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„In der biologischen Forschung gibt es eine große Reproduzierbarkeitskrise.“
Offene Forschung bietet viele Vorteile – trotzdem verbreiten sich Open Science-Standards nur langsam. Matthias König setzt sich als BUA Open Science Ambassador für mehr Transparenz in der Wissenschaft ein.

Matthias König ist einer der BUA Open Science
Ambassadors. Foto: Matthias König
Die Forschung nach Open Science-Standards bietet viele Vorteile. Doch warum etablieren sich diese Standards nur relativ schleppend? Welche Hürden gibt es für die Etablierung von Open Science in der Wissenschaft und was müsste passieren, damit das Thema Fahrt aufnimmt? Matthias König ist einer von 23 BUA Open Science Ambassadors, die für eine offene Forschungskultur an den Einrichtungen der Berlin University Alliance werben. Im Interview erzählt er, wie er und sein Team das Thema Open Science in der Biologie umsetzen.
Aktuell können sich Interessierte an allen Einrichtungen der Berlin University Alliance für die zweite Runde der Open Science Ambassadors bewerben. Als Botschafter*innen für offene Wissenschaft wirken die Open Science Ambassadors ab dem 1. August 2025 an der Umsetzung von Open Science in ihrer Community mit. Bewerbungen sind bis zum 2. Juni 2025 möglich. Mehr Informationen gibt es auf der Website der Berlin University Alliance oder bei der digitalen Informationsveranstaltung am 16. Mai 2025.
Wie sind Sie persönlich mit dem Thema Open Science in Kontakt gekommen?
Matthias König: Ich bin Gruppenleiter an der Humboldt-Universität und arbeite vor allem im Bereich Systemmedizin der Leber. Wir beschäftigen uns mit der Computermodellierung von biologischen und medizinischen Systemen, sogenannte Digitale Zwillinge. In diesem Kontext ist es eine große Herausforderung, eine Reproduzierbarkeit dieser Modelle zu haben – also dass auch andere Wissenschaftler*innen diese simulieren können und die gleichen Ergebnisse erhalten. Das bedeutet, dass wir sehr auf offene Daten angewiesen sind, um diese Modelle zu füttern und unsere Vorhersagen zu überprüfen. Wir arbeiten auch viel mit offenem Code. In diesem Kontext bin ich stark mit den Themen Open Data und Open Science in Kontakt gekommen.
Was genau machen Sie als Open Science Ambassador?
König: Als Open Science Ambassador unterstütze ich die Arbeitsgruppen am Institut für Biologie dabei, ihre Computermodelle nach Open Science-Standards reproduzierbar zu machen. Das ist oftmals schwierig, weil es keine speziellen Ausbildungsprogramme oder Kurse dafür gibt. Meine Arbeit leistet da eine Hilfestellung, damit die Studierenden ihre Computermodelle möglichst offen gestalten können. Einerseits organisiert unsere Arbeitsgruppe Informationsveranstaltungen, um bestimmte Methoden, Computerbibliotheken oder Standards vorzustellen. Andererseits biete ich auch individuelle Beratung für Studierende an. Die Motivation dafür ist aus meiner eigenen Arbeit entstanden: Wir betreuen viele Studierende in unserer Gruppe, können deren Arbeit aber nur nachnutzen, falls sie sich an bestimmte Standards halten.
Damit meine Sie vor allem FAIRe Daten, richtig?
König: Genau. Die Daten sollten findable, accessible, interoperable und reusable sein. Vor ein paar Jahren haben wir uns beispielsweise im Rahmen einer EU-Initiative damit beschäftigt, Covid-Modelle, die den Verlauf der Pandemie vorhersagen, reproduzierbar und FAIR zu gestalten. Während der Covid-Pandemie gab es viel Förderung für Computermodellierung und dementsprechend viele Modelle, aber es war schwierig zu beurteilen, wie gut diese Vorhersagemodelle wirklich waren. Wir haben mehr als 30 Modelle in einen offenen Standard umgewandelt, damit jeder sie mit anderen Datensätzen wiederverwenden kann.
Wie steht es denn um Open Science in der Biologie – werden standardmäßig Modelle von anderen Forscher*innen reproduziert?
König: Das ist die Idee von Open Science – damit nicht jeder, der ein Projekt anfängt, bei null beginnen muss. Gerade in der biologischen Forschung gibt es jedoch eine große Reproduzierbarkeitskrise. Meistens ist es nicht möglich, die Daten einer bestimmten Publikation zu reproduzieren. Oftmals fehlen entweder die Methoden, genügend Informationen oder der Computer Code.
Ein weiteres großes Problem ist, dass vor allem in der Wissenschaft am Ende alles nach Publikationen bewertet wird. Deshalb wollen viele Forschungsgruppen ihre Datensätze oder Computermodelle nicht herausgeben, weil sie noch weitere Publikationen damit machen möchten.
Das hat ja auch etwas mit dem generellen Publikationsdruck in der Wissenschaft zu tun.
König: Genau. Meine persönliche Erfahrung ist, dass die Forschungs-Community zweigespalten ist. Auf der anderen Seite gibt es viele Personen, die die Vorteile von Open Science sehen: Wenn ich offener bin, werde ich häufiger zitiert, andere Wissenschaftler*innen verwenden meine Daten und ich bekomme neue Kollaborationen. Man kann dann gemeinsam versuchen, Forschungsprobleme zu lösen. Es gibt tatsächlich Studien, die zeigen: Umso offener die Daten sind, desto mehr werden auch die Publikationen zitiert.
Meine persönliche Erfahrung zeigt: Wenn die Daten nicht offen zugänglich gemacht werden, wird damit meistens nichts mehr gemacht, da die Studierenden und Forschende, die die Daten erzeugt haben, nicht mehr in der Arbeitsgruppe sind. Dieser Datensatz, der für die Forschungscommunity sehr wichtig und interessant wäre, geht dann verloren.
Für die Forschung wäre es also viel wichtiger, wenn man die Daten zur Verfügung stellt?
König: Genau. Es hat sich schon einiges in der Community getan, und auch in der Biologie wird die Forschung offener. Ein gutes Beispiel ist die Proteinstrukturanalyse. Schon vor Jahrzehnten wurde es zum Standard, dass man eine Struktur, die man aufgeklärt hat, in einer zentralen Datenbank ablegt. Dadurch gibt es heute eine sehr große Datenbasis und man kann heute keine Proteinstruktur mehr publizieren, wenn man diese nicht in die Datenbank ablegt. Das hat auch dazu geführt, dass in diesem Bereich mit Künstlicher Intelligenz gearbeitet werden konnte. Das hat das Feld der Proteinstrukturanalyse revolutioniert. Eine analoge Entwicklung wäre in allen Bereichen der Biologie und Medizin notwendig.
Sehen Sie das eher als Chance oder eher als Problem, dass auch die Künstliche Intelligenz auf diese Datensätze zugreifen kann?
König: Ich sehe das auf jeden Fall als Chance. Die künstliche Intelligenz sehe ich als Werkzeug, mit dem man neue Fragestellungen angehen kann. Sie wird die Wissenschaft nicht ersetzen. Die Herausforderung ist, dass viele Menschen nicht verstehen, was Künstliche Intelligenz eigentlich ist, und deshalb große Ängste haben. Das ist auch verständlich. Aber ohne Open Science und Open Data wird man die KI-Systeme nicht entwickeln können. Hier sind wir als Wissenschaftler*innen gefragt, aktiv zu zeigen, wie diese Technologien verantwortungsvoll eingesetzt werden können.
Welche Initiativen wären nötig, damit das Thema Open Science innerhalb der BUA noch mehr Fahrt aufnimmt?
König: Wir bräuchten alternative Evaluationskriterien für Research Outcome, für die Bewertungen von Wissenschaftler*innen und Lebensläufen, aber auch bei Einstellungen und Berufungen. In diesen Kriterien sollten die Faktoren Open Science und Engagement für die Community deutlich stärker gewichtet werden.
Da tut sich etwas, auch an der Humboldt-Universität, aber diese Prozesse gehen sehr langsam voran. Es ist natürlich schwierig, ein ganzes System von quantitativen Indikatoren hin zu alternativen Faktoren wie Engagement umzukrempeln. Diese sind deutlich schwieriger zu evaluieren und erfordern mehr Arbeit für die beteiligten Kommissionen. Deswegen geht dieser Prozess an Universitäten nur sehr langsam voran. Um einen internen Wandel zu schaffen, bräuchte es deutlich mehr Initiativen mit mehr finanziellen Mitteln. Diese Investition würde sich langfristig mehr als lohnen, durch die Mehrwerte, die durch Open Science erzeugt werden – von einer verbesserten Reproduzierbarkeit von Forschungsergebnissen bis hin zu einer stärkeren Zusammenarbeit in der wissenschaftlichen Community.
Wie sieht ihre weitere Tätigkeit als Open Science Ambassador der BUA aus?
König: Ich bin für ein Jahr, also noch bis zum Ende des Sommers Open Science Ambassador. Diese Zeit würde ich gerne um ein weiteres Jahr verlängern. An der Humboldt-Universität organisieren wir demnächst einen Workshop, um alle Modellierer*innen aus der lebenswissenschaftlichen Fakultät zusammenzubringen und die Grundlagen von Open Science zu vermitteln. Damit hoffen wir auf einen Multiplikatoreffekt, so dass die Wissenschaftler*innen und Studierenden dem Thema Open Science mehr Aufmerksamkeit schenken.