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„Die kritischen Fragen, die die Welt beschäftigen, geschehen nun vor unserer Haustür“

Prof. Dr. Tobias Krüger ist Professor für Hydrologie und Gesellschaft am Geographischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin. Dort leitet er das Integrative Forschungsinstitut zu Mensch-Umwelt-Systemen (IRI THESys). In der Einstein Research Unit „Climate and Water under Chance“ (CliWaC) untersucht sein Team die Auswirkungen des Klimawandels auf Wasserressourcen in der Region Berlin-Brandenburg. Darüber berichtet er im Interview.

Herr Krüger, Berlin ist eine der wasserreichsten Städte Deutschlands, rund sieben Prozent seiner Fläche besteht aus Wasser. Brandenburg hat mehr als 3000 Seen und ist das Bundesland mit der größten Wasserfläche. Andererseits ist die Region besonders niederschlagsarm. Macht das Berlin zum idealen Standort für Ihre Forschung zu Hydrologie und Gesellschaft?

Prof. Dr. Tobias Krüger: Ja, die Region ist für Fragen zum aktuellen Thema zunehmender Trockenheit prädestiniert! Sie ist vom Klimawandel stark betroffen. Die Spree etwa trägt im Sommer wenig Wasser, an manchen Stellen fließt sie sogar rückwärts. Dieser scheinbare Widerspruch, dass es unheimlich viele Seen und Wasser gibt, aber trotzdem wenig Niederschlag, macht sie aus wissenschaftlicher Sicht interessant. Die Frage ist: Wie sieht es mit der Wasserverfügbarkeit in Zukunft aus? Da ergeben sich auch aus politischer und wasserwirtschaftlicher Sicht wichtige Fragen, über die man sich Gedanken machen muss. Es ist wissenschaftlich spannend, diese scheinbaren Widersprüche zu vermitteln und sich mit anderen Akteur*innen auszutauschen.

Welche Akteur*innen sind das?

Krüger: Durch die wachsende Trockenheit können wir vor Ort Dinge erforschen, für die wir noch vor Jahren in andere Weltregionen reisen mussten. Die kritischen Fragen, die die Welt beschäftigen, geschehen nun vor unserer Haustür. Es ist nun einfach, partizipative Forschung mit anderen Stakeholdern vor Ort zu betreiben. Unsere Abteilung Hydrologie und Gesellschaft bezieht Akteur*innen mit ein, die mit Wasser zu tun haben, Bürger*innen, die solche Fragen umtreiben oder Entscheidungsträger*innen auf städtischer und Landesebene. Wir wollen unsere Forschung gemeinsam mit ihnen machen. Das ist in anderen Weltregionen schwieriger, weil man sich erst in die dortigen Kontexte eindenken und lange vor Ort sein muss. Diese Art der Helikopterwissenschaft ist kritisch zu sehen, man fliegt aus einem westlichen Land ein und betreibt dort Forschung. Hier vor Ort haben wir als Universität eine Präsenz in der Region und spielen eine Rolle bei Entscheidungen.

Wie wirkt sich denn der Klimawandel auf die Wasserressourcen in der Region Berlin-Brandenburg aus? Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen?

Krüger: Wir konnten zeigen, dass Verdunstung von offenen Flächen und vor allem Transpiration von Pflanzen, also deren Abgabe von Wasser in die Atmosphäre, in unserer Region eine tragende Rolle spielen. Wir werden auch in Zukunft immer wärmere Temperaturen erleben. Das wird die Verdunstung und Transpiration weiter antreiben. Wir konnten deutlich machen, dass das ein wichtigerer Faktor ist als sinkende Niederschläge. Dass es also vorrangig Austrocknungsphänomene sind, die diese Dürren verursachen, verbunden mit einer unzureichenden Speicherung von Niederschlägen.

Welche Forschungsfragen ergeben sich aus diesem Befund?

Krüger: Verdunstung und Transpiration gehen nicht unendlich weiter: Es gibt Grenzen, wenn wegen fehlender Niederschläge kein Wasser aus dem Boden nachkommt. Es ist tatsächlich noch nicht verstanden, wie in unseren Breiten bei den extremen Temperaturen, die jetzt auf uns zukommen, Wasser aus tieferen Bodenschichten nachgeführt wird. Es könnte dann bei höheren Temperaturen zu einem Abflachen des aktuellen Verdunstungstrends kommen.

Eine neue Frage ist auch: Was passiert denn mit dem Wasser in der Atmosphäre? Wieviel transportieren Winde nach Osten, wieviel also geht der Region verloren? Wieviel fällt wieder in der Region als Niederschlag?

Wie kann Ihre Forschung helfen, Trockenheit und Starkregen, der ebenfalls in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat, zu managen?

Krüger: Wir schauen uns Maßnahmen an, die Wasser in der Landschaft oder in der Stadt speichern. Starkregen darf nicht zu schnell abfließen. Er muss aufgenommen und irgendwo gespeichert werden, um dann in Trockenzeiten wieder zur Verfügung zu stehen. Das können künstliche Bassins sein oder Renaturierungsmaßnahmen, die kleinen Flüssen wie der Panke mehr Raum geben. Wir können beurteilen, welche Maßnahmen zu welchem Teil der Stadt oder Region passen, damit man nicht andere Probleme kreiert wie Überflutungsflächen. Unsere Ergebnisse bestätigen somit den Wert der Idee einer Schwammstadt. Damit liefern wir naturwissenschaftliche Grundlagen für die Politik.

Weil sie mit Ihren Ergebnissen informiert auf klimatische Extreme reagieren kann, wie Blitzdürren, Überschwemmungen und Starkregen?

Krüger: Einerseits das, andererseits als Korrektiv. In der aktuellen Forschung begegnet mir, dass das Thema Wasserknappheit von politischen Akteuren immer mehr mobilisiert wird. Die schauen teilweise schon sehr territorial auf Wasserressourcen. Das kommt auf uns zu, dass wir als Wissenschaftler auch ein bisschen Fakten-Check betreiben müssen, damit das Thema Wasser nicht politisch willkürlich instrumentalisiert wird. Denn ich glaube nicht, dass wir Probleme haben, die wir nicht lösen können, wenn wir nur alle Akteure an einen Tisch bekommen.

Interview: Vera Görgen