Auch Ratten spielen Verstecken
Überall auf der Welt spielen Kinder verstecken. Aber können Tiere das auch? Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) am Bernstein Center Computational Neuroscience (BCCN) zeigen in einer aktuellen Studie, dass Ratten sehr schnell eine Ratte-Mensch-Version des Versteckspiels lernen und mühelos zwischen verschiedenen Rollen – Verstecken und Suchen – wechseln können. Die Forscherinnen und Forscher vermuten, dass Versteckspielen evolutiv wesentlich älter ist, als bisher gedacht. Die Studie wird am 13. September 2019 in der Zeitschrift Science publiziert.
Die Ratte lugt um die Ecke. Foto: Konstantin Hartmann
Die Luft ist rein. Foto: Konstantin Hartmann
Schnell ins Versteck! Foto: Konstantin Hartmann
„Viele Tierbesitzer berichten, dass ihre Haustiere gerne Versteck spielen. Systematisch untersucht wurde das bisher jedoch kaum“, erklärt Studienleiter Dr. Michael Brecht, Professor für Tierphysiologie/Systemneurobiologie und Neural Computation an der HU. Um das Phänomen genauer zu verstehen, trainierten Brecht und sein Team Ratten im Versteck- und Suchspiel. In einer Version des Spiels setzte eine Wissenschaftlerin oder ein Wissenschaftler die Ratte in eine Kiste, schloss den Deckel und versteckte sich. Sobald der Deckel ferngesteuert geöffnet wurde, begann die Ratte zu suchen. Hatte sie die Person gefunden, wurden sie zur Belohnung ein wenig gekitzelt – Ratten mögen das sehr. In der anderen Version des Spiels wurde die Ratte zwar ebenfalls in die Kiste gesetzt, der Deckel blieb aber offen. Das war für die Ratte das Zeichen, dass sie diesmal die Rolle des Versteckens übernehmen sollte. Wieder wurde sie spielerisch gekitzelt, sobald sie gefunden wurde. Die Ratten lernten das Spiel schnell und entwickelten sowohl beim Verstecken als auch beim Suchen ausgeklügelte Strategien.
Spielen um des Spielen Willens
„Spielen dient in erster Linie einem Selbstzweck – man spielt, um zu spielen und nicht, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen“, sagt Brecht. Obwohl die Tiere am Ende jedes Versuchsdurchlaufs mit Kitzeln belohnt wurden, spricht einiges dafür, dass sie tatsächlich nicht nur um der Belohnung willen spielten. So hatten die Ratten offenbar Spaß am Spiel. Sie quiekten beim Suchen vor Freude, besonders, wenn sie die Person gefunden hatten. Wenn sie sich hingegen versteckten, waren sie sehr still. Sie wählten ihre Verstecke sorgfältig aus und wenn sie gefunden werden, versuchten sie häufig, sich erneut zu verstecken. „Das ist ein bisschen geschummelt, aber es zeigt, dass die Ratten danach streben, das Spiel zu verlängern, auch wenn sie damit die Belohnung herausschieben“, sagt Brecht.
Spielregeln verstanden
Um genauer zu analysieren, was in der Ratte vorgeht, untersuchten die Forschenden die neuronale Aktivität im präfrontalen Cortex der Tiere beim Spiel. Sie zeigten, dass etliche Zellen in dieser hochentwickelten Hirnregion spezifisch auf bestimmte spielrelevante Ereignisse reagierten – zum Beispiel auf das Schließen der Kiste, mit dem die Sucherrolle festgelegt wird. „Das spricht dafür, dass die Ratten die Spielregeln verstehen“, erklärt Brecht.
Dass Tiere auch in der Natur spielen, ist bekannt. Sie jagen und fangen sich gegenseitig und führen Spielkämpfe aus, bei denen sie jeweils zwischen unterschiedlichen Rollen wechseln. Ob sie sich tatsächlich auch spielerisch verstecken, um sich abwechselnd zu suchen, ist noch nicht untersucht. Brecht hält es aber für möglich. „Die Ratten haben in unserer Studie dieses komplexe Verhalten so schnell gelernt, dass wir glauben, sie tragen es in sich“, sagt er. Sowohl die Fähigkeit, sich gut zu verstecken, als auch die effektive Suche sind für das Überleben in der Natur unerlässlich. „Wir nehmen an, dass die Ratten so gut im Versteckspielen sind, weil sie damit ein evolutiv relevantes Verhalten üben“, sagt Brecht.
Die Entwicklung einer guten Strategie beim Versteckspiel setzt voraus, dass man sich bis zu einem gewissen Grad in den anderen hineinversetzen kann. Wo wird der Spielpartner voraussichtlich suchen? Welche Verstecke sind besonders gut geeignet? Solche Fähigkeiten haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bisher eher Primaten zugeschrieben. „Unser Versuchsparadigma eignet sich gut, um zu untersuchen, ob und inwiefern auch Ratten diese Fähigkeit besitzen,“ sagt Brecht.
Originalpublikation
Annika Stefanie Reinhold, Juan Ignacio Sanguinetti-Scheck, Konstantin Hartmann, & Michael Brecht (2019): Behavioral and Neural Correlates of Hide and Seek in Rats. Science, Volume 365, Iss 6458.
Doi: 10.1126/science.aax4705
Informationen zum BCCN - Das Bernstein Center for Computational Neuroscience Berlin wurde 2004 gegründet und beschäftigt sich mit sehr anspruchsvollen Fragen der Computational und Cognitive Neuroscience. Seit 2016 ist es ein gemeinsames Forschungszentrum der Charité, der Humboldt-Universität zu Berlin und der Technischen Universität Berlin.
Kontakt
Prof. Dr. Michael Brecht
Humboldt-Universität zu Berlin
Bernstein Center for Computational Neuroscience
Tel.: 030 2093 - 6718
E-Mail: michael.brecht@bccn-berlin.de
Webseite Michael Brecht