Grenzenlos forschen: Wie Internationalisierung die Wissenschaft stärkt
Yoan Vilain erklärt im Interview, warum Internationalisierung für die HU Berlin so wichtig ist.

Foto: Stefan Klenke
Yoan Vilain, Präsidiumsbeauftragter für Internationales und Europa an der Humboldt-Universität zu Berlin, berichtet im Interview, welchen Mehrwert die Internationalisierung für die Humboldt-Universität bietet, welche Chancen sich durch die Vernetzung in Europa auftun und wie die europäischen Hochschulallianzen für einen Innovationsschub an unseren Hochschulen sorgen.
Herr Vilain, welche Bedeutung hat der Bereich Internationales für Hochschulen und insbesondere für die Humboldt-Universität?
Der Bereich ist sehr zentral und fast schon eine Selbstverständlichkeit, denn Forschung ist per se international: Wir befassen uns mit globalen Herausforderungen, pflegen einen internationalen Wissensaustausch und haben eine hohe, teilweise überdurchschnittliche Anzahl an internationalen Studierenden und Forschenden. Fast 20 Prozent unseres wissenschaftlichen Personals hat einen internationalen Background und viele unserer Studierenden kommen mithilfe von Austauschprogrammen aus dem Ausland nach Berlin. Die Humboldt-Universität empfängt deutschlandweit mit die höchste Zahl an Alexander-Von-Humboldt-Fellows und gehört mit der FU und TU zu den Topempfängern von DAAD-Geldern. Der Bereich Internationales steht also wirklich im Kern von Lehre und Studium.
Gleichzeitig gibt es aufgrund der föderalen Struktur in Deutschland das Paradox, dass Internationales eher vom Bund gefördert wird und nicht zwingend auch vom Bundesland. Wir sind also ein globaler Akteur in einer regionalen Struktur, was mitunter die Schwierigkeit mit sich bringt, den Mehrwert der Internationalität gegenüber den regionalen Stakeholdern klarmachen zu müssen. Aber auch hier gibt es nicht zuletzt wegen der Berlin University Alliance eine neue Qualität in der Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung.
Sie verantworten nicht nur den Bereich Internationales an der Humboldt-Universität, sondern sind eben auch Mitglied im Steering Committee Internationalization an der Berlin University Alliance. Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie für die internationale Vernetzung des Berliner Forschungsraums in der nahen Zukunft?
Es ist wichtig, dass die internationale Vernetzung weiter vorangetrieben wird, und zwar mit einer Diversität an Formaten und Angeboten. Das stärkt die Profilierung von Berlin als integriertem Forschungsraum. Dabei sollte sowohl die gesellschaftliche Relevanz der Forschung als auch Innovation und technologische Souveränität stärker mitgedacht werden sowie die Zusammenarbeit mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen optimiert werden. Durch die Internationalisierung tragen wir auch dazu bei, die akademische Freiheit zu verteidigen, und schaffen damit eine bessere Grundlage für demokratische Resilienz.
Wir sind uns dabei bewusst, dass wir eine verantwortungsvolle Internationalisierung entwickeln wollen, mit neuen Partnerschaftsstrukturen und neuen Förderformaten. Denn für Kooperationen mit ökonomisch benachteiligten Regionen braucht es unterschiedliche Ansätze als für eine Partnerschaft wie beispielsweise mit Oxford, damit beide Seiten etwas davon lernen können. Nehmen wir als Beispiel eine afrikanische Forschungsinstitution: Dort sollte nicht nur empirische Arbeit durchgeführt werden, sondern wir sollten die Forschungsansätze gemeinsam mit den Partnern vor Ort definieren.
Wir beobachten gerade weltweit Nationalisierungsbestreben. Spüren Sie das auch im Wissenschaftsbereich?
Das ist stark zu spüren. Wir werden damit zu kämpfen haben, den Mehrwert der Internationalisierung immer wieder zu betonen und sichtbar zu machen – obwohl es so selbstverständlich erscheint.
Auch in einem Papier wie der DAAD-Strategie 2030, an dem ich als Vorstandsmitglied mitgewirkt habe, sieht man eine Betonung der Verteidigung der deutschen Interessen − was natürlich nicht zwingend zu einer nationalistischen Betrachtung führen soll, denn das ist per se nicht verwerflich.
Ich glaube, dass Europa uns vor einem Rückzug auf das Nationale schützt. Die aktuelle politische Situation macht uns immer wieder klar: Der Rahmen, in dem wir wirklich souverän sein können, ist der europäische Rahmen. Deswegen sollten wir verstärkt die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit unseren europäischen Nachbarn suchen.
Die Humboldt-Universität ist ja auch Mitglied der European University Alliance „Circle U“.
Genau, und das hat viele Vorteile: Dadurch haben wir einen Innovationsschub im Bereich der Lehrformate entwickelt und machen Fortschritte darin, die regulatorischen Hürden zu reduzieren. Diese Transformation der Grundstruktur der Universität, auch im Land Berlin bei der Novellierung des Berliner Hochschulgesetzes, erfolgt tatsächlich dadurch, dass alle Berliner Universitäten Mitglieder von EU-Allianzen sind. Dadurch gibt es eine neue Qualität im Diskurs über die Internationalisierung in Lehre und Studium und eine höhere Aufmerksamkeit und Sensibilität für das Thema bei den Universitätsleitungen und der Landesverwaltung. Das hat Erasmus in dieser Qualität nie erreicht.
Sie wurden vor kurzem mit dem „Ordre des Palmes Académiques“ ausgezeichnet, eine der höchsten Auszeichnungen in Frankreich für Verdienste rund um das Bildungswesen. Was bedeutet diese Auszeichnung für Sie?
Das kam sehr unerwartet für mich, da man sich nicht um diese Auszeichnung bewirbt, sondern dafür vorgeschlagen wird. Das hat mich sehr berührt, weil ich aus nicht-akademischen Verhältnissen komme. Meinen ersten richtigen Roman habe ich mit 17 gelesen. Ich bin der Einzige in meiner Familie, der studiert hat und einen Werdegang im akademischen Kontext hat. Die Auszeichnung würdigt meine Bestrebungen, nachhaltige Programme und Strukturen im deutsch-französischen Kontext und darüber hinaus zu konzipieren. Die Humboldt-Universität hat mir etwas ermöglicht, was ich ihr gerne in meiner heutigen Funktion wiedergeben möchte.
Glauben Sie, dass das auch eine Motivation sein könnte für Studierende aus Nicht-Akademiker-Haushalten?
Das ist ein Schwerpunkt, den ich in den nächsten drei Jahren meiner Amtszeit als Präsidiumsbeauftragter setzen möchte. Mit meinem Werdegang möchte ich ein Vorbild sein für diejenigen, die glauben, dass sie sich eine Auslandsmobilität nicht erlauben können. Ich glaube, diesen Gedanken haben viele, auch in nicht bildungsfernen Schichten. Ihnen möchte ich zeigen, dass sie genauso wie andere auch die Möglichkeiten haben, finanziell gefördert zu werden und dass wir an der Humboldt-Universität dafür innovative Förderungsformate entwickeln wollen.
Das Interview führte Tabea Kirchner
