„Eine sehr schöne, positive Überraschung“
Dr. Sven Ramelow, Foto: IRIS Adlershof
Dr. Sven Ramelow leitet seit 2016 die Emmy Noether-Nachwuchsgruppe „Quanten-Bildgebung und Spektroskopie im Mittleren Infrarot“. Zuvor hat er nach seinem Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) beim Ehrendoktor der Humboldt-Universität, Prof. Anton Zeilinger, an der Universität Wien promoviert und als Post-Doc mit ihm an Experimenten zur Verletzung der Bellschen Ungleichung gearbeitet, für die Zeilinger unter anderem der diesjährige Physik-Nobelpreis verliehen wird.
Weitere Stationen waren die University of Queensland (Brisbane, Australien) und die Cornell University (Ithaca, USA), bevor Ramelow zurück zur Humboldt-Universität kam. Er ist seit 2017 Mitglied von IRIS Adlershof.
Lieber Herr Dr. Ramelow, der Nobelpreis in Physik 2022 wurde an Prof. Alain Aspect, Dr. John Clauser und Prof. Anton Zeilinger „für Experimente mit verschränkten Photonen, Nachweis der Verletzung der Bellschen Ungleichungen und Pionierarbeit in der Quanteninformationswissenschaft“ vergeben. Hat es Sie überrascht, das Prof. Zeilinger den Nobelpreis erhalten hat?
Dr. Sven Ramelow: Jein. Es wurde ja seit über 10 Jahren immer wieder vermutet und man konnte online sogar darauf Wetten abschließen. Zu Recht! Aber wenn es dann tatsächlich passiert, ist das natürlich für den Moment eine sehr schöne, positive Überraschung.
Das Thema hört sich kompliziert an - was sind denn verschränkte Photonen und die Bellsche Ungleichung?
Wenn man die Eigenschaften von zwei verschränkte Photonen jeweils an verschiedenen, weit entfernten Orten misst, können die Ergebnisse für bestimmte Messeinstellungen immer gleich sein. Dies ist erst einmal auch nichts Besonderes. Es könnte ja einfach so sein, dass die Photonen einfach mit jeweils gleichen Eigenschaften erzeugt und danach nur verteilt wurden.
Die beiden Photonen hätten sich also bei der Entstehung als verschränkte Photonen entschieden, welches z.B. Spin up und welches Spin down erhält?
Genau, das könnte man so vermuten. Man bezeichnet diesen Erklärungsversuch als „lokale, versteckte Variablen“ oder „lokalen Realismus“. Und er deckt sich ja auch zu 100 Prozent mit unseren Alltagserfahrungen: Dinge hätten „an sich“ Eigenschaften, die unabhängig davon sind, ob ich diese messe oder anschaue. Allerdings wurde in den 1960er Jahren durch John Bell eine Art von Experiment vorgeschlagen, mit dem man diese Art der Erklärung sicher ausschließen kann. Und genau solche Experimente - heute spricht man von Bell-Tests bzw. Verletzung der Bellschen Ungleichungen – wurden von allen drei Preisträgern erfolgreich durchgeführt.
Worin liegen denn die praktischen Herausforderungen bei einem solchen Versuchsaufbau?
Zunächst einmal benötig man natürlich ein Quelle von verschränkten Photonen. Heutzutage sind solchen Quellen bereits (für andere Zwecke – z.B. Quantenkryptographie) kommerziell erhältlich, aber zum Zeitpunkt der Pionier-Arbeiten der drei Preisträger mussten diese aufwendig konstruiert und aufgebaut werden. Dann müssen die einzelnen Photonen an zwei möglichst weit entfernten Orten möglichst effizient gemessen werden – eine große messtechnische Herausforderung. Und zuletzt müssen die Messwinkel sehr schnell und vor allem zufällig verändert, sowie die Daten sehr aufwendig statistisch analysiert werden.
Wo kann man mehr dazu erfahren?
Prof. Zeilinger hat dazu einige sehr gut erklärende Bücher geschrieben, die auch allgemeinverständlich sind. Zudem gibt es in jedem Sommersemester seit ein paar Jahren am Institut für Physik die Vorlesung „Advanced Optical Sciences“, bei der es bei einem der zwei bis drei Hauptthemen immer um solche Bell-Experimente geht.
Arbeiten Sie in Ihrer Nachwuchsgruppe auch an verschränkten Photonen?
Ich würde eher sagen wir arbeiten MIT verschränkten Photonen. Im Moment versuchen wir diese für bestimmte neue Anwendungen und sogar mögliche Produkte im Bereich der Mikroskopie und Spektroskopie nutzbar zu machen. Zum Beispiel arbeiten wir an einem Gerät für die Erkennung vom Mikroplastik-Partikeln in Abwasser, sowie einer neuen Art von Mikroskop für die Krebsdiagnostik. Die Grundlagenforschung dafür wurde übrigens erst 2014 in der Arbeitsgruppe von Prof. Zeilinger gemacht – damals noch ohne jegliche Absicht einer möglichen Anwendung, sondern wirklich aus reiner Neugier.
Ab wann schätzen Sie werde ich mit meinem Handy quantenverschlüsselte Textnachrichten verschicken?
Ich glaube nicht, dass das eine Anwendung von Quantenverschlüsselung sein wird. Aber vielleicht wird es in den nächste fünf bis zehn Jahren andere geben – in Bereichen wo extreme Datensicherheit erforderlich ist.
Die Fragen stellte Martin Bogner, IRIS Adlershof.
Weitere Informationen
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- Zur Meldung auf der Webseite auf IRIS Adlershof
- Zur Verleihung der HU-Ehrendoktorwürde an Prof. Dr. Anton Zeilinger