ihr 200-jähriges Jubiläum im Jahr 2010 hinaus.
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