Humboldt-Universität zu Berlin

Bernhard Chappuzeau: "Filmästhetik ist kein Wert, der für sich allein existiert"

Humboldt Post-Doc Fellow Bernhard Chappuzeau erforscht, welche internationalen Einflüsse es in lateinamerikanischen Filmen gibt

Bernhard Chappuzeau
Foto: Tilo Riolo

Abbildung: Tilo Riolo

Herr Chappuzeau, Sie forschen in Ihrem Habilitationsprojekt zur lateinamerikanischen Filmkunst der vergangenen 25 Jahre. Was macht gerade dieses Sujet für Sie so interessant?

Nach meiner Promotion über Rainer Werner Fassbinder und Pedro Almodóvar habe ich viele Jahre in Lateinamerika gelebt und geforscht. In dieser Zeit ist mir eine interessante Entwicklung aufgefallen. In den 1990er Jahren kam die Filmindustrie in Lateinamerika nahezu zum Erliegen. Diese Länder hatten große volkswirtschaftliche Schwierigkeiten. Für Kunst und Kultur hatte das verheerende Folgen. Viele Kinos etwa wurden geschlossen. Gleichzeitig wuchs in Europa und Nordamerika das Interesse gerade an lateinamerikanischen Filmen. Diese konträre Entwicklung untersuche ich und will herausfinden, wie sich das auf die Filmästhetik ausgewirkt hat.

Können Sie schon etwas von Ihren Ergebnissen verraten?

Filmästhetik ist ja kein Wert, der allein für sich existiert. Sie steht immer in Beziehung zu den Zuschauern, die sie erreicht. Das kann man am Beispiel der lateinamerikanischen Filme sehr gut zeigen. Die internationalen Einflüsse kommen aus aller Welt und zeigen sehr deutliche gemeinsame Entwicklungen. Die neue Filmästhetik fokussiert ein internationales Publikum, spricht es durch bestimmte audiovisuelle Reize spezifisch an. Der Zuschauer wird etwa durch Bildsignale aktiviert, in eine Erwartungshaltung gebracht, die man zum Beispiel aus Frankreich, Russland, Iran, China oder Japan kennt.

Wie kann man sich das konkret vorstellen? Welche Signale sind das?

Die unabhängige Filmkunst arbeitet wieder mehr mit älteren Bildformaten und längeren Bildeinstellungen. Es wird intensiv an filmischen Atmosphären gearbeitet, die an Filme von Bresson, Tarkowski, Sokurow, Kiarostami, Kar-Wai oder Ozu erinnern. Die Verbindung von Bild und Ton wird sehr vielseitig eingesetzt, um die Wahrnehmung auf ein sinnliches Erleben zu fokussieren. Diese künstlerische Arbeit ist kein Sonderfall. Es entstehen sehr viele Produktionen mit diesem Anspruch.

Sie wollen also das Zusammenspiel lokaler und globaler Entwicklungen in der Filmindustrie aufzeigen?

Genau. Ich will zeigen, welche postnationale Entwicklung Filmästhetik erlebt hat, wie sie sich internationalisiert hat, welche Rolle wirtschaftliche Rahmenbedingungen dabei spielten.

Kann man sich Ihre Forschungsarbeit so vorstellen, dass Sie den lieben langen Tag Filme ansehen?

Nein, das leider nicht (lacht). Ich sehe natürlich viele Filme. Aber mir geht es darum, erstmals Marktstudien und Filmtheorie zueinander in Beziehung zu setzen. An einigen ausgewählten Filmen etwa aus Mexiko, Costa Rica, Argentinien oder Brasilien will ich zeigen, welche Bezüge es aus dieser Zeit unter anderem zur französischen oder deutschen Filmwissenschaft gibt; welche neuen Formen ästhetischer Erfahrung entstanden sind in einer Situation, in der der Filmmarkt in Lateinamerika regelrecht zusammengebrochen ist, während man sich in anderen Teilen der Welt plötzlich für gerade diesen interessierte.

Wieso erforschen Sie diese Fragen gerade an der Humboldt-Universität?

Das hat mehrere Gründe. Zum einen sind die Lateinamerika-Studien in Berlin sehr interdisziplinär aufgestellt. Das passt ideal zu meinem Forschungsansatz. Dann gab es einen persönlichen Kontakt. Dieter Ingenschay vom Institut für Romanistik war der Zweitgutachter meiner Promotion. Und schließlich habe ich 2013 eines der Humboldt Research Fellowships erhalten, die aus der Exzellenzinitiative hervorgegangen sind. Damit habe ich für drei Jahre eine feste Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Das hat es mir natürlich überhaupt erst ermöglicht, mich in dieser Intensität auf das Habilitationsprojekt einzulassen.

Und wie geht es nach der Habilitation für Sie weiter?

Ich will in der Wissenschaft bleiben und strebe eine Professur an. Es gibt auf diesem Gebiet noch viel zu tun.

Das Interview führte Roland Koch

Biografie

Bernhard Chappuzeau ist seit Januar 2014 Humboldt Post-Doc Fellow an der Humboldt-Universität. Er hat vorher an der Universidad de Costa Rica geforscht, wo er 2012 und 2013 Gastwissenschaftler war. Promoviert hat Chappuzeau 2005 bei Vittoria Borsò an der Universität Düsseldorf in Romanistischer und Germanistischer Literaturwissenschaft. „Transgression und Trauma bei Pedro Almodóvar und Rainer Werner Fassbinder. Gender – Memoria – Visum“ lautete der Titel seiner Dissertation. Von 2006 bis 2010 war er Visiting Professor an der Universidad de Buenos Aires und Leiter des DAAD-Informationszentrums für Argentinien, Uruguay und Paraguay. 2011 hatte er ein DAAD-Rückkehrstipendium in Kultur- und Medienwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Geboren ist Chappuzeau in Hannover.