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„Brexit ist immer noch ein großes Thema“

Professor Gerhard Dannemann ist Leiter des Centre for British Studies an der Berliner Humboldt Universität. Im Interview spricht er über die Folgen des Brexit für Großbritannien und für die akademischen Beziehungen. Für den Studierendenaustausch sind neue Hürden entstanden

Großbritannien hat mit den Folgen des Brexit zu kämpfen, der britischen Transportbranche fehlen rund 100000 Fahrer, die Regale sind teilweise leer und es wird befürchtet, dass die Lebenshaltungskosten merklich steigen. Wie ist derzeit die Stimmung in der Bevölkerung?

Prof. Dr. Gerhard Dannemann: Sie ist gespalten, die Befürworter und Gegner des Brexit haben sich noch immer nicht versöhnt. Die Stimmung ist nicht so gut, zumal auch noch die Führungskrise des Premierministers und die Pandemie hinzukommen. Aber der Brexit ist immer noch ein großes Thema. Denn jetzt nehmen mehr Briten als zuvor wahr, dass mit ihm auch tatsächlich handfeste wirtschaftliche Probleme verbunden sind.

Welchen Einfluss hat der Brexit auf die deutsch-britischen Wirtschaftsbeziehungen?

Dannemann: Das Vereinigte Königreich ist deutlich abgerutscht in der Rangliste der deutschen Handelspartner. Die britischen Exporte in die verbleibenden 27 Staaten der EU sind innerhalb eines Jahres nach dem Ausscheiden um fast ein Viertel eingebrochen. Der Warenverkehr musste sehr deutliche Einschränkungen hinnehmen, vor allem bei verderblichen Gütern wie etwa Fisch, der an der Grenze aufgehalten wurde und verrottete. Betroffen sind vor allem kleine und mittlere Unternehmen, für die das Ausfüllen der Zollformulare ein zu großer Aufwand ist und die Wertschöpfungsketten in der Auto- und der Flugzeugindustrie. Umgekehrt gab es weniger Verluste, weil die Briten bisher noch nicht so stark kontrolliert haben.

Und wie haben sich die akademischen Beziehungen verändert?

Dannemann: Die Universitäten haben sich auf beiden Seiten bemüht, aus den neuen Bedingungen das Beste zu machen. Wir haben bei der Berlin-Oxford-Kooperation versucht, auf der Forschungsebene die Zusammenarbeit weiter zu intensivieren. Aber wir haben noch eine Reihe von Problemen. Etwa die weitere Mitgliedschaft Großbritanniens im European Research Council, das derzeit noch aufgehalten wird durch die festgefahrenen Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien zum Nordirland-Protokoll. Die Briten sind weiter Mitglied und bereit, die Beiträge zu zahlen, ihre Mitgliedschaft liegt aber noch auf Eis.

Für das Centre for British Studies ist der Brexit besonders dramatisch. Denn die Studierenden absolvieren ein Pflichtpraktikum im Vereinigten Königreich. Die Erasmus-Zusammenarbeit läuft aber im September nächsten Jahres aus. Wie soll der Studierendenaustausch dann weiter gehen?

Dannemann: Das wird sehr schwierig, das ist ein Riesenproblem für uns, dass es dann kein Visum mehr gibt. Unsere jetzigen Jahrgänge sind noch gesichert, sie können noch in das letzte Erasmus-Jahr gehen. Die folgenden haben diese Möglichkeit nicht mehr. Daher nutzen wir derzeit unseren Beirat und dessen Kontakte, damit das britische Innenministerium die Visumsfrage wahrnimmt und eine Lösung findet. Ein weiteres Problem sind die hohen Studiengebühren. Wer aus Deutschland kommend in England studieren will, zahlt dann nicht mehr die niedrigeren EU-Gebühren von 9250 Pfund pro Jahr, was auch keine geringe Summe ist, sondern dieselben Gebühren, die auch Studierende aus den USA oder Asien zahlen – und die kommen leicht auf 25.000 Pfund.

Was ist Ihre Sorge?

Dannemann: Dass die Studierendenaustausche und insbesondere die Frage der Visa für Praktika aus dem Blick geraten. Gerade wenn das eingebettet wird in die weiteren Verhandlungen zwischen EU und dem Vereinigten Königreich wird es leicht nicht als Priorität wahrgenommen. Bei Erasmus sagte man auch jahrelang, dass es selbstverständlich weitergeführt wird und im allerletzten Moment stieg die britische Regierung aus Kostengründen dann doch aus. Das war nicht abgesprochen mit den britischen Universitäten und anderen Interessenverbänden.

Welche Alternativen sehen Sie?

Dannemann: Das Interesse der britischen Universitäten ist sehr groß. Die Partneruniversitäten der HU sind alle dabei, Einzelabkommen mit uns auszuhandeln. Damit bekommen die Studierenden zwar keine Finanzierung, aber der institutionelle Rahmen für den Austausch ist gesichert. Erfreulicherweise sind die britischen Partneruniversitäten bereit, so wie bei Erasmus, auf ihre Studiengebühren zu verzichten. Sie bemühen sich, die bisher sehr erfolgreiche deutsch-britische Zusammenarbeit in Forschung und Lehre möglichst reibungsarm fortzusetzen.

Die Fragen stellte Vera Görgen.

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