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„Die ständige Ungewissheit strengte unheimlich an“

Die Elektronik-Ingenieurin Marina Thiede wechselte vom Labor zum Schreibtisch

Marina Thiede

Marina Thiede, Foto: Martin Ibold

Als im Herbst '89 die Berliner Mauer fiel, war Marina Thiede am Technikum Optoelektronik des Instituts für Physik, damals mit Sitz an der Invalidenstraße 110, beschäftigt. Sie arbeitete anwendungsorientiert an Infrarotsensoren in der Optoelektronik. Beruflich betrachtet hätte die Welt noch eine Weile so weitergehen können. Sie hatte einen Doktortitel an der Humboldt-Universität gemacht, nach einem Studium der Elektronik, ebenfalls an der HU. Ihre Stelle als Assistentin war unbefristet und die anwendungsorientierte Arbeit zusammen mit Unternehmen wie beispielsweise dem Werk für Fernsehelektronik in Berlin-Oberschöneweide machte ihr Spaß.

 

Als sehr schnell nach Mauerfall der Umgestaltungsprozess der Universität begann, „spielte anwendungsorientierte Forschung plötzlich keine Rolle mehr, nur noch Grundlagenforschung war gefragt“, erinnert sich die Naturwissenschaftlerin. Sie hoffte trotzdem, dass das Technikum erhalten bleiben könnte: Hier und da gab es Hoffnungsschimmer, Zusagen des damaligen Präsidenten Heinrich Fink. Aber am Ende wurde das Technikum abgewickelt, der unbefristete in einen auf drei Jahre befristeten Arbeitsvertrag umgewandelt. „Das erste Jahr nach Mauerfall war für mich aufreibend, die ständige Ungewissheit strengte unheimlich an und griff auch meine Gesundheit an.“ Vors Arbeitsgericht gehen, sich selbstständig machen? „Diese Optionen kamen für mich damals als alleinerziehende Mutter eines neunjährigen Sohnes nicht in Frage. Es gab viele Arbeitslose, zum Beispiel aus der Industrie. Ich war damals auch froh, dass die Beschäftigung irgendwie weiterging, nicht gleich eine Kündigung ins Haus kam.“ Auch Bewerbungen schrieb sie in der Zeit nicht. „Ich hoffte, an der Humboldt-Universität bleiben zu können.“

Die ersten entspannten beruflichen Erfahrungen nach der Wende machte sie mit Michael von Ortenberg. „In der Physik fand ein großer Wechsel in der Professorenschaft statt.“ Ortenberg kam aus dem Westen. In seiner Arbeitsgruppe für Magnetotransport fühlte sie sich wohl und kam mit neuen Materialien und Themen der Physik in Kontakt. „Das war sehr interessant für mich, aber eine unbefristete Stelle war nicht möglich, auch wenn der Professor nach Lücken im Hochschulgesetz suchte, um meinen Vertrag zu verlängern.“

Kontakt zur Wissenschaft ist geblieben

Ein Kollege machte sie dann auf eine Stelle aufmerksam, die zwar nicht in der Wissenschaft angesiedelt war, aber viel mit Wissenschaft zu tun hatte: die Stelle im Technologietransfer der Forschungsabteilung. Der Anruf aus der Personalabteilung anlässlich der Vertragsunterzeichnung für den Job in der Verwaltung kam zwischen Weihnachten und Silvester 1996. Marina Thiede wechselte vom Labor zum Schreibtisch. Aber der Kontakt zur Wissenschaft blieb. „Zu meiner Zeit in der Forschung spielte Interdisziplinarität keine große Rolle, jeder arbeitete in seinem Fachgebiet, schützte sein Gebiet vor fremden Einblicken.“ Für die Auswahl von Projekten für Messen wie der Cebit, der Hannover Messe oder der Humboldt-Uni-Schau auf dem Bebelplatz, einem Vorläufer der Langen Nacht der Wissenschaften, kam sie mit vielen Fachgebieten in Kontakt und musste sich immer wieder in neue Themen eindenken.

Bis zu ihrer Berentung 2018 bearbeitete sie in der Forschungsabteilung unterschiedliche Schwerpunkte. In den letzten zehn Jahren unterstützte sie die Wissenschaftler bei der Antragstellung für neue Projekte. Auch wenn sie der unbefristete Vertrag in der Forschungsverwaltung mit Freude erfüllte: „Der Wechsel vom Physiklabor an den Schreibtisch ist mir anfangs sehr schwergefallen“, so die heute 65-Jährige.

Autorin: Ljiljana Nikolic