Presseportal

Themen

Humboldt-Universität zu Berlin | Presseportal | Themen | Wissenschaftsfreiheit_Kachel Web.png

Wissenschaftsfreiheit_Kachel Web.png

zuletzt geändert 13.04.2025
Wissenschaftsfreiheit_Kachel Web.png
Herunterladen Bild in voller Größe anzeigen…
Humboldt-Universität zu Berlin | Presseportal | Themen | Academic Freedom and Freedom of speech in the Public Sphere

Academic Freedom and Freedom of speech in the Public Sphere

veröffentlicht 15.04.2025
Humboldt-Universität zu Berlin | Presseportal | Themen | web_matters_of_activity_Perraudin_Resetar_18.02.2025_stefan_klenke-8428-edit-2.jpg

web_matters_of_activity_Perraudin_Resetar_18.02.2025_stefan_klenke-8428-edit-2.jpg

zuletzt geändert 16.04.2025
Humboldt-Universität zu Berlin | Presseportal | Themen | Latent Accumulations_01_Anna Luise Schubert-2.jpg

Latent Accumulations_01_Anna Luise Schubert-2.jpg

zuletzt geändert 16.04.2025
Latent Accumulations_01_Anna Luise Schubert-2.jpg
Herunterladen Bild in voller Größe anzeigen…
Humboldt-Universität zu Berlin | Presseportal | Themen | „In der biologischen Forschung gibt es eine große Reproduzierbarkeitskrise.“

„In der biologischen Forschung gibt es eine große Reproduzierbarkeitskrise.“

veröffentlicht 30.04.2025

Offene Forschung bietet viele Vorteile – trotzdem verbreiten sich Open Science-Standards nur langsam. Matthias König setzt sich als BUA Open Science Ambassador für mehr Transparenz in der Wissenschaft ein.



Matthias König

Matthias König ist einer der BUA Open Science
Ambassadors. Foto: Matthias König

Die Forschung nach Open Science-Standards bietet viele Vorteile. Doch warum etablieren sich diese Standards nur relativ schleppend? Welche Hürden gibt es für die Etablierung von Open Science in der Wissenschaft und was müsste passieren, damit das Thema Fahrt aufnimmt? Matthias König ist einer von 23 BUA Open Science Ambassadors, die für eine offene Forschungskultur an den Einrichtungen der Berlin University Alliance werben. Im Interview erzählt er, wie er und sein Team das Thema Open Science in der Biologie umsetzen.

Aktuell können sich Interessierte an allen Einrichtungen der Berlin University Alliance für die zweite Runde der Open Science Ambassadors bewerben. Als Botschafter*innen für offene Wissenschaft wirken die Open Science Ambassadors ab dem 1. August 2025 an der Umsetzung von Open Science in ihrer Community mit. Bewerbungen sind bis zum 2. Juni 2025 möglich. Mehr Informationen gibt es auf der Website der Berlin University Alliance oder bei der digitalen Informationsveranstaltung am 16. Mai 2025.

Wie sind Sie persönlich mit dem Thema Open Science in Kontakt gekommen?

Matthias König: Ich bin Gruppenleiter an der Humboldt-Universität und arbeite vor allem im Bereich Systemmedizin der Leber. Wir beschäftigen uns mit der Computermodellierung von biologischen und medizinischen Systemen, sogenannte Digitale Zwillinge. In diesem Kontext ist es eine große Herausforderung, eine Reproduzierbarkeit dieser Modelle zu haben – also dass auch andere Wissenschaftler*innen diese simulieren können und  die gleichen Ergebnisse erhalten. Das bedeutet, dass wir sehr auf offene Daten angewiesen sind, um diese Modelle zu füttern und unsere Vorhersagen zu überprüfen. Wir arbeiten auch viel mit offenem Code. In diesem Kontext bin ich stark mit den Themen Open Data und Open Science in Kontakt gekommen.

Was genau machen Sie als Open Science Ambassador?

König: Als Open Science Ambassador unterstütze ich die Arbeitsgruppen am Institut für Biologie dabei, ihre Computermodelle nach Open Science-Standards reproduzierbar zu machen. Das ist oftmals schwierig, weil es keine speziellen Ausbildungsprogramme oder Kurse dafür gibt. Meine Arbeit leistet da eine Hilfestellung, damit die Studierenden ihre Computermodelle möglichst offen gestalten können. Einerseits organisiert unsere Arbeitsgruppe Informationsveranstaltungen, um bestimmte Methoden, Computerbibliotheken oder Standards vorzustellen. Andererseits biete ich auch individuelle Beratung für Studierende an. Die Motivation dafür ist aus meiner eigenen Arbeit entstanden: Wir betreuen viele Studierende in unserer Gruppe, können deren Arbeit aber nur nachnutzen, falls sie sich an bestimmte Standards halten.

Damit meine Sie vor allem FAIRe Daten, richtig?

König: Genau. Die Daten sollten findable, accessible, interoperable und reusable sein. Vor ein paar Jahren haben wir uns beispielsweise im Rahmen einer EU-Initiative damit beschäftigt, Covid-Modelle, die den Verlauf der Pandemie vorhersagen, reproduzierbar und FAIR zu gestalten. Während der Covid-Pandemie gab es viel Förderung für Computermodellierung und dementsprechend viele Modelle, aber es war schwierig zu beurteilen, wie gut diese Vorhersagemodelle wirklich waren. Wir haben mehr als 30 Modelle in einen offenen Standard umgewandelt, damit jeder sie mit anderen Datensätzen wiederverwenden kann.

Wie steht es denn um Open Science in der Biologie – werden standardmäßig Modelle von anderen Forscher*innen reproduziert?

König: Das ist die Idee von Open Science – damit nicht jeder, der ein Projekt anfängt, bei null beginnen muss. Gerade in der biologischen Forschung gibt es jedoch eine große Reproduzierbarkeitskrise. Meistens ist es nicht möglich, die Daten einer bestimmten Publikation zu reproduzieren. Oftmals fehlen entweder die Methoden, genügend Informationen oder der Computer Code.

Ein weiteres großes Problem ist, dass vor allem in der Wissenschaft am Ende alles nach Publikationen bewertet wird. Deshalb wollen viele Forschungsgruppen ihre Datensätze oder Computermodelle nicht herausgeben, weil sie noch weitere Publikationen damit machen möchten.

Das hat ja auch etwas mit dem generellen Publikationsdruck in der Wissenschaft zu tun.

König: Genau. Meine persönliche Erfahrung ist, dass die Forschungs-Community zweigespalten ist. Auf der anderen Seite gibt es viele Personen, die die Vorteile von Open Science sehen: Wenn ich offener bin, werde ich häufiger zitiert, andere Wissenschaftler*innen verwenden meine Daten und ich bekomme neue Kollaborationen. Man kann dann gemeinsam versuchen, Forschungsprobleme zu lösen. Es gibt tatsächlich Studien, die zeigen: Umso offener die Daten sind, desto mehr werden auch die Publikationen zitiert.

Meine persönliche Erfahrung zeigt: Wenn die Daten nicht offen zugänglich gemacht werden, wird damit meistens nichts mehr gemacht, da die Studierenden und Forschende, die die Daten erzeugt haben, nicht mehr in der Arbeitsgruppe sind. Dieser Datensatz, der für die Forschungscommunity sehr wichtig und interessant wäre, geht dann verloren.

Für die Forschung wäre es also viel wichtiger, wenn man die Daten zur Verfügung stellt?

König: Genau. Es hat sich schon einiges in der Community getan, und auch in der Biologie wird die Forschung offener. Ein gutes Beispiel ist die Proteinstrukturanalyse. Schon vor Jahrzehnten wurde es zum Standard, dass man eine Struktur, die man aufgeklärt hat, in einer zentralen Datenbank ablegt. Dadurch gibt es heute eine sehr große Datenbasis und man kann heute keine Proteinstruktur mehr publizieren, wenn man diese nicht in die Datenbank ablegt. Das hat auch dazu geführt, dass in diesem Bereich mit Künstlicher Intelligenz gearbeitet werden konnte. Das hat das Feld der Proteinstrukturanalyse revolutioniert. Eine analoge Entwicklung wäre in allen Bereichen der Biologie und Medizin notwendig.

Sehen Sie das eher als Chance oder eher als Problem, dass auch die Künstliche Intelligenz auf diese Datensätze zugreifen kann?

König: Ich sehe das auf jeden Fall als Chance. Die künstliche Intelligenz sehe ich als Werkzeug, mit dem man neue Fragestellungen angehen kann. Sie wird die Wissenschaft nicht ersetzen. Die Herausforderung ist, dass viele Menschen nicht verstehen, was Künstliche Intelligenz eigentlich ist, und deshalb große Ängste haben. Das ist auch verständlich. Aber ohne Open Science und Open Data wird man die KI-Systeme nicht entwickeln können. Hier sind wir als Wissenschaftler*innen gefragt, aktiv zu zeigen, wie diese Technologien verantwortungsvoll eingesetzt werden können.

Welche Initiativen wären nötig, damit das Thema Open Science innerhalb der BUA noch mehr Fahrt aufnimmt?

König: Wir bräuchten alternative Evaluationskriterien für Research Outcome, für die Bewertungen von Wissenschaftler*innen und Lebensläufen, aber auch bei Einstellungen und Berufungen. In diesen Kriterien sollten die Faktoren Open Science und Engagement für die Community deutlich stärker gewichtet werden.

Da tut sich etwas, auch an der Humboldt-Universität, aber diese Prozesse gehen sehr langsam voran. Es ist natürlich schwierig, ein ganzes System von quantitativen Indikatoren hin zu alternativen Faktoren wie Engagement umzukrempeln. Diese sind deutlich schwieriger zu evaluieren und erfordern mehr Arbeit für die beteiligten Kommissionen. Deswegen geht dieser Prozess an Universitäten nur sehr langsam voran. Um einen internen Wandel zu schaffen, bräuchte es deutlich mehr Initiativen mit mehr finanziellen Mitteln. Diese Investition würde sich langfristig mehr als lohnen, durch die Mehrwerte, die durch Open Science erzeugt werden – von einer verbesserten Reproduzierbarkeit von Forschungsergebnissen bis hin zu einer stärkeren Zusammenarbeit in der wissenschaftlichen Community.

Wie sieht ihre weitere Tätigkeit als Open Science Ambassador der BUA aus?

König: Ich bin für ein Jahr, also noch bis zum Ende des Sommers Open Science Ambassador. Diese Zeit würde ich gerne um ein weiteres Jahr verlängern. An der Humboldt-Universität organisieren wir demnächst einen Workshop, um alle Modellierer*innen aus der lebenswissenschaftlichen Fakultät zusammenzubringen und die Grundlagen von Open Science zu vermitteln. Damit hoffen wir auf einen Multiplikatoreffekt, so dass die Wissenschaftler*innen und Studierenden  dem Thema Open Science mehr Aufmerksamkeit schenken.

Matthias.Koenig.png

zuletzt geändert 30.04.2025
Matthias.Koenig.png
Herunterladen Bild in voller Größe anzeigen…

Matthias.Koenig.png

zuletzt geändert 30.04.2025
Matthias.Koenig.png
Herunterladen Bild in voller Größe anzeigen…
Humboldt-Universität zu Berlin | Presseportal | Themen | Hochschulautonomie zum Wohle der Allgemeinheit

Hochschulautonomie zum Wohle der Allgemeinheit

veröffentlicht 01.05.2025

Die Wissenschaftsfreiheit hat nicht nur eine individuelle, sondern auch eine institutionelle Seite. Die Hochschulautonomie ist teils explizit in Verfassungstexten verankert, jedenfalls aber im Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit.



Matthias Ruffert

Prof. Dr. Matthias Ruffert,
Foto: Dr. Lennart Gau

Die Wissenschaftsfreiheit schützt nicht nur einzelne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sie hat auch eine institutionelle Seite. Diese Gewährleistung folgt der historischen Erfahrung, dass sich freie Wissenschaft in dafür geschaffenen Institutionen entfaltet – zum Wohl der Allgemeinheit. In Deutschland, aber letztlich weit darüber hinaus, ist dies untrennbar mit der Universitätsreform Wilhelm von Humboldts verbunden. Die Wissenschaftsfreiheit der Institution Universität findet auch heute noch Niederschlag in Verfassungstexten. So gewährleisten manche Landesverfassungen ausdrücklich die universitäre Selbstverwaltung, und in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union aus dem Jahr 2000, die 2009 Bestandteil des verbindlichen Europarechts geworden ist, heißt es: „Die akademische Freiheit wird geachtet.“ Der Gerichtshof der Europäische Union hat diese Gewährleistung bereits gegen Ungarn in Stellung gebracht, als es das Orbán-Regime dort unternahm, der Central European University die Arbeitsgrundlagen zu entziehen.

Dort, wo – wie in Berlin – das Landesverfassungsrecht die Selbstverwaltung der Universitäten nicht ausdrücklich nennt, wird sie aus der Wissenschaftsfreiheit abgeleitet, die in Art. 5 Abs. 3 GG (und wortgleich in Art. 21 der Verfassung von Berlin) festgeschrieben ist. Das Bundesverfassungsgericht hat hier früh vorausschauend den Ton gesetzt und schon 1973 ausgesprochen: „Art. 5 Abs. 3 GG ist … eine das Verhältnis der Wissenschaft zum Staat regelnde wertentscheidende Grundsatznorm. Danach hat der Staat im Bereich des mit öffentlichen Mitteln eingerichteten und unterhaltenen Wissenschaftsbetriebs durch geeignete organisatorische Maßnahmen dafür zu sorgen, dass das Grundrecht der freien wissenschaftlichen Betätigung soweit unangetastet bleibt, wie das unter Berücksichtigung der anderen legitimen Aufgaben der Wissenschaftseinrichtungen und der Grundrechte der verschiedenen Beteiligten möglich ist.“, und ferner: „Organisationsnormen müssen den Hochschulangehörigen, insbesondere den Hochschullehrern, einen möglichst breiten Raum für freie wissenschaftliche Betätigung sichern, andererseits müssen sie die Funktionsfähigkeit der wissenschaftlichen Hochschule und ihrer Organe gewährleisten.“ Diese Leitsätze hat das Gericht bis in die Gegenwart immer wieder hervorgehoben.

Was aber sind „geeignete organisatorische Maßnahmen“? Wenn die Gesetzgebung das Organisationsrecht der Hochschulen schafft, woran soll sie gebunden sein? Die Folgerechtsprechung aus Karlsruhe hat hierfür das Kriterium der „Wissenschaftsadäquanz“ entwickelt. Organisationsrecht sowie letztlich alle die Universitäten treffenden Regelungen müssen sich daran messen lassen, ob sie gleichsam dem Wissenschaftsbetrieb dienen. Tun sie dies nicht, bedarf es einer Rechtfertigung, einem Gemeinwohlgut von Verfassungsrang, das kompetenzgemäß und in verhältnismäßiger Weise geschützt werden soll. Manche Regelung hat die verfassungsgerichtliche Prüfung nicht überlebt, so z.B. ein Hamburgisches Gesetz zur Entmachtung der Fakultätsgremien zugunsten der Dekanate. Auch heute gibt es Regelungen, deren verfassungsrechtliche Haltbarkeit mit großen Fragezeichen versehen werden muss. Manchmal kann man das durch einen kurzen Blick in die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung feststellen wie beim viel diskutierten Eingriff in die Stellenstruktur der Universitäten durch das BerlHG (der Verfasser dieser Zeilen vertritt einen Normenkontrollantrag gegen diese Regelung). Manchmal sind die Eingriffe subtiler wie beim gegenwärtig in Nordrhein-Westfalen diskutierten „Hochschulstärkungsgesetz“, durch das die Landesregierung ein „Hochschulsicherheitsrecht“ mit eigenen Tatbeständen und Sanktionen einführen will, weil vermeintlich das Straf- und Disziplinarrecht nicht hinreichend seien. Ob die sog. „Viertelparität“, also die gleichmäßige Beteiligung aller Gruppen einschließlich der nichtwissenschaftlichen Mitarbeiter in den Gremien der Universitäten, verfassungskonform ist, steht noch nicht fest; hierzu ist ein Verfahren in Karlsruhe anhängig. Auch über manche Auswüchse des Personalvertretungsrechts könnte in diesem Zusammenhang nachgedacht werden. Eine Universität ist eben keine Fabrikhalle und auch keine Bezirksverwaltung.

Wenn ein Verfassungsprozess verloren geht, weil sich die Hochschulpolitik verrennt, ist das bedauerlich, aber korrigierbar, wenn das Verfassungsgericht die Korrektur nicht schon selbst mit Gesetzeskraft ausspricht. Der „Federstrich des Gesetzgebers“, der auf einen Schlag alles ändern (und auch einmal zum Guten wenden) kann, ist eine in der Juristerei geläufige Metapher. Der Verlust wissenschaftlicher Reputation und Exzellenz durch wissenschaftsrechtspolitische Fehlentwicklungen ist indes erheblich schwerer heilbar – und nicht durch die Politik selbst, sondern nur durch die Wissenschaft.

Matthias Ruffert ist Professor für Öffentliches Recht und Europarecht an der Humboldt-Universität zu Berlin
 

Matthias Ruffert.JPG

zuletzt geändert 01.05.2025
Matthias Ruffert.JPG
Herunterladen Bild in voller Größe anzeigen…
Humboldt-Universität zu Berlin | Presseportal | Themen | Matthias Ruffert_web.jpg

Matthias Ruffert_web.jpg

zuletzt geändert 01.05.2025
Matthias Ruffert_web.jpg
Herunterladen Bild in voller Größe anzeigen…
Humboldt-Universität zu Berlin | Presseportal | Themen | Wissenschaftsfreiheit_text.png

Wissenschaftsfreiheit_text.png

zuletzt geändert 02.05.2025
Wissenschaftsfreiheit_text.png
Herunterladen Bild in voller Größe anzeigen…
Humboldt-Universität zu Berlin | Presseportal | Themen | Wer sollte nicht an der Universität sprechen?

Wer sollte nicht an der Universität sprechen?

veröffentlicht 02.05.2025 , zuletzt geändert 06.05.2025

An Hochschulen führt die Ein- oder Ausladung politisch exponierter Sprecher*innen oft zu Kontroversen. Die Entscheidung, wer sprechen darf und wer nicht, sollte sich an den Aufgaben der Universität orientieren.



Alternativtext

Romy Jaster und Geert Keil. Fotos: Johanna Wick,
Michele Taruffo Girona, Evidence Week

An der Universität entzünden sich Kontroversen über Wissenschaftsfreiheit häufig an der Ein- oder Ausladung politisch exponierter Sprecher*innen. Zunächst ist wichtig, die unterschiedlichen Rollen der Akteur*innen im Auge zu behalten: Über die Einladung zu einer wissenschaftlichen Veranstaltung entscheiden die einladenden Wissenschaftler*innen im Rahmen ihrer eigenen Forschungs- und Lehrfreiheit. Hochschulleitungen müssen nicht gefragt werden und auch keine Erlaubnis geben. Ministerien haben keine Weisungen zur Besetzung von Veranstaltungen zu erteilen. In Fällen, in denen massive Störungen drohen, kann allerdings eine Umplanung einer Veranstaltung erforderlich sein, um ihren sicheren Ablauf zu gewährleisten. An dieser Stelle kommen Hochschulleitungen ins Spiel. Dabei versteht sich, dass Sicherheitsbedenken nicht bloß vorgeschoben sein dürfen.

Politische und zivilgesellschaftliche Akteur*innen dürfen Einladungen kritisieren, auch in scharfer Form. Es ist kein Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit, beispielsweise die Meinung kundzutun »Es ist unerträglich, dass hier einer Antisemitin eine Bühne geboten wird«. Forderungen nach Ausladung sind ihrerseits kritisierbar und müssen sich gefallen lassen, auf ihre politische Motivation hin befragt zu werden. Nach einem berühmten Argument des Philosophen John Stuart Mill sind Dissens und Meinungsvielfalt grundsätzlich erkenntnisbefördernd. Schon deshalb bedarf es besonders starker Argumente, anderen den öffentlichen Raum zu bestreiten, den man für sich selbst in Anspruch nimmt.

Aus der Perspektive von Wissenschaftler*innen, die eine Veranstaltung planen, stellt sich das Problem nicht als rechtliches dar: Sie wissen schon, dass sie einladen dürfen, wen sie für geeignet halten. Sie fragen sich, wen sie (nicht) einladen sollten und von welchen Überlegungen sie sich dabei leiten lassen sollten. Nicht alles, was rechtlich erlaubt ist, ist auch gute wissenschaftliche Praxis.

Aus unserer Sicht ergibt sich der entscheidende Gesichtspunkt aus der Aufgabe der Universität: An Universitäten wird Wissenschaft betrieben, also methodisch kontrollierte, ergebnisoffene, fehlbare Erkenntnissuche. Dieses Geschäft erfordert bestimmte Tugenden und wird durch bestimmte Laster beeinträchtigt. Dabei handelt es sich wohlgemerkt nicht um moralische, sondern um epistemische Tugenden und Laster. Bestimmte Einstellungen, Haltungen und Verhaltensweisen sind der ergebnisoffenen Erkenntnissuche zuträglich, andere sind ihr abträglich. Untersucht wird das in der Tugenderkenntnistheorie (virtue epistemology).

Beispiele: Personen, die vorgebrachte Belege ignorieren, sich Nachfragen beharrlich entziehen, anderen das Wort im Mund umdrehen, in Bedrängnis das Thema wechseln oder ihre eigenen Auffassungen gegen Kritik zu immunisieren suchen, zeigen damit, dass sie keine klärungs- oder erkenntnisorientierte Debatte führen wollen. Man kann diese Verhaltensweisen und Untugenden unter dem Begriff der intellektuellen Unredlichkeit zusammenfassen. Wo auch immer sie ihren Platz haben: Der ergebnisoffenen Erkenntnissuche sind sie abträglich.

Für eine Einladung an die Universität disqualifiziert man sich aus unserer Sicht nicht durch bestimmte inhaltliche Positionen, auch nicht durch eine tatsächliche oder vermutete Unzumutbarkeit für Zuhörende. Die Universität schützt weder Rechtgläubigkeit noch moralische Rechtschaffenheit, sondern ihre eigene DNA: dasjenige Mindestmaß an intellektueller Redlichkeit, das für die wissenschaftliche Erkenntnissuche unerlässlich ist. Wer diese Suche durch sein epistemisches und diskursives Verhalten sabotiert, nimmt sich gleichsam selbst aus dem Spiel.

Weitere Informationen

Weiterführende Literatur

Romy Jaster und Geert Keil forschen und lehren am Institut für Philosophie der Humboldt-Universität.

 

Jaster_Keil.jpg

zuletzt geändert 02.05.2025
Jaster_Keil.jpg
Herunterladen Bild in voller Größe anzeigen…