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Szenaristisch über Zukunft nachdenken

Das Sommerthema 2019 widmet sich der Frage "Wie wollen wir zusammen leben?" Wir stellen Forscherinnen und Forscher vor, führen Interviews und suchen Antworten aus ganz unterschiedlichen Perspektiven, u.a. soziologisch, ethnologisch, wirtschaftswissenschaftlich und naturwissenschaftlich. In Folge 6 sprachen wir mit Prof. Dr. Philipp Staab über die Zukunft der Arbeit und wie man überhaupt etwas erforschen kann, was noch nicht da ist.

Die These vom Ende der Arbeit gibt es schon lange. Auch in den letzten Jahren ist immer wieder zu hören, Roboter und Künstliche Intelligenz lösten die menschliche Arbeit zunehmend ab, bis sie sie irgendwann überflüssig machten. Wo vorher Werkarbeiter ächzende Maschinen per Hand bedienten oder Büroangestellte klackernd auf Computertastaturen tippten, würden also bald digitale Automaten das Geschäft übernehmen.  Diese Vorstellungen bekommen Aufmerksamkeit, weil sie so erschreckend und dystopisch klingen.

 „Solche Ideen sind immer wieder aktuell, wenn man auf die Debattenkultur guckt: Seit der Nachkriegszeit kommen sie alle zehn bis zwanzig Jahre auf“, sagt Philipp Staab, der im Februar die Professur “Soziologie der Zukunft der Arbeit“ an der Humboldt-Universität und am ECDF angetreten hat. „Guckt man aber auf die Empirie, sieht man schnell, dass sich die Befürchtungen, die mit dem Ende der Arbeit verbunden wurden, nie realisiert haben.“ Die These sei zwar nicht erledigt. „Aber es zeigt sich, dass nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht wurde.“

 Philipp Staab, Jahrgang 1983, hat Soziologie, Politikwissenschaftenund Psychologie studiert. Er hat am Insitut für Sozialforschung in Hamburg, den Universitäten Kassel und St. Gallen sowie am Institut für die Geschichte und Zukunft der Arbeit geforscht. Früh galt sein Interesse der Tertiarisierung, also der Verschiebung der Beschäftigungsschwerpunkte vom industriellen zum Dienstleistungssektor. „Diese Entwicklung war durchaus mit großen Hoffnungen verbunden: Dass wir es dann mit Arbeitsprozessen zu tun hätten, die deutlich weniger von technologischen Kontrolldynamiken geprägt sein würden, als es die tayloristische Industriearbeit zeitweise war.“ War diese Hoffnung lange berechtigt, treten wir nun allerdings in eine neue Phase ein. „Denn die neuen Technologien bringen die rigiden Herrschaftsmechanismen, die wir aus der Industriearbeit kennen und dort teilweise schon wieder abgeschafft haben, jetzt auch in den wachsenden Dienstleistungssektor.“

 Nach den letzten Jahren unverhoffter Hochkonjunktur in Deutschland werden in der nächsten Dekade stärkere Polarisierungsdynamiken an den Arbeitsmärkten auftreten, glaubt Staab. „Zu erwarten stehen stärkere Insider-Outsider-Spaltungen. Die können dann wieder zu Debatten führen, die wir so ähnlich in den späten Neunzigern und frühen Nullerjahren geführt haben, unter dem Stichwort des ,Kranken Mannes Europas‘.“

 Wie kommt Philipp Staab zu solchen Aussagen? Wie erforscht man die Zukunft? „Ich schaue auf Vorbilder aus der Vergangenheit und deren Entwicklung. Zugleich behalte ich institutionellen Pfadabhängigkeiten im Blick, weil man weiß, dass soziale Ordnungen sich im Normalfall im Rahmen bereits etablierter Wege stabilisieren.“ Auf diese Weise kann er szenaristisch über Zukunft nachdenken.

 „Es hat mich schon während des Studiums interessiert, was eigentlich als nächstes kommt und daher habe ich immer nach Hinweisen darauf gesucht, was in Zukunft eigentlich wichtig sein wird“, sagt er. Dieses Interesse hat ihn gut ausgerüstet, was die Zukunft seiner eigenen Arbeit angeht. „Ich habe mich schon vor vielen Jahren mit der Transformation von Arbeitsmärkten befasst, dem großen Makrotrend der Tertiarisierung. Vor sechs Jahren etwa habe ich angefangen, mich im strengeren Sinne mit der Digitalisierung auseinanderzusetzen, insbesondere mit den Leitunternehmen des kommerziellen Internets. Damit war ich relativ früh dran mit diesem Thema und war daher für die Professur gut aufgestellt.“

 Zur Zeit hat das Thema Zukunft wieder Konjunktur. „Das ist immer dann so, wenn wir es mit einer Kombination aus ökonomischer Stagnation und gleichzeitigem gesellschaftlichem Aufruhr zu tun haben.“ Und das, sagt Philipp Staab, ist auch die Situation, die unsere Gegenwart prägt.

Autorin: Vera Görgen
 

Sommerthema 2019: Wie wollen wir zusammen leben?

Folge 1 mit der Ethnologin Prof. Dr. Silvy Chakalakkal: "Ich gehe davon aus, dass Zeit nicht einfach da ist."

Folge 2 mit dem Soziologen Prof. Dr. Steffen Mau: Erkundungen in der ostdeutschen Heimat

Folge 3 mit dem Makroökonomen Prof. Marcel Fratzscher (PhD): Für einen starken Sozialstaat

Folge 4 mit Prof. Dr. Patricia Ribault vom deutsch-französischen Projekt Behavioral Matters

Folge 5 mit Prof. Dr. Sebastian Markett: Wie das Smartphone das Gehirn verändert