Eine neue Generation optogenetischer Instrumente für Forschung und Medizin
Der Europäische Forschungsrat (ERC) fördert mit 10 Millionen Euro ein interdisziplinäres Verbundprojekt zur strukturellen und biophysikalischen Analyse ausgewählter Photorezeptoren und deren Entwicklung zu „OptoGPCRs“, lichtgesteuerten molekularen Schaltern mit einem breiten Anwendungsspektrum in Biologie und Medizin. Das Team des ERC Synergy Grant besteht aus Gebhard Schertler, „Corresponding Principal Investigator“ (cPI) und Leiter des Forschungsbereichs Biologie und Chemie am Paul Scherrer Institut (PSI), sowie seinen Kolleg*innen Peter Hegemann (Humboldt-Universität zu Berlin, Deutschland), Sonja Kleinlogel (Universität Bern, Schweiz) und Rob Lucas (Universität Manchester, Großbritannien). Gemeinsam werden sie zeigen, wie OptoGPCRs unsere Fähigkeit, eine Vielzahl komplexer zellulärer Prozesse mit Licht zu steuern, revolutionieren können.
„Ich gratuliere den Forschenden und insbesondere Herrn Hegemann recht herzlich zu diesem tollen Erfolg. Synergy Grants werden für Projekte vergeben, die die Grenzen des vorhandenen Wissens substanziell erweitern. Dies gilt für Hegemanns Forschung ganz ohne Zweifel. Die Entwicklung lichtgesteuerter G-Protein gekoppelter Rezeptoren kann unser Verständnis für das Zusammenspiel komplexer zellulärer Prozesse revolutionieren,“ sagt Prof. Peter A. Frensch, Vizepräsident für Forschung der Humboldt-Universität zu Berlin.
Das vom ERC Synergy Grant geförderte Projekt „Switchable rhodOpsins in Life Sciences“ - SOL - basiert auf sogenannten bistabilen Rhodopsinen. Tierische Rhodopsine gehören zur Klasse der so genannten G-Protein-gekoppelten Rezeptoren (GPCRs). Es gibt Hunderte von verschiedenen GPCRs, die eine Vielzahl unterschiedlicher G-Proteine aktivieren und die eine wichtige Rolle bei Signalprozessen in fast jedem Zelltyp spielen. Dementsprechend setzen viele Arzneimittel in ihrem Wirkspektrum bei den GPCRs an. Rhodopsine sind Licht- aktivierbare GPCRs, die vor allem für ihre Rolle als Photorezeptoren in der Netzhaut des menschlichen Auges bekannt sind. Die „Sehrezeptoren“ in unseren Augen verlieren bei Aktivierung ihren Lichtsensor, das Vitamin-A-Derivat Retinal, und müssen „neu zusammengesetzt“ werden, um Photonen (Licht) wieder aufnehmen zu können. Bistabile Rhodopsine behalten jedoch nach Aktivierung ihr Retinal und können im Prinzip durch mehrfache Lichtblitze aktiviert und deaktiviert werden, ohne dass ein Zusammensetzen erforderlich ist, und wirken so wie echte biologische „Schalter“.
„An- und Ausschalten“ eines zellulären Prozesses mit Hilfe von Licht
„Unser Konsortium verfolgt drei Hauptziele“, sagt Professor Gebhard Schertler von der ETH Zürich. „Erstens wollen wir die Struktur der bistabilen Rhodopsine untersuchen, um ihre Funktionsweise besser zu verstehen“. Zweitens wollen die Forscherinnen und Forscher mit molekularbiologischen Methoden bistabile Rhodopsine mit neuartigen Eigenschaften herstellen, die durch Licht verschiedener Wellenlängen an- und ausgeschaltet werden und die Signalwirkung anderer GPCRs wirkungsvoll imitieren können. „Dies wird es uns ermöglichen, jeden G-Protein-vermittelten Signalprozess in jedem Zelltyp durch Licht einer bestimmten Farbe an- und auszuschalten", erklärt Schertler. „Unser drittes Ziel ist es, diese Schalter zu benutzen, um die Wirkung der G-Protein-Signalisierung in Tieren zu untersuchen und dieses Wissen für die Entwicklung von Gentherapeutika gegen menschliche Krankheiten zu nutzen“.
Die zweite optogenetische Revolution
Die Konzeption der ersten Generation der Optogenetik führte mit der Verwendung von Light-aktivierten Kanälen aus Grünalgen (Channelrhodopsine) ein revolutionäres Konzept in die modernen Lebenswissenschaften ein und lieferte ein herausragendes Beispiel dafür, wie die Grundlagenforschung über molekulare Eigenschaften von Proteinen in die praktische Anwendung in zellulären und tierischen Systemen umgesetzt werden kann. Bislang ist sie jedoch auf lichtgesteuerte Ionentransporter beschränkt und wird hauptsächlich für die Stimulation oder Inaktivierung von Nervenzellen eingesetzt. Dies hat eine breite Anwendung dieser Technologie in den Lebenswissenschaften verhindert. Versuche, die Palette optogenetischer Werkzeuge auf die lichtbasierte Steuerung zellulärer Rezeptoren wie GPCRs auszudehnen, sind bisher gescheitert. Dank der kombinierten und interdisziplinären Expertise von Gebhard Schertler, einem Experten für die strukturelle Charakterisierung dieser Rezeptoren, Peter Hegemann, einem Gründervater der ersten optogenetischen Werkzeuge mit einem unübertroffenen Wissen über die biophysikalische Charakterisierung von Photorezeptoren, Rob Lucas, einem weltweit führenden Experte für bi-stabile Rhodopsine bei Säugetieren und Experten für zelluläre Assays, und Sonja Kleinlogel, einer Pionierin auf dem Gebiet der Gentherapie mit Hilfe der Optogenetik, kann eine Tool Box lichtgesteuerter zellulärer Rezeptoren mit weit verbreiteten Anwendungsmöglichkeiten in Biologie und Medizin zur Verfügung gestellt werden.
Dieser ERC Synergy Grant, der von der Europäischen Union über einen Zeitraum von sechs Jahren bereit gestellt wird, hat daher eine realistische Chance, zum Katalysator für eine „zweite optogenetische Revolution“ zu werden. Das SOL-Projekt könnte eine zentrale Rolle darin spielen, die Grenzen der modernen Lebenswissenschaften zu verschieben.
Weitere Informationen
Kontakt
Prof. Dr. Peter Hegemann
Hertie Professor für Biophysik und Neurowissenschaften
Institut für Biologie
Humboldt-Universität für Berlin
Webseite von Prof. Dr. Hegemann
Tel: (+49) 030 2093 8830
hegemann@rz.hu-berlin.de