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Dem Gehirn beim Entscheiden zuschauen

Neue Forschungsgruppe am Bernstein Zentrum für Computational Neuroscience Berlin erforscht Entscheidungsprozesse im Gehirn
   

Torben Ott

Torben Ott, promovierter Neuro-
wissenschaftler, leitet das „Decision
Circuits Lab am BCCN Berlin.

Das Leben besteht aus einer Aneinanderreihung von Entscheidungen in einer komplexen und unsicheren Welt. Trotzdem schafft es unser Gehirn blitzschnell Optionen abzuwägen und – meistens – eine gute Entscheidung zu treffen. Dr. Torben Ott möchte mit seiner neuen Forschungsgruppe verstehen, wie Entscheidungsfindung im Gehirn funktioniert. Im Interview erklärt er, mit welchen Methoden er dem Gehirn beim Entscheiden zuschaut, wie Dopamin und Serotonin unsere Entscheidungen beeinflussen und was psychische Erkrankungen mit Entscheidungen zu tun haben.

Seit Anfang des Jahres leitet Torben Ott das „Decision Circuits Lab“ am Bernstein Zentrum für Computational Neuroscience Berlin (BCCN Berlin), einem gemeinsamen  Forschungszentrum der Charité – Universitätsmedizin Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin und Technischen Universität Berlin. Nach der Promotion an der International Max Planck Research School, forschte er seit 2016 in den USA am Cold Spring Harbor Laboratory in New York und der Washington University in St. Louis. Mit dem Emmy Noether-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), dass herausragende Nachwuchswissenschaftler*innen aus dem Ausland (zurück) zu gewinnen soll, baut Torben Ott nun mit seine eigene Nachwuchsgruppe in Berlin auf.

Herr Ott, was macht eine gute Entscheidung eigentlich aus?

Torben Ott: Jedes Mal, wenn ich mich für etwas entscheide, entscheide ich mich gegen viele andere Optionen – in der Hoffnung, dass die Entscheidung mir Vorteile bringt. Lohnt es sich wirklich, meine Ressourcen, meine Zeit, mein Geld oder meine Aufmerksamkeit in diese eine Entscheidung zu investieren? Nehmen wir ein Beispiel: Wenn ich mich als Student:in viele Stunden auf eine Klausur vorbereite, darf man sich durchaus fragen, ob dieser Zeitaufwand das erhoffte positive Ergebnis rechtfertigt. Denn es entgehen einem viele andere wertvolle Möglichkeiten, wie Freunde sehen und etwas Geld dazuzuverdienen. Übersetzt in die Sprache von Verhaltensökonomie bedeutet es, dass ich eine gewählte Entscheidung stets gegen die sogenannten Opportunitätskosten einer nicht-gewählten Entscheidung abwägen muss, also dem Gewinn oder der Nutzen, der einem dann entgeht. Eine gute Entscheidung ist eine, bei der die Vorteile in Zukunft höher sind als die Opportunitätskosten. Wenn diese Abwägung tatsächlich auch zu einer Verbesserung meiner Lebenssituation führt, ich dafür also belohnt werde, ist das eine gute Entscheidung. Als Student*in würde ich sagen, die Vorteile einer bestanden Klausur und eines guten Studienabschlusses in der Zukunft sind größer als die verpasste Zeit mit Freunden.

Wir stehen im Alltag ständig vor solchen Entscheidungen. Wie schafft das Gehirn mit dieser Ungewissheit umzugehen?

Torben Ott: Das ist genau die Frage, der wir im „Decision Circuits Lab“ erforschen wollen. Tatsächlich ist es so, dass wir inzwischen sehr spezielle Neuronen identifizieren können, die die zukünftigen Ergebnisse möglicher Entscheidungen bewerten und uns helfen sich für die beste zu entscheiden. Wir erforschen das, indem wir Entscheidungsversuche mit Nagetieren durchführen. Sie stehen vor Optionen mit unterschiedlich hohen Belohnungen, mit unterschiedlichen Risiken und unterschiedlichen Opportunitätskosten. So können wir über mehrere Versuchsreihen systematisch die Entscheidungssicherheit analysieren, also die Sicherheit, des Tieres die beste Entscheidung zu treffen. Währenddessen messen wir Hirnareale und sogar einzelnen Neuronen der Tiere mit elektrophysiologischen Verfahren. Und im Orbitofrontalkortex, einem Bereich, der über der Augenhöhle sitzt, finden wir einzelne Neuronen, die ganz spezifisch diese Entscheidungssicherheit kodieren. Das heißt, die Aktivität dieser Neuronen sagt genau vorher, wie gut das Tier darin ist, eine Entscheidung zu treffen, die zu einer hohen Belohnung führt.

Woher wissen diese Neuronen im Orbitofrontalkortex, welche Entscheidung die beste ist?

Torben Ott: Durch Erfahrungen. In den Versuchen – aber natürlich auch im Alltag – bekommt das Gehirn nach jeder Entscheidung eine Belohnung – oder eben nicht. Mit der Zeit lernt es, zu berechnen, wie viel Zeit, Arbeit, Aufmerksamkeit oder Geld es investieren muss, um eine bestimmte Belohnung zu bekommen und ob der Aufwand lohnt. Und wir wissen, dass bei diesem Mechanismus Neuromodulatoren wie Dopamin und Serotonin eine große Rolle spielen. Sie werden tief im Gehirn produziert und interagieren auch mit den „Entscheidungs-Neuronen“ im Orbitofrontalkortex. Wie genau diese Neuromodulatoren jedoch den Orbitofrontalkortex und somit die Entscheidungen beeinflussen, ist bisher weitestgehend unbekannt. Mit unserem Ansatz, also der Kombination aus systematischen Tierversuchen, neuesten präzisen Messmethoden und computergestützten Berechnungen, wollen wir diesen Zusammenhang besser verstehen.

Dopamin und Serotonin kennt man doch auch als Botenstoffe, die die Stimmung beeinflussen und für psychische Erkrankungen verantwortlich sind. Gibt es einen Zusammenhang zwischen guten Entscheidungen und guten Gefühlen?

Torben Ott: Wir vermuten, dass es da einen Zusammenhang gibt. Menschen mit Depressionen scheint es nicht richtig zu gelingen, die zukünftigen Auswirkungen einer Entscheidung richtig abzuschätzen. Daher wollen herausfinden, ob wir psychiatrische Symptomatiken über Defizite in Entscheidungsverhalten charakterisieren können. Das vielversprechende an dem Ansatz ist, dass wir Entscheidungsverhalten mit unseren genannten Methoden bei Menschen und Tieren systematisch und quantitativ untersuchen können. Das ist mit den vielfältigen und nicht objektiv definierbaren Symptomen einer Depression nicht möglich. Wir können im ersten Schritt untersuchen, wie Serotonin das Entscheidungs-Netzwerk im Orbitofrontalkortex kontrolliert und somit unsere Entscheidungen beeinflusst, und im nächsten Schritt dann schauen, wie bestimmte Entscheidungsmuster mit psychiatrischen Symptomen zusammenhängen.

Sehen Sie hier einen neuen Ansatz, psychiatrische Erkrankungen zu behandeln?

Torben Ott: Das wäre die Hoffnung. Zwar geht es in meiner Forschungsgruppe nicht um pharmazeutische oder medizinische Forschung. Aber vielleicht können wir die Grundlagen für eine neue, gezielte Behandlung liefern. Denn das Problem ist, dass wir in den letzten Jahrzehnten sehr wenig Fortschritte in der medikamentösen Behandlung von psychiatrischen Erkrankungen gemacht haben. Die typischen Antidepressiva, wie Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, sind recht unspezifisch und beeinflussen das gesamte Serotonin-System des Gehirns. Das funktioniert nicht immer optimal und führt teilweise zu massiven Nebenwirkungen. Wenn wir durch unsere Forschung besser verstehen, wir Dopamin und Serotonin den Orbitofrontalkortex und unsere Entscheidungen beeinflussen, könnte man Medikamente entwickeln, die nur auf ganz spezifischen Rezeptoren einwirken, die für Entscheidungen verantwortlich sind – mit besserer Wirkung und weniger Nebenwirkungen.

Die Fragen stellte Artur Krutsch.

Weitere Informationen

Webseite des Decision Circuits Lab