Wer sollte nicht an der Universität sprechen?
An Hochschulen führt die Ein- oder Ausladung politisch exponierter Sprecher*innen oft zu Kontroversen. Die Entscheidung, wer sprechen darf und wer nicht, sollte sich an den Aufgaben der Universität orientieren.

Romy Jaster und Geert Keil. Fotos: Johanna Wick,
Michele Taruffo Girona, Evidence Week
An der Universität entzünden sich Kontroversen über Wissenschaftsfreiheit häufig an der Ein- oder Ausladung politisch exponierter Sprecher*innen. Zunächst ist wichtig, die unterschiedlichen Rollen der Akteur*innen im Auge zu behalten: Über die Einladung zu einer wissenschaftlichen Veranstaltung entscheiden die einladenden Wissenschaftler*innen im Rahmen ihrer eigenen Forschungs- und Lehrfreiheit. Hochschulleitungen müssen nicht gefragt werden und auch keine Erlaubnis geben. Ministerien haben keine Weisungen zur Besetzung von Veranstaltungen zu erteilen. In Fällen, in denen massive Störungen drohen, kann allerdings eine Umplanung einer Veranstaltung erforderlich sein, um ihren sicheren Ablauf zu gewährleisten. An dieser Stelle kommen Hochschulleitungen ins Spiel. Dabei versteht sich, dass Sicherheitsbedenken nicht bloß vorgeschoben sein dürfen.
Politische und zivilgesellschaftliche Akteur*innen dürfen Einladungen kritisieren, auch in scharfer Form. Es ist kein Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit, beispielsweise die Meinung kundzutun »Es ist unerträglich, dass hier einer Antisemitin eine Bühne geboten wird«. Forderungen nach Ausladung sind ihrerseits kritisierbar und müssen sich gefallen lassen, auf ihre politische Motivation hin befragt zu werden. Nach einem berühmten Argument des Philosophen John Stuart Mill sind Dissens und Meinungsvielfalt grundsätzlich erkenntnisbefördernd. Schon deshalb bedarf es besonders starker Argumente, anderen den öffentlichen Raum zu bestreiten, den man für sich selbst in Anspruch nimmt.
Aus der Perspektive von Wissenschaftler*innen, die eine Veranstaltung planen, stellt sich das Problem nicht als rechtliches dar: Sie wissen schon, dass sie einladen dürfen, wen sie für geeignet halten. Sie fragen sich, wen sie (nicht) einladen sollten und von welchen Überlegungen sie sich dabei leiten lassen sollten. Nicht alles, was rechtlich erlaubt ist, ist auch gute wissenschaftliche Praxis.
Aus unserer Sicht ergibt sich der entscheidende Gesichtspunkt aus der Aufgabe der Universität: An Universitäten wird Wissenschaft betrieben, also methodisch kontrollierte, ergebnisoffene, fehlbare Erkenntnissuche. Dieses Geschäft erfordert bestimmte Tugenden und wird durch bestimmte Laster beeinträchtigt. Dabei handelt es sich wohlgemerkt nicht um moralische, sondern um epistemische Tugenden und Laster. Bestimmte Einstellungen, Haltungen und Verhaltensweisen sind der ergebnisoffenen Erkenntnissuche zuträglich, andere sind ihr abträglich. Untersucht wird das in der Tugenderkenntnistheorie (virtue epistemology).
Beispiele: Personen, die vorgebrachte Belege ignorieren, sich Nachfragen beharrlich entziehen, anderen das Wort im Mund umdrehen, in Bedrängnis das Thema wechseln oder ihre eigenen Auffassungen gegen Kritik zu immunisieren suchen, zeigen damit, dass sie keine klärungs- oder erkenntnisorientierte Debatte führen wollen. Man kann diese Verhaltensweisen und Untugenden unter dem Begriff der intellektuellen Unredlichkeit zusammenfassen. Wo auch immer sie ihren Platz haben: Der ergebnisoffenen Erkenntnissuche sind sie abträglich.
Für eine Einladung an die Universität disqualifiziert man sich aus unserer Sicht nicht durch bestimmte inhaltliche Positionen, auch nicht durch eine tatsächliche oder vermutete Unzumutbarkeit für Zuhörende. Die Universität schützt weder Rechtgläubigkeit noch moralische Rechtschaffenheit, sondern ihre eigene DNA: dasjenige Mindestmaß an intellektueller Redlichkeit, das für die wissenschaftliche Erkenntnissuche unerlässlich ist. Wer diese Suche durch sein epistemisches und diskursives Verhalten sabotiert, nimmt sich gleichsam selbst aus dem Spiel.
Weitere Informationen
Weiterführende Literatur
- „Wen sollte man nicht an die Universität einladen?“, in: E. Özmen (Hg.), Wissenschaftsfreiheit im Konflikt, Stuttgart 2021.
- „Wer muss draußen bleiben?“, Deutsche Zeitschrift für Philosophie 70 (2022).
Romy Jaster und Geert Keil forschen und lehren am Institut für Philosophie der Humboldt-Universität.