Poetry Slam trifft Wissenschaft: Petra Anders und die Kunst der lebendigen Sprache

Petra Anders im Austausch mit den Poetry-Slammer*innen.
Foto: Philip Plum
Die Leidenschaft für den Poetry Slam entbrannte bei Petra Anders bereits Anfang der 2000er Jahre im berühmten „Bastard Slam“, einem der größten Slams in Berlin, Kastanienallee, Prenzlauer Berg. Petra Anders war damals Referendarin an einer Berliner Schule und auf dem Weg, Lehrerin für Deutsch und Geschichte in der Sekundarstufe zu werden. Sie hatte ihr Studium in Göttingen und Wien absolviert. Eines Abends schaute sie erstmals zu, wie Spoken-Word-Gedichte gesellig vorgetragen wurden. Das Genre – damals den meisten unbekannt – basiert auf selbstverfassten Texten, die in wenigen Minuten mündlich performt werden. Ob Lyrik, Rap, Freestyle, Poesie oder Geschichten, alles darf in Poetry Slam einfließen. Am Ende entscheidet das Publikum, wer gewinnt. Slampoet*innen unterhalten, berühren, bringen einem zum Lachen, regen zum Nachdenken an. Auch Petra Anders ist fasziniert. „Ich fragte mich, warum die Analyse von Gedichten Schüler*innen so schwerfällt und beim Poetry Slam hingegen auch junge Leute für Lyrik Schlange stehen.“
Poetry-Slam-Pionier*innen zu Gast an der HU
Und während sie Antworten auf diese Frage suchte, lernte sie die Pionier*innen der Berliner Poetry-Slam-Szene kennen, Wolf Hogekamp, Bas Böttcher, Nora Gomringer, Sebastian Krämer, Gauner, Felix Römer und andere, mit denen sie auch heute noch in Kontakt steht und zu unterschiedlichen Gelegenheiten zusammenarbeitet. Einige dieser sowie andere, internationale Szene-Mitglieder waren kürzlich auch zu Gast, als Petra Anders die erste wissenschaftliche Sammlung zur „Geschichte und Gegenwart des Poetry Slam im deutschsprachigen Raum“ an der HU eröffnete. Böttcher war der erste Humboldt-Spoken-Word-Poet im Winter- und Sommersemester 2023/2024 am Institut für Erziehungswissenschaften, wo er verschiedene Workshops und partizipative Kunstprojekte für Lehramtsstudierende anbot. Anders, seit 2018 Professorin für Deutschunterricht und seine Didaktik in der Primarstufe am Institut für Erziehungswissenschaften der HU, hatte das neue Artist-in-Residence-Programm eingeworben.
Im Austausch mit Berlin
Seit ihrem ersten Kontakt mit Poetry Slam hat sie zahlreiche Formate initiiert und organisiert – sie möchte nicht nur Schüler*innen und Studierende für einen kreativen Umgang mit Sprache begeistern, sondern auch in den Austausch mit der lebendigen Kultur einer Stadt treten. Diesen Ansatz wissenschaftlicher Lehre hat sie persönlich kennengelernt und ist auch heute noch begeistert davon. „Als ich in Wien studierte, lud Professor Schmidt-Dengler Größen der österreichischen Gegenwartsliteratur wie Ernst Jandl und Friederike Mayröcker zum Gespräch in die Vorlesung ein“, erinnert sie sich.
Zusammenarbeit mit Schulen
Diese unmittelbare Begegnung inspirierte sie. 2017 rief sie den „Praxisschock-Slam“ an der HU ins Leben. Er versteht sich auch als Teil der Professionalisierung von Lehrkräften. Lehramtsstudierende können über ihre ersten Erfahrungen aus der Schulpraxis auf der Bühne des GRIPS-Theaters vor Publikum slammen. 2024 etablierte sie den Kinder-Kiez-Slam im Humboldt Labor, den sie zusammen mit dem damaligen Humboldt-Poeten Bas Böttcher, ihrer Mitarbeiterin Leona Schenke und Bastian Herbst vom Humboldt Labor für Berliner Grundschulen organisiert. Ziel ist, die künstlerische und sprachliche Entwicklung von Kindern im Grundschulalter zu fördern und ihnen eine Community zu bieten, in der sie ihre Ideen und Emotionen frei ausdrücken können. „Für den diesjährigen Termin am 30. Juni gibt es schon Anmeldungen für 24 Workshops, in denen sich die Kids für das Event vorbereiten“, freut sie sich. Und wünscht sich, dass Lehrer*innen ihre Schüler*innen ermuntern, auch in anderen Herkunftssprachen als Deutsch zu präsentieren. Wir fördern so Literary Citizenship, sagt sie.
Vom ersten eigenen Buch zu Poetry-Slam-Meisterschaften
Ob sie jemals selbst auf einer Bühne gestanden und Texte vorgetragen hat? Nein. Davor habe sie zu viel Respekt. Aber das Beobachten, Analysieren, Vernetzen habe sie gleich beim ersten Mal gepackt und resultierte erst einmal in der Veröffentlichung eines Buches im Jahr 2004. Es richtete sich an Lehrende wie Schüler*innen gleichermaßen und zeigte, wie man zum Slam-Poeten wird. Mit „Poetry Slam. Live-Poeten in Dichterschlachten“, herausgegeben vom Verlag an der Ruhr, warb sie an Schulen für den Poetry-Slam-Workshop im Unterricht und gab selbst Workshops in ihren eigenen Klassen. „Meine Buch Release Party war auch gleich der Auftakt für den U20 Poetry Slam“, erinnert sich Anders. Ein Slam, der sich an junge Leute unter 20 Jahren richtete. 2007 organisierte sie die U20-Poetry-Slam-Meisterschaften, warb als Nachwuchswissenschaftlerin Drittmittel für vorbereitende Workshops ein. Der Admiralspalast füllte sich mit begeisterten jungen Slammer*innen. Die Meisterschaften sind immer noch das jährliche Highlight der jungen Poetry-Slam-Szene.
Wie sieht die Slam-Szene in den USA aus?
Ihr erstes Buch stellte Petra Anders nicht nur an Schulen, sondern auch Ulf Abraham vor, damals Professor in Würzburg, heute Seniorprofessor im Arbeitsbereich bei Petra Anders an der HU. Sie vertiefte ihr Wissen dann an der Universität Bremen mit der ersten Dissertation zum Thema „Poetry Slam im Deutschunterricht“, die in mehrfacher Auflage vorliegt. Auf diese ersten Veröffentlichungen zum Poetry Slam folgten 20 weitere, die teilweise auch in den USA entstanden sind, wo sie Visiting Scholar an der Columbia University war und zur Filmbildung arbeitete. „Ich bin ursprünglich 2007 nach New York und San Francisco geflogen, um die US-amerikanische Poetry-Slam-Szene kennenzulernen, das Genre kommt ja aus den USA“, berichtet sie. Ein Aufenthalt, der viel länger dauerte als geplant. In den USA lernte sie ihren zukünftigen Mann kennen und bekam drei Kinder.
Preis für gute Lehre
2012 kam sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an die HU, forschte in der Fachdidaktik des Instituts für deutsche Literatur. Es folgten eine Juniorprofessur in Leipzig und eine Professur an der Freien Universität Berlin. In ihrer Lehre und Forschung beschäftigt sie sich aktuell schwerpunktmäßig mit Leseförderung, Filmdidaktik, Spoken Word Poetry und dem Deutschunterricht in der Digitalität. 2021, während der Pandemie, erhielt Anders den Preis für gute Lehre der HU für ihre hybride Vorlesung zur Einführung in die Deutschdidaktik. Sie hatte ein Hörbuch aufgenommen, das sie mit den Studierenden diskutierte und das sich bis heute weiterentwickelt
Sammlung in der Geschwister-Scholl-Str.
„Ich habe mich seinerzeit wegen der kulturwissenschaftlichen Ausrichtung des Instituts für Erziehungswissenschaften für die HU entschieden. Die HU ist außerdem eine Uni, die einen unterstützt, wenn man für etwas brennt.“ Für ihre jüngsten Aktivitäten, die Eröffnung der Poetry-Slam-Sammlung, arbeitet sie gerne mit Oliver Zauzig, dem zentralen Sammlungskoordinator der HU, zusammen, der das Projekt engagiert mitgetragen hat. Die Sammlung wird im Südturm des Instituts für Erziehungswissenschaften in der Geschwister-Scholl-Straße zu finden sein. Petra Anders steht hier als kompetente Leiterin der Sammlung für Forschende bereit, auch Spezialfragen zum Poetry Slam engagiert anzugehen.
Autorin: Ljiljana Nikolic
Weitere Informationen
Didaktik-Hörbuch von Petra Anders
YouTube-Video: Poetry Slam im Objektlabor (HU Berlin): Kirsten Fuchs
Poetry Slam im Objektlabor (HU Berlin): Markus Köhle