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HU im Dialog am 5. Februar: "Das Thema erzeugte lawinenartig Betroffenheit und Empörung"

Prof. Dr. Beate Ceranski ist eine der Teilnehmer:innen der Veranstaltung HU im Dialog: „Erwin-Schrödinger-Zentrum – still acceptable as a building name?“ am 5. Februar auf dem Campus Adlershof. Sie lehrt und forscht am Historischen Institut der Universität Stuttgart. Im Interview sagt die Physikerin und Wissenschaftshistorikerin, was Sie über den Fall "Schrödinger" denkt.

Frau Ceranski, Sie haben sich mit Schrödinger beschäftigt. Dem Begründer der Quantenmechanik und Physik-Nobelpreisträger wird systematischer Missbrauch heranwachsender Mädchen vorgeworfen. Was macht es mit Ihnen, wenn Sie den Namen Schrödinger als Gebäude- oder Preisnamen lesen?

Prof. Dr. Beate Ceranski: Derzeit frage ich mich dann vor allem, wie lange die Benennung dieses Gebäudes oder Preises noch Bestand haben wird…

Wie sieht die Quellenlage zu Schrödinger aus? Können wir gesichert davon ausgehen, dass die Vorwürfe gegen ihn stimmen?

Ceranski: Alle derzeit bekannten Vorwürfe gründen in der Schrödinger-Biograpie des Physikochemikers Walter Moore von 1989. Leider genügt das Buch keinen wissenschaftlichen Standards. Es gibt für die meisten Aussagen keine Belege, und den physikhistorischen Forschungsstand seiner Zeit hat Moore an vielen Stellen entweder ignoriert oder plagiiert. Außerdem verteilt er mit atemberaubender Hemdsärmeligkeit psychologische und psychiatrische Zuschreibungen. Gleichwohl hat seine Biographie Gewicht, denn Moore standen sämtliche Unterlagen Schrödingers zur Verfügung. Nach dem Erscheinen seines Buches wurden die persönlichen Tagebücher und Dokumente von der Familie gesperrt und können bis heute nicht eingesehen werden.

Die Fakultät für Physik am Trinity College Dublin, wo Schrödinger auch lehrte, hatte Anfang 2022 ihre historische „Schrödinger Lecture“ in „Physics Lecture Theatre“ umbenannt. Dabei ist die Missbrauchsdebatte um Schrödinger gar nicht so aktuell, die Vorwürfe gegen ihn gibt es seit mehreren Jahrzehnten. Warum flammt die Diskussion gerade jetzt wieder auf?

Ceranski: Für eine solche Diskussion braucht es einen Anstoß, einen Kontext und eine mediale Umgebung. Ein Nachfahre einer der in Moores Buch erwähnten Frauen entdeckte, was Moore über sie und Schrödinger geschrieben hatte. Sein Unbehagen über das Verschweigen dieser Seite von Schrödinger traf auf eine Gesellschaft, die durch die Debatten der vergangenen Jahre viel sensibler für sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen und Jugendlichen/Kindern geworden ist. In den sozialen Medien mit ihren großen Möglichkeiten der Weiterverbreitung von Nachrichten und Mobilisierung von Menschen wurde das Thema deshalb aufgegriffen und erzeugte lawinenartig Betroffenheit, Empörung und den Ruf danach, den bisherigen Umgang mit Schrödinger zu ändern.

Was wünschen Sie sich für die Diskussion am 5. Februar an der HU?

Ceranski: Ich wünsche mir ein respektvolles, aufmerksames Zuhören auch über Meinungsunterschiede hinweg und für das Ergebnis – wie auch immer es ausfällt – eine kritische, aber respektvolle Aufnahme in der universitären Öffentlichkeit.

 

Beate Ceranski hat in Bonn Physik, Mathematik und Evangelische Theologie studiert und nach dem Staatsexamen ein Aufbaustudium in Wissenschaftsgeschichte absolviert. Sie wurde an der Universität Hamburg mit einer Arbeit über Europas erster Professorin, der Bologneser Physikerin Laura Bassi, promoviert.

Die Fragen stellte Ljiljana Nikolic

 

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