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„Bei Krankheiten spielt das innere Orchester nicht mehr harmonisch zusammen“

Was haben Krebszellen mit unserer inneren Uhr zu tun? Das erforscht der Chronobiologe Dr. Bharath Ananthasubramaniam gemeinsam mit Studierenden in einem besonderen Kurs und berichtet davon in der vierten Folge unserer Reihe „Die BUA und ich – Protokolle aus dem Exzellenzverbund“.


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Dr. Bharath Ananthasubramaniam. Foto:Stefan Klenke

„Die BUA und ich“ – Folge 4 mit Dr. Bharath Ananthasubramaniam

Dr. Bharath Ananthasubramaniam beschäftigt sich als theoretischer Biologe mit Modellen, die biologische Phänomene beschreiben. Ihn fasziniert besonders, wie der menschliche Organismus an den Tagesrhythmus angepasst ist. Für eines seiner Forschungsthemen arbeitet er in einem von der Berlin University Alliance initiierten Programm eng mit Studierenden zusammen, die durch forschungsbasiertes Lernen mehr über die innere Uhr unterschiedlicher Krebstypen erfahren. Hier berichtet er, was die Studierenden in seinem Kurs lernen und wie er selbst als Forschender davon profitiert.

Wir alle haben eine innere Uhr, die unseren Tagesrhythmus bestimmt und vorgibt, wann wir müde werden, wann wir Hunger haben oder wann wir voller Energie sind. Fachleute nennen diesen inneren Taktgeber die zirkadiane Uhr. Bei jedem Menschen ist diese Uhr anders eingestellt: Der Lerchentyp steht gern früh auf und ist dafür abends schnell müde. Der Eulentyp ist am liebsten bis spät in die Nacht aktiv, kommt aber morgens schlecht aus dem Bett. Das Fachgebiet, das sich mit diesem Thema beschäftigt, heißt Chronobiologie. Dabei geht es nicht nur um frühes oder spätes Aufstehen, sondern auch darum, welche Stoffwechselprozesse im Körper zu welchen Tageszeiten ablaufen, wie der Tagesrhythmus einzelner Organe aussieht oder sogar, welchen Rhythmus bestimmte Zelltypen im Tageslauf besitzen. Diese Fragestellungen erforsche ich am Computer, mithilfe von mathematischen Modellen und Simulationen sowie künstlicher Intelligenz.

Alle Organe haben eine eigene innere Uhr

Ich habe Ingenieurwesen in Indien und den USA studiert, hatte aber schon als Kind großes Interesse an Biologie und habe mich auch nach meinem Studium als Wissenschaftler an der Universität viel mit biologischen Themen beschäftigt. 2012 bin ich mit einem Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung nach Berlin an die Charité gekommen, und seit 2021 habe ich eine eigene Forschungsgruppe an der Humboldt-Uni, die sich mit Chronobiologie befasst. Einen wichtigen Grundstein dafür konnte ich mit einem Forschungsteam bereits 2018 an der Charité legen: Wir haben einen Bluttest entwickelt, mit dem man den Chronotyp eines Menschen bestimmen kann. Wir analysieren dafür die Expressionsprofile von Genen – also wir suchen nach Genen, deren Profile im Laufe des Tages schwanken. Expressionsprofile zeigen uns, zu welchen Zeitpunkten die Informationen, die auf diesen Genen liegen, abgerufen und in Proteine umgesetzt werden. Das verrät uns beispielsweise, ob jemand eine Eule oder eine Lerche ist.

Die Chronobiologie des Menschen zu erforschen, ist eine große Herausforderung. Denn fast allen Geweben und Organen existiert eine eigene innere Uhr. Muskeln folgen beispielsweise einem anderen Rhythmus als etwa die Leber. Alle diese Uhren zusammen sind wie eine Art Orchester aus verschiedenen Instrumenten – mit einem Dirigenten, der im Gehirn sitzt. Bei Krankheiten spielt dieses Orchester nicht mehr harmonisch zusammen – die Instrumente sind aus dem Takt. Um also diese komplexen chronobiologischen Muster zu untersuchen, brauchen wir geeignete Methoden, wie etwa den an der Charité entwickelten Bluttest, der aber nur einen Bruchteil unseres zirkadianen Rhythmus abbildet. Wir können natürlich keine Proben aus der Leber oder dem Herzen nehmen – und zwar mehrfach – um die innere Uhr dieser Organe zu untersuchen. Aber wir entwickeln Computermodelle und statistische Ansätze, die uns weiterhelfen können.

Alternativtext

Die innere Uhr bestimmt, welche Gene zu welchen Zeiten
aktiv sind. Foto: Stefan Klenke

Krebserkrankungen sind eng mit dem Tagesrhythmus verbunden

An die Charité kommen jeden Tag Menschen, denen zu Diagnosezwecken Gewebeproben entnommen werden. Von diesen Proben können wir die Genexpression messen und mit den Daten eine KI füttern. Man bekommt also nicht viele Proben von einer Person, dafür aber ganz viele Proben von zahlreichen Personen aus der Gesamtbevölkerung. Mithilfe von maschinellem Lernen kann ich daraus Rückschlüsse auf die innere Uhr ziehen und erkennen, welchem Tagesrhythmus die unterschiedlichen Organe und Gewebe folgen und wie sie aufeinander abgestimmt sind.

Aktuell forsche ich über das Student Research Opportunities Programx (StuROPx) der BUA gemeinsam mit Studierenden an der Frage, welchen zirkadianen Rhythmus unterschiedliche Typen von Krebszellen besitzen. Es gibt eine enge Verbindung zwischen Krebs und der inneren Uhr. Dazu gibt es eine sehr bekannte Studie, die beschreibt, dass Menschen mit Schichtarbeit, deren Tagesrhythmus ständig durcheinanderkommt, ein viel höheres Risiko haben, an Krebs zu erkranken. Das gilt auch für viele andere Erkrankungen. Krebs ist eine sehr gut untersuchte Krankheit, zu der es bereits sehr viele Daten gibt. Der Ausgangspunkt unserer Untersuchungen ist der „Cancer Genome Atlas“, eine öffentlich verfügbare Datenbank, die molekulare Daten von über 20.000 Krebsproben von 33 Krebsarten enthält.

In der Forschung lernt man auch aus Scheitern

Ich unterrichte sehr gern. Im StuROPx-Programm lernen die Studierenden, indem sie forschen, und das finde ich einen einzigartigen Ansatz. Es führt Studierende an die Forschung heran. Auch für mich ist das eine neue Lernerfahrung – ich habe so einen Kurs noch nie gegeben. Im Vorfeld hat die BUA dazu hilfreiche Seminare für uns Lehrende angeboten. Zur Forschung gehört es, dass man das Ergebnis nicht von vornherein kennt. Es gibt Pläne und Ideen und Ziele, aber was am Ende herauskommt – und ob überhaupt etwas herauskommt – ist immer eine Überraschung. Man kann auch scheitern. Das kann besonders für Studierende in frühen Semestern eine merkwürdige, aber sehr wichtige Erfahrung sein. Denn aus Fehlern kann man lernen.

Meine Kursteilnehmenden kommen aus allen Verbundpartnerinnen der BUA und aus vielen verschiedenen Disziplinen: aus der Biologie, Medizin, Biochemie, Psychologie, Biophysik und auch aus der Informatik. Jeder von ihnen untersucht den Datensatz einer bestimmten Krebsart – beispielweise Lungen-, Nieren-, Leber- oder Brustkrebs. Dabei arbeiten wir ausschließlich am Computer, programmieren und analysieren. Das Ziel ist es, mithilfe von KI und maschinellem Lernen so viele nützliche Informationen wie möglich aus den vorhandenen Datensätzen zu den unterschiedlichen Krebstypen zu extrahieren und ihren jeweiligen zirkadianen Rhythmus zu erkennen.

Im Kurs bin ich kein Lehrer im herkömmlichen Sinn, sondern zeige die notwendigen Werkzeuge, gebe eine grobe Richtung vor und liefere Hinweise. Die Studierenden müssen viel selbst entscheiden und ihren eigenen Weg finden. Am Anfang haben sie viele wissenschaftliche Veröffentlichungen gelesen, um sich erst einmal einzuarbeiten. Wir treffen uns regelmäßig als Team und jeder gibt ein kurzes Update, was er bisher erreicht hat. Es ist ein gegenseitiger Austausch und ein gemeinsames Vorankommen. Die große Herausforderung ist es dabei, aus den ersten Ergebnissen logische Schlussfolgerungen für die weiteren Schritte abzuleiten, um voranzukommen und die richtigen Antworten zu finden. Ich lerne ebenfalls sehr viel von dem Feedback, das mir die Studierenden durch das Konzept des forschungsbasierten Lernens geben. Die Lehrenden der verschiedenen Kurse tauschen sich ebenfalls viel untereinander aus – es ist ein Lernprozess für alle Seiten.

Ergebnisse liefern Hinweise für verbesserte Therapien

Körpergewebe verändert sich im Tagesverlauf. Die Leber etwa ist nachts eine andere als tagsüber. Es sind andere Gene und Enzyme aktiv, andere Stoffwechselprodukte entstehen. Diese Unterschiede im Tagesverlauf gelten auch für Krebszellen. In der Medizin können wir diese Tatsache nutzen, um etwa Medikamente effektiver zu machen, indem sie zu einer besonders günstigen Tageszeit eingenommen werden. Medikamente, die beispielsweise ganz bestimmte Proteine hemmen sollen, werden am besten dann eingenommen, wenn der Körper besonders viele dieser Proteine produziert. Auch Nebenwirkungen einer Chemotherapie sind häufig tagesabhängig und könnten abgemildert werden, wenn die Therapie daran angepasst wird. Die Daten über den zirkadianen Rhythmus verschiedener Krebstypen könnten auf diese Weise künftig dazu beitragen, die Behandlung zu verbessern und die Lebensqualität zu erhöhen.

Zum Projekt

Die Berlin University Alliance möchte die Verbindung von (Spitzen-)Forschung und Lehre stärken. Dafür hat der Verbund das Student Research Opportunities Programx (StuROPx) eingerichtet, das sich an Studierende und Nachwuchswissenschaftler*innen richtet und auf dem Konzept des forschungsbasierten Lernens aufbaut. Im Sommersemester 2024 fördert die BUA insgesamt 23 sogenannte X-Student Research Groups – Forschungsteams aus Doktorand*innen oder PostDocs und Studierenden. Darin wird den Studierenden schon im Studium ermöglicht, an aktuell laufender Forschung teilzunehmen.

Die X-Tutorials sind Forschungstutorien, die von Studierenden initiiert und organisiert werden. Zwei Tutor*innen forschen mit weiteren Studierenden als Team zu einem Thema ihres Interesses. Den Studierenden wird frühzeitig der Freiraum gegeben, weitgehend eigenständig an einer eigenen Forschungsfrage zu arbeiten.

Weitere Informationen

Über die Reihe „Die BUA und ich“ – Protokolle aus dem Exzellenzverbund

Die Humboldt-Universität bildet gemeinsam mit der Freien Universität Berlin, der Technischen Universität Berlin und der Charité – Universitätsmedizin Berlin den Exzellenzverbund Berlin University Alliance (BUA). In der Reihe „Die BUA und ich“ berichten Forschende und Mitarbeitende der HU von ihren Projekten, die mit Exzellenzmitteln gefördert werden.

 

„Die BUA und ich“ – Folge 1: Dr. Yong-Mi Rauch

„Die BUA und ich“ – Folge 2: Prof. Dr. Manuela Bojadžijev

„Die BUA und ich“ – Folge 3: Dr. des. Desirée Hetzel