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„Die Schwarmintelligenz ist immer hilfreich!“

Prof. Dr. Ulrike Lüken forscht am Institut für Psychologie der Humboldt-Universität zu Berlin zu Angststörungen. Im Interview gibt Prof. Lüken Tipps zur Arbeit im Homeoffice.

Was können wir tun, um uns im Homeoffice zu strukturieren?

Prof. Dr. Lüken: Wenn externe Taktgeber wegfallen, ist es wichtig, sich selber eine klare Struktur zu geben. Stehen Sie zur gewohnten Zeit auf, arbeiten Sie nicht im Pyjama – Sie gehen ja zur Arbeit! Betrachten Sie Ihr Homeoffice als neuen Arbeitsplatz (mit dem Vorteil, dass die Arbeitswege wegfallen). Viele Menschen berichten, dass sie im Homeoffice oft effektiver, da störungsfreier arbeiten können. Achten Sie daher auf regelmäßige Pausen – diese würden Sie im Büro ja auch machen. Und beenden Sie Ihren Arbeitstag vielleicht mit einem Ritual (z.B. einem Spaziergang), damit die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben aufrechterhalten werden. Sie haben ein Recht auf Feierabend – auch im Homeoffice.

Wie bekomme ich Struktur in die dienstlichen und privaten Anforderungen?

Lüken: Besprechen Sie mit Mitbewohnern oder Ihren Familienangehörigen, zu welchen Zeiten Sie zur Arbeit gehen. Vielleicht hilft ja ein Schild „Bitte nicht stören“. Erarbeiten Sie einen gemeinsamen Plan, wie die verschiedenen Bedürfnisse unter einen Hut gebracht werden können, so dass die Familie einen eigenen Stundenplan hat, wer wann ansprechbar ist. So können Sie Unterbrechungen kanalisieren.

Wie vermeide ich es, mich abzulenken, beispielsweise durch Streaming-Dienste? 

Lüken: In Bezug auf Online-Medien und Streaming-Dienste heißt das Zauberwort „Stimuluskontrolle“. Schalten Sie Dienste auf Ihrem Notebook, Rechner oder Handy per Default aus (hierfür gibt es aus Apps wie z.B. Offtime). Richten Sie sich Zeiten ein, zu denen Sie Medien und Dienste nutzen, achten Sie dabei auf die Zeit (stellen Sie sich z.B. einen Wecker). Sie können solche Pausen auch als kleine Belohnungen einsetzen, wenn Sie effektiv gearbeitet und ein Ziel erreicht haben! Im Feierabend dürfen Sie sich selbstverständlich eine Folge Ihrer Lieblingsserie gönnen.

Wie motiviere ich mein Team/meine Kolleginnen und Kollegen im digitalen Fernbetrieb?

Lüken: Wenn die persönliche Begegnung entfällt, werden auch viele Informationen nicht mehr vermittelt, die man sonst „nebenbei“ austauscht. Sie müssen sich bewusstmachen, dass Sie nun proaktiv Gesprächsangebote machen sollten. Nutzen Sie digitale Medien (Telefon- und Videokonferenzen) zum Austausch und legen Sie dafür regelmäßige Termine fest. Es gibt auch Apps wie beispielsweise Slack, die speziell für digital arbeitende Teams entwickelt wurden. Vielleicht brauchen Sie und Ihr Team in Zeiten von Homeoffice häufiger Kontakt, das heißt auch engmaschigere Meetings. Überlegen Sie gemeinsam, welche Aufgaben vielleicht anders erledigt werden müssen als sonst. Vereinbaren Sie klare, gut erreichbare Ziele miteinander. Und verlieren Sie auch nicht aus dem Blick, dass manchen Mitarbeitern der direkte soziale Kontakt fehlen wird: thematisieren Sie Probleme und Herausforderungen des Homeoffice und suchen Sie nach gemeinsamen Lösungen. Die Schwarmintelligenz ist immer hilfreich!

Teamleiterinnen und Teamleiter oder Vorgesetzte in der Verwaltung fragen sich jetzt sicherlich, wie sie Arbeitsleistung und Arbeitszeiten ihrer Mitarbeitenden kontrollieren. Was raten Sie?

Lüken: Meine Erfahrung ist, dass es meist aus dem Wald hinausschallt, wie man hineinruft. Strikte Kontrolle kann die Eigenmotivation von Mitarbeitenden beeinträchtigen. Zudem befinden wir uns in einer Ausnahmesituation, bei der der wahrgenommene Druck bei vielen ohnehin steigt. Ich wäre vorsichtig und würde mir genau überlegen, an welchen Stellen ich diesen Druck durch strikte Vorgaben noch weiter erhöhe und wo eine klare Zielvereinbarung zwingend erforderlich ist. Führungskräfte können dieses Thema im Team erörtern: wie viel Kontrolle wünschen sich die Mitarbeitenden und in welcher Form? Welche Zielvorgaben können Sie gemeinsam erarbeiten? Es kann in der Tat gut sein, eine Arbeitszeittabelle zu führen – auch zur Selbstkontrolle, ob Mitarbeitende vielleicht zu viel arbeiten! „Mal eben Mails checken“ ist natürlich auch Arbeitszeit.

Welche Verhaltensmaßnahmen und mentalen Strategien empfehlen Sie, um mit Sorgen und Ängsten, aber auch psychischer Instabilität umzugehen?

Lüken: Häusliche Isolation oder Quarantäne führen zu starken Veränderungen in unserem Alltag. Sie können Ängste auslösen oder bestehende Ängste verstärken. Negative Emotionen, die häufig auftreten, reichen von Langeweile und Frustration bis hin zu Krankheitsängsten, Grübelschleifen oder Panikgefühlen. Wichtig zu wissen ist, dass manche Sorgen, z.B. über finanzielle Nöte, real sind und einer Lösung bedürfen!

Folgende Hinweise können helfen, mit den psychischen Belastungen der aktuellen Situation besser umzugehen:

  • Halten Sie eine Tagesstruktur ein
  • Konsumieren Sie Medien bewusst und zu nur zu festgelegten Zeiten, nicht zur Beruhigung (das geht oft nach hinten los)
  • Pflegen Sie soziale Kontakte über die Distanz
  • Besinnen Sie sich auf Ihre Stärken und überlegen Sie, was Ihnen in einer früheren Krise geholfen hat
  • Geben Sie Ihren Gefühlen Raum – es ist ok, dass Sie sich angespannt, verängstigt oder frustriert fühlen
  • Begrenzen Sie das Grübeln, z.B. durch feste „Grübelzeiten“
  • Haben Sie schon einmal eine Entspannungstechnik angewendet, z.B. Yoga oder autogenes Training? Jetzt ist eine gute Gelegenheit, wieder einzusteigen. Es gibt auch gute Apps, mit denen man Achtsamkeitstechniken Schritt für Schritt erlernen kann

Generell ist es ein guter Rat, nach Plan zu handeln, nicht nur nach Gefühl! Wenn Sie sich z.B. mutlos fühlen und deshalb morgens im Bett liegen bleiben, wird das mutlose Gefühl nicht besser – eher im Gegenteil. „Erden“ Sie sich im Alltag.

Mehr Hinweise, insbesondere zum Umgang mit Kindern oder Konfliktsituationen können Sie dem Informationsblatt von Professor Jacobi (Psychologische Hochschule Berlin) entnehmen.

Weitere Informationen

HU-Podcast: Zwischen Angst und Phobie: Prof. Dr. Lüken im Gespräch

Kontakt

Prof. Dr. Ulrike Lüken
Institut für Psychologie
Humboldt-Universität zu Berlin 

ulrike.lueken@hu-berlin.de