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Auseinandersetzung mit einem Tabuthema: Bringen uns Jagen und Fischen der Natur näher?

Durch eine emotional intensive Interaktion zwischen Jäger*in oder Angler*in und dem Wildtier kann ein starkes Verantwortungsbewusstsein, das sogenannte „Environmental Stewardship“, entstehen, so die Hypothese eines internationalen Teams von Forschenden

Wer Fisch, Wurst oder Fleisch kauft und das Tier nicht selbst erlegt, erspart sich das Töten von Tieren und vielleicht auch einen gesellschaftlichen Tabubruch: Jagd und Fischerei stehen in vielen Industrieländern in der Kritik, vor allem wenn sie in der Freizeit ausgeübt werden. Ein Forschungsteam aus den Natur- und Sozialwissenschaften sowie der Umweltphilosophie erweitert in einem Perspektivenartikel in Nature Sustainability die Kontroverse „Freizeitnutzung von Wildtieren“ um eine neue Sichtweise: Durch eine emotional intensive Interaktion zwischen Jäger*in oder Angler*in und dem Wildtier kann ein starkes Verantwortungsbewusstsein, das sogenannte „Environmental Stewardship“, entstehen, so die Hypothese. Und das wiederum wäre für viele ein Anreiz, sich lebenslang für Umwelt- und Tierschutz zu engagieren. Das Forschungsteam grenzt diese intensive Naturerfahrung von eher oberflächlichen Erlebnissen ab, die nicht zwangsläufig zum Umwelt-Stewardship führen.

Die Forschenden beleuchten die psychologische und emotionale Seite der Jagd und Fischerei in der Freizeit. Sie legen dar, wie beide Praktiken eine besondere Einbindung in die Natur und Verbundenheit mit der Natur bewirken können. „Aufgrund der starken Emotionen, die Jagen und Angeln hervorrufen, und der Unterstützung durch Gleichgesinnte können sich Charaktereigenschaften herausbilden, die ein Leben lang anhalten und dazu führen, sich für den Erhalt der Tiere und von Natur allgemein einzusetzen", sagt Charles List, emeritierter Professor für Philosophie an der SUNY Plattsburgh Universität, New York, USA und Mitautor der Studie.

„Jagen und Angeln setzt eine intensive Auseinandersetzung mit natürlichen Prozessen, Ökosystemen, dem Lebewesen und den Jahres- und Tageszyklen voraus. Durch die Erfahrung des Aufspürens, Fangens, Tötens und Verarbeitens von Wildtieren werden Jäger*innen und Angler*innen außerdem Teil des Nahrungsnetzes. Durch diese enge psychosoziale Einbindung in die Natur kann ein starkes Verantwortungsgefühl entstehen, sich für den Schutz von Wildtieren und Fischen einzusetzen, was wir als Stewardship bezeichnen“, ergänzt Prof. Robert Arlinghaus, Nachhaltigkeitsforscher und Fischereiprofessor am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) und an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Oberflächliche Interaktionen führen zur Auslagerung der Verantwortung für die Tiere

Es gibt jedoch auch Praktiken, die eher eine kurzfristige Intervention darstellen. Dies fördere nicht unbedingt das Verantwortungsbewusstsein der jagenden oder angelnden Personen für den Natur- und Artenschutz. „Es gibt Beispiele dafür, dass Jagd- und Angelerlebnisse von Marktlogiken dominiert werden, etwa in Put-and-Take-Angelteichen oder bei touristischen Jagderlebnissen auf speziell gezüchtete Wildtiere, die in überschaubaren Gehegen freigelassen werden. Diese Praktiken führen zu oberflächlichen Naturerlebnissen. Sie sind darauf ausgerichtet, den Wunsch nach schneller Belohnung zu befriedigen. Eine intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Wirkung auf die Natur findet hier nicht statt“, erklärt Erstautor Dr. Sam Shephard von der Ave Marie Universität in Florida.

Das Angeln und Jagen kann zum Kompetenzaufbau im Management und Schutz von Wildtierpopulationen beitragen. Entscheidend sei nicht die Praktik, sondern was sie beim Menschen psycho-emotional auslöst und wie emotional involviert und reflektiert der jagende oder fischende Mensch ist. Angeln nach dem Prinzip des Fangen-und-wieder-Freilassens kann zum Beispiel das Verantwortungsgefühl für die Fische stärken, wenn ein Fisch aus Respekt vor der Kreatur und mit Blick für den Populationsschutz zurückgesetzt wird. Fangen und Freilassen kann aber auch ein Paradebeispiel für die oben angesprochene Ökonomisierung sein, wenn das Zurücksetzen aus rein wirtschaftlichen Erwägungen unreflektiert betrieben wird, beispielsweise um die Attraktivität eines kommerziell betriebenen Angelgebiets zu erhalten. Ähnliches gilt für bestimmte Formen der Jagd.

„Stewardship entsteht, wenn man sich der Konsequenzen des eigenen Handelns bewusst wird und daraus Schlussfolgerungen zieht, die zu einem nachhaltigen Umgang mit Tierpopulationen führen. Dazu gehört auch die vielfach praktizierte Möglichkeit, sich bei der Entnahme von Wildtieren selbst zu beschränken“, erklärt die Professorin Erica von Essen vom schwedischen Stockholm Resilience Centre. Diese Selbstbeschränkungen entwickeln sich unabhängig von Entnahmebestimmungen. Beispielsweise protestieren Jäger in Schweden derzeit gegen die als zu liberal empfundenen Abschussquoten für Elche und erlegen deutlich weniger Tiere als offiziell möglich.

Auf Managementaufgabe reduziert: emotionaler Zugang zum Töten gesellschaftlich tabuisiert

Wenn Tiere entnommen werden, um Schädlinge oder invasive Arten zu bekämpfen, werden Jagd und Fischerei auf den Vorgang des Tötens reduziert. Die Tiere werden dann als aggregierte Biomasse betrachtet, die zweckgebunden beseitigt werden muss.

„Die Reduktion des Tötens auf eine Managementaufgabe fördert vor allem den rationalen, nicht aber den emotionalen Zugang zur Natur und den Wildtieren. Um Kritik zu vermeiden, nehmen Jäger*innen und Angler*innen in Industrieländern häufig die Rolle der oder des rationalen Wildtiermanagers oder Gewässerhegers ein und distanzieren sich von den eher emotionalen oder kulturellen Dimensionen ihrer Tätigkeit, weil diese gesellschaftlich zunehmend tabuisiert werden“, sagt der Anthropologe Dr. Thorsten Gieser von der Akademie der Wissenschaften in Prag.

Das hat laut Autorenteam zur Folge, dass manche Traditionen, mit denen früher die Beute geehrt wurde, heute wegen mangelnder gesellschaftlicher Akzeptanz aufgegeben oder nur noch sehr diskret angewendet werden. „Es ist wichtig, die verschiedenen Jagd- und Fischereimethoden differenziert zu betrachten. Eine wichtige Grundlage dafür ist, das Töten von Wildtieren im Rahmen der Freizeitfischerei und der Jagd aus der gesellschaftlichen Tabuzone zu holen, da durch diese Praktiken intensive emotionale Bindungen und Erfahrungen über die Folgen des eigenen Handelns aufgebaut werden können, die zu umweltfreundlichem Verhalten und zur Unterstützung von Artenschutzmaßnahmen führen können", so Robert Arlinghaus abschließend.

Weitere Informationen

Pressemitteilung des IGB