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Humboldt-Universität zu Berlin | Presseportal | 250 Jahre Georg Wilhelm Friedrich Hegel | „Studenten reisten aus ganz Europa an, um seine Vorlesungen zu hören“

„Studenten reisten aus ganz Europa an, um seine Vorlesungen zu hören“

An der Berliner Universität erlangte er Weltruhm: der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Im August jährt sich sein 250. Geburtstag

Unter den Denkern westlicher Prägung zählt er zu den ganz großen, wird in einem Atemzug genannt mit Platon, Aristoteles und Kant: Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Aufgewachsen in einem bürgerlichen Haushalt im Stuttgart des späten 18. Jahrhunderts, studierte er Theologie, verfasste im privaten Studierzimmer lange Abhandlungen wie die „Phänomenologie des Geistes“ (1807), die zu seinen einflussreichsten Schriften zählt. 1818 erhielt Hegel als Professor von Königs Gnaden und Nachfolger Fichtes endlich den lang ersehnten Posten an der Berliner Universität und stieg hier innerhalb kürzester Zeit zu einem Philosophen von Weltrang auf. Im August dieses Jahres jährt sich der Geburtstag Hegels zum 250. Mal.

Was sollen wir tun? Haben wir einen freien Willen? Was ist das Gute? Es sind Menschheitsfragen, die Georg Wilhelm Friedrich Hegel faszinierten und deren Beantwortung er sich zur Lebensaufgabe machte. Ab 1818 erläuterte der Philosoph seine in einem umfangreichen Nachlass überlieferten Ideen in den Hörsälen der heutigen Humboldt-Universität vor einer stetig wachsenden Studierendenschaft. Hier, nach langen und entbehrungsreichen Jahren als Hauslehrer, Redakteur und Gymnasiallehrer, hatte er „endlich Zeit und Ressourcen, systematisch zu arbeiten“, so Hegel-Forscher Thomas Meyer. „Die Aufmerksamkeit, die seinem Denken zuteil wurde, nahm in Berlin exponentiell zu: Studenten reisten aus ganz Europa an, um seine Vorlesungen zu hören.“

„Als ‚preußischen Staatsphilosophen‘ abgewertet“

War der Philosoph als junger Mann noch liberalen Ideen zugeneigt, hatte mit der Französischen Revolution sympathisiert und von Napoleon als „Weltseele zu Pferde“ geschwärmt, vertrat er in den Berliner Jahren einen starken Staat und richtete sich somit auch ideologisch im Herzen Preußens ein. „Häufig hat man Hegel daher zu Lebzeiten und darüber hinaus als ‚preußischen Staatsphilosophen‘ abgewertet“, sagt Thomas Meyer. Der Vorwurf ziele dabei insbesondere auf Hegels Rechtsphilosophie, in der er „die repressiven, preußischen Staatsstrukturen als vernünftig beschreibt.“ Aufgrund der Karlsbader Beschlüsse von 1819, in deren Folge selbst Hochschullehrer mit Entlassung, Berufsverbot und Verfolgung rechnen mussten, sei eine weltanschauliche Standortsbestimmung allerdings sehr schwierig, meint der Philosoph. Fest steht, dass Hegel in Berlin zu höchsten Ehren kam – und dass sich seine letzte Wohnstätte, Am Kupfergraben 4, heute symbolisch suggestiverweise direkt neben der Wohnung Angela Merkels befindet.

Marx hat Hegel gelesen und ihn weitergedacht

Ob liberaler oder eher konservativer Denker – überzeugt war der Berliner Professor, dass in geschichtlichen Prozessen das Wirken des „Weltgeistes“ sichtbar werde. Diesen nahm er als vernünftig wahr, glaubte, dass die Menschheitsgeschichte letztlich auf Vervollkommnung angelegt sei, sich vom Schlechteren zum Besseren hin entwickle. Insbesondere im 20. Jahrhundert entfaltete diese vom Christentum inspirierte Idee erstaunliche Überzeugungskraft, wirkt bis heute etwa in kapitalistischen Heilsüberzeugungen und in Ausdrücken wie dem der Entwicklungshilfe nach. Neben ihrem Einfluss auf Denker wie Lukács, Horkheimer und Adorno, hatte die Hegelsche Vervollkommnungsidee auch entscheidende Wirkung auf die Schriften des wohl berühmtesten aller Hegel-Kenner: Karl Marx.

In güldenen Lettern prangt Marxens 11. Feuerbachthese, eine Art Replik auf Hegel, heute in der Eingangshalle des Hauptgebäudes der Humboldt-Universität. „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“ Eine scharfe Kritik am obrigkeitshörigen Denker Hegel, der sich in vermeintlich sinnlosen Gedankenspielereien erging und lieber Bestehendes affirmierte, als den Umsturz zu proben? „Es handelt sich um eine Abwandlung der Marxschen These durch Engels, die daher mit Vorsicht zu genießen ist“, warnt Thomas Meyer. „Der Schriftzug ist ein Überbleibsel aus der DDR-Zeit und weicht vom Original ab. Entscheidend ist: ursprünglich steht bei Marx kein ‚aber‘ und somit ist der Sinn entstellt.“ Die anti-intellektuelle Anmutung des Schriftzuges, die leicht zur Interpretation verleiten kann, Marx habe das Philosophieren als überflüssig betrachtet, ist also ein historisches Artefakt.

„Tatsächlich hat Marx Hegel und die Philosophie nicht abgelehnt, sondern seine eigenen Ideen überhaupt erst anhand der Hegelschen Texte entwickelt“, betont Meyer. Man könnte auch sagen: Marx hat Hegel gelesen und ihn weitergedacht. „Er war stark von Hegel beeinflusst, entdeckt im Gegensatz zu ihm den Ursprung der Wahrnehmung und Weltanschauung aber nicht im Geistigen, sondern in den materiellen Lebensumständen.“ Wobei Hegel noch das Bewusstsein das Sein bestimmte, ist es bei Marx das materielle Sein, das dem Bewusstsein seine Form gibt. „Hegel, so glaubte Marx, hatte eine allzu optimistische Haltung, die Ausdruck einer bestimmten, gesellschaftlichen Stellung ist: Es sind eher sozial gut gestellte Personen, die glauben, dass es in der Welt vernünftig zugeht.“

Hegelsche Philosophie auch heute noch relevant

Was die Faszinationskraft Hegels bis in die heutige Zeit hinein begründet, das „könnte unter anderem das Anti-Dualistische seines Denkens sein, das Integrierende an seiner Philosophie“, glaubt Thomas Meyer. „Wenn man etwa aktuelle, gesellschaftliche Konflikte besser verstehen will, bietet die Hegelsche Philosophie viel Potenzial und methodisches Rüstzeug.“

So wäre es ein Privileg hegelianisch denkender, politischer Akteure, den Gegner nicht rundheraus abzulehnen, sondern nach dessen wahren Ansichten zu fragen. „Ein Grundmerkmal Hegelscher Philosophie ist das harmonisierende Zusammendenken von schroffen Gegensätzen. Der Mensch ist dann nicht entweder vernünftig oder ein triebbestimmtes Sinnwesen, sondern beides zugleich.“

Autorin: Nora Lessing

Weitere Informationen

250 Jahre Hegel