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Wie die Wissenschaftscommunity geflüchteten Wissenschaftler:innen helfen kann

HU-Materialchemiker Michael J. Bojdys ist seit 2018 Beiratsmitglied der „Young Scientists“ (YS) am Weltwirtschaftsforum. Im Interview erzählt er, wie die Wissenschaftscommunity angesichts der aktuellen Lage in der Ukraine geflüchteten Forschenden helfen und diese unterstützen kann.

Dr. Michael J. Bojdys
Dr. Michael J. Bojdys
Foto: WISTA Management GmbH

Herr Bojdys, was ist die Young Scientist Community? 

Dr. Michael J. Bojdys: Die "Young Scientists" (YS) Community am Weltwirtschaftsforum wurden 2008 gegründet und bestehen aus eigenständigen, exzellenten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unter 40. Wir kommen aus unterschiedlichen Disziplinen und Weltregionen, und bilden ein globales Netzwerk, welches bei einer Jahreskonferenz, dem „Annual Meeting of New Champions“ in China zusammenkommt mit Interessenvertretern aus Wirtschaft, Politik und Medien. Zu unserem Leitbild gehören die Vermittlung von Spitzenforschung und Positionierung des wissenschaftlichen Diskurses im Kontext wissenschaftlicher Erkenntnisse, und die Entwicklung von Führungsqualitäten und eines umfassenderen Verständnisses globaler, regionaler und branchenspezifischer Interessen.

Welche Aufgaben übernehmen Sie in der Young Scientist Community?

Bojdys: Ich bin seit 2018 Beiratsmitglied der „Young Scientists“ (YS) am Weltwirtschaftsforum. Der Beirat schlägt Gesprächsthemen für die Sitzungen und Jahrestreffen der YS vor, und konzipiert Whitepaper zu aktuellen Themen, die die Wissenschaft betreffen. Gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus Universitäten, Think-Tanks, internationalen Organisationen oder anderen Forschungseinrichtungen steuern wir zu sogenannten "transformation maps" bei, die eine Übersicht über die Interdependenzen dieser Themen schaffen.

Inwiefern unterstützen die „Young Scientists“ geflüchteten Forschenden?

Im Kontext der russischen Invasion der Ukraine haben Mitglieder der YS zu spontanen, „crowd-sourced" Initiativen beigetragen oder diese ins Leben gerufen; insbesondere bei der internationalen Mobilisierung von Kolleginnen und Kollegen, die in der Lage sind, gefährdete, ukrainische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sofort einzustellen.

Hierbei ist es wichtig zu wissen, dass – laut Ministerium für Bildung und Wissenschaft der Ukraine – etwa 6.300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den ersten 19 Tagen des Krieges ins Ausland gegangen sind. Und 20 Prozent von ihnen werden wahrscheinlich für immer im Ausland bleiben. Wir unterstützen auch Initiativen zum Engagement zwischen ukrainischen und europäischen Behörden – vornehmlich durch Aufbau von Vertrauen und Vernetzung zwischen gesprächsbereiten Parteien.

Welche konkreten Unterstützungsangebote für geflüchtete Forschende gibt es?

Bojdys: Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind sich ihrer Stärken bei Katastrophen, wie aktuell bei dem Krieg in der Ukraine nicht bewusst und wissen nicht, welche Rolle sie spielen können. In der akuten Kriegslage zeigt das World Economic Forum im Artikel „Ukraine: how can the scientific Community help scholars at risk?“ vier Gebiete auf, in denen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sinnvoll einbringen können: 

  1. Finanzierungsmöglichkeiten für Forschungsnetze auf individueller und institutioneller Ebene,
  2. Einstellung von gefährdeten Akademikerinnen und Akademiker,
  3. Einstellung von technischem Personal und gefährdeten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
  4. direkte Zusammenarbeit mit Behörden.

Insbesondere der 4. Punkt des direkten, pro-aktiven Engagements mit politischen Entscheidungsträgern und Forschungsträgern steht ganz im Sinne der Außenwissenschaftspolitik. Hier ist die Wissenschaft gefordert, für internationale Zusammenarbeit als konstitutives Element von Lehre und Forschung einzustehen (siehe DAAD Strategie 2025). Es gibt einen Bedarf nach Fördermaßnahmen von Twinning- und Teaming-Projekten mit einer reformbereiten, zukunfts- und wiederaufbau-orientierten Ukraine – diesen Bedarf gilt es anzumelden und mitzugestalten. 

Wie vielen geflüchteten Forschenden konnte durch Unterstützungsangebote bereits geholfen werden?

Bojdys: Die Bedingungen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Ukraine und in den Zufluchtsländern sind sehr dynamisch, komplex und entwickeln sich täglich weiter. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: in den ersten drei Wochen seit Kriegsbeginn gab es ca. 1.000 direkte, erfolgreiche Vermittlungen geflüchteter Forschenden durch die Plattformen „Science for Ukraine“ und durch „Chemists for Ukraine". Allerdings verbleiben tausende von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Ukraine, um die Zivilverwaltung und ihre Familien zu unterstützen. Diese gefährdeten Forschenden äußern den Wunsch, Universitäten und Forschungszentren in ihrem Heimatland in Freiheit nach Kriegsende wieder aufzubauen.

Die künftig notwendigen Maßnahmen zur 1. Stärkung des Forschungs- und Innovationssystems der Ukraine, sowie zur 2. verstärkten Teilnahme der Ukraine an EU-Programmen sind in unserem (europäischen und nationalen) Interesse und werden jetzt in Teilen geplant. Dabei helfen wir gerne. Hierbei hilft es, den Kontext von Wissenschaftsförderung in Osteuropa zu kennen, ebenso wie die früheren Maßnahmen der Ukraine (z.B. "Gesetz über Wissenschaft und Wissenschaftliche und technologische Aktivitäten"; 2244a) und Empfehlungen der EU (z.B. Horizon Europe Policy Support Facility).

Die Fragen stellte Mariesa Keskemeti.

Weitere Informationen

Zum Artikel im World Economic Forum: „Ukraine: how can the scientific Community help scholars at risk?“

Zur Themenseite Humboldt-Universität stands with Ukraine