
Wenn der Kommilitone Dozent wird
Engagement ist gut. Und wenn es dafür noch einen tariflichen
Stundenlohn gibt, umso besser. Wem lange Sitzungen in Fachschaftsräten
und Hochschulgruppen auf Dauer nicht reichen, wer aber trotzdem seinen
Kommilitonen ein bestimmtes Thema näher bringen will, der kann sich
selbst zum Dozenten machen. Mit eigenem Seminarraum, Literaturlisten
und einem Hinweis im Vorlesungsverzeichnis: Projekttutorien sind von
Studierenden organisierte Lehrveranstaltungen, in denen weitestgehend
selbstbestimmt gelehrt und gelernt werden soll.
Die jungen Dozenten bekommen fast elf Euro Stundenlohn. Thema der
Seminare kann alles sein, was sich in den regulären Veranstaltungen der
Professoren und Dozenten nicht wiederfindet und wissenschaftlichen
Standards genügt.
Genehmigt werden Projekttutorien, wenn sie vertiefend auf ein
interdisziplinäres Thema eingehen. Die Studenten müssen sich vorher
selbst nach Räumen und Lehrmitteln erkundigen, die Unileitung segnet
die Veranstaltungen dann ab. Bei der Interessenvertretung der
Studierenden, dem ReferentInnenrat, sind Projekttutorien beliebt: „Hier
könnt Ihr Euren Fragen und Eurer Kreativität Ausdruck verleihen sowie
Themen erarbeiten, die an Euren Instituten zu kurz kommen“, teilt der
Refrat mit. Studierende, die im Sommersemester 2009 mit einem
Projekttutorium starten möchten, können bis zum 14. November dieses
Jahres Anträge in der „Unterkommission Projekttutorien“ der
Studienabteilung einreichen.
Dort ist Alexandra Fettback für die Betreuung der Seminare zuständig.
„Meist sind die Projekttutorien spezieller als die Seminare der
Professoren“, sagt Fettback. 24 Lehrveranstaltungen laufen jedes
Semester. Meist wurden aber mehr als doppelt so viele im Vorfeld
beantragt.
Häufig begeistern sich Studierende so sehr für bestimmte Themen, dass
sie mehr erfahren wollen, als in den regulären Seminaren behandelt
wird. „Mich haben die DDR und die Flucht in den Westen schon seit
langem interessiert“, sagt Jana Reimann-Grohs, die im 7. Semester
Europäische Ethnologie studiert. Um sich dem Thema zu nähern, hat sie
im vergangenen Semester ein Projekttutorium zum Berliner Aufnahmelager
Marienfelde organisiert: „Im Westen angekommen? Das Notaufnahmelager
Marienfelde als Zwischenstation.“
Projekttutorien seien gerade bei politisch interessierten Studenten
beliebt, heißt es beim Refrat. Durch die Bachelorstudiengänge bleibe
kaum noch Zeit für Ehrenämter. Deshalb sei es umso besser, dass
Projekttutorien von der Unileitung belohnt werden: Die Teilnahme wird
als Studienbaustein anerkannt. Ihr Seminar würde Jana Reimann-Grohs
aber auch so nicht vergessen: Demnächst soll es ein kleines Buch mit
Zeitzeugen-Interviews aus Marienfelde geben. hah
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