Wie Wildtiere im digitalen Ökonomie-Scheinwerfer
Herr Burda, welche Fragen beschäftigen Sie als Professor für Volkswirtschaftslehre in Hinblick auf die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung und den Siegeszug der digitalen Ökonomie?
Ich frage mich unter anderem: Was ist Wertschöpfung in einer Volkswirtschaft, in der man teilweise nicht mehr zahlt? Hintergrund ist die Digitalisierung. Wir benutzen Facebook und Google täglich – und die wenigsten von uns versteht, wie das funktioniert, weil wir keine Geldflüsse sehen. Aber es fließt natürlich Geld, denn es fließen Daten und die Daten werden aufbereitet und teilweise ohne unsere Zustimmung weiterverarbeitet. Wir sind abhängig von diesen Plattformen und das heißt, dass sie im ökonomischen Sinne einen Wert haben. Aber es gibt keinen Markt dafür, es ist ein Schattenpreis. Drei Dinge strukturieren meine Denkweise in Hinblick auf dieses Problem: Es gibt Algorithmen, also Entscheidungsanalytik, dann gibt es Netzwerke und dann gibt es neue Formen von Wertschöpfung und Produktivität.
Verstehen wir in Hinblick auf diese Entwicklung also heute unter Kapitalismus etwas Anderes als noch vor 30 Jahren?
Für mich sind die Grundprinzipien gleich. Das Interessante an den aktuellen Entwicklungen ist die Entsachlichung des Kapitalstocks. Wir werden immer Gebäude brauchen, wir werden immer Maschinen brauchen, aber die Maschinen werden effektiver und es entstehen andere Arten von Eigentum – intellektueller Besitz, Algorithmen. Es gibt einen Ökonomen einer großen schweizerischen Bank, bei dem liefen die Kunden die Bude ein und daraufhin hat er gesagt, ich mache mich zum Avatar. Sie können diesen Avatar anklicken und da kriegen Sie die Firmenvorhersagen von dem gesprochen. Nicht von dem Ökonomen persönlich, sondern von dem Avatar. Und dafür zahlt man. Da fragt man sich: Wer besitzt den Namen von diesem Ökonomen, wer besitzt das Programm? Wem kommt das zugute? Im Grunde fließt der Gewinn der Bank zu. Zudem denkt man immer, Menschen vertrauen solchen Algorithmen nicht. Aber denken Sie mal an Bankangestellte, die Ihnen ein neues Finanzprodukt verkaufen und Sie möglicherwiese über den Tisch ziehen wollen. Sie kaufen das Wertpapier und die Banken sahnen Kommissionen ab. Es kann durchaus sein, dass Algorithmen glaubwürdig zeigen, dass sie so etwas nicht machen. Es geht um Fairness, es geht um Vertrauen, es geht um neue Formen von Bezahlung und auch um die Skalierbarkeit der Aktivität. Die Frage ist, was wir in Hinblick auf das Geld machen, das dabei verdient wird. Da kommen natürlich Vorschläge zu Steuern – eine Vermögenssteuer, eine Algorithmus-Steuer, eine Steuer auf Immobilien.
Zur Wende wurde von Francis Fukuyama, einem Politikwissenschaftler, „das Ende der Geschichte“ ausgerufen, die Idee dahinter: der Kapitalismus ist siegreich, hat sich durchgesetzt. Da wird also ein stabiler wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Zustand suggeriert. Wenn ich Ihnen zuhöre, gewinne ich den Eindruck, dass wir heute stattdessen eine erhöhte Dynamik sehen.
Ja, das ist meine feste Überzeugung. Wir sind alle wie Wildtiere auf der Fahrbahn, gucken direkt in die Scheinwerfer eines Autos. Man weiß nicht, was auf einen zukommt und man weiß nicht, ob man selber bedroht ist. Die Ökonomie besteht ja gerade aus wechselnden, neuen Nutzungswegen und man kann nicht immer alles antizipieren. Märkte sind viel schneller als der einzelne Mensch. Allein das zu beschreiben, ist eine Herausforderung. Das ist der Ursinn dieses Problems. Der Kapitalismus, das ist meine persönliche Einschätzung, ist heute mehr bedroht als vor dreißig Jahren. Das Gefährliche ist die Konzentration des Vermögens. Die Kernidee in der Nationalökonomie ist ja, dass der Preis am Markt ein demokratischer Prozess ist. Die Nachfrage bestimmt die kollektive Beurteilung des Wertes. In der digitalen Wirtschaft werden diese Kräfte eingespannt und zum Teil auch ausgenutzt. Das ist für mich sowohl das Spannendste als auch die große Bedrohung: Algorithmen verdienen immer mehr Geld für ihre Eigentümer, weil sie die Historie der Internetnutzer kennen. Der Algorithmus weiß, was Sie gut finden und was Sie nicht gut finden und dann kriegen Sie nur das Gute angezeigt und zwar zu einem höheren Preis. Ist das fair? Ist das gerecht? Auf jeden Fall wird es das digitale Unternehmen reicher machen.
Wem gehört Ihrer Meinung nach, aus Sicht des Ökonomen, die Welt – jetzt und in der Zukunft?
Was wir im Moment sehen, ist die Anhäufung von Vermögen. Der Marktwert von Firmen, die im Internet operieren, ist unglaublich! Die Bewertung der Google-Aktien beläuft sich derzeit auf 750 Milliarden Dollar. Das ist mehr als das Zehnfache des traditionellen Unternehmens Daimler-Benz AG. Und das bedeutet etwas. Deutschland hat keine Konkurrenz zu diesen amerikanischen Firmen zu bieten, im Moment. Der deutsche Softwarekonzern SAP ist schon Geschichte und ein Beispiel dafür, was hier läuft.
Würden Sie also sagen, wir haben in der digitalen Ökonomie ein Monopolisierungs-Problem?
Ja, absolut. Es gibt Auswege, aber die erfordern natürlich sehr viel kollektives Handeln. Da muss die EU als Sammelsurium von Ländern eine einheitliche Politik machen, wir sind aber noch nicht so weit. Wir werden in dieser Phase wahrscheinlich immer häufiger sehen wie in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts, dass die Kapitalbesitzer reicher werden und die Leute, die für den Lohn arbeiten, ärmer werden – also: tendenziell. Und das wird zu kollektiven Handlungen per Gewerkschaften, zu neuen Organisationsformen führen. Die Gewerkschaften sind sehr schwach im Moment, ich könnte mir aber vorstellen, dass sich die Menschen über soziale Netzwerke organisieren.
Das Interview führte Nora Lessing.
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