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„Man beruft eben tüchtige Männer und läßt die Universität sich allmählich encadrieren

Durch eine neue Berufungspolitik veränderte Humboldt die Institution Universität maßgeblich
ALTERNATIVTEXT

W. v. Humboldt 1814 nach einer
Zeichnung von P. E. Stroehling
Foto: bpk/Dietmar Katz

Humboldt zögerte lange. Als er im Herbst 1808 zum Chef der Sektion für Kultus und Unterricht im Innenministerium berufen wurde, wollte er lieber in Rom bleiben. Hier war er Gesandter beim Vatikan, genoss zusammen mit seiner Frau Caroline das kulturelle Leben, liebte das antike Ambiente. „Er zauderte auch wegen seiner Distanz gegenüber Kirchenfragen und wegen des abhängigen Status, den der Sektionschef – anders als die Minister in Preußen – hatte“, sagt Elmar Tenorth, emeritierter Erziehungswissenschaftler der HU und Herausgeber der sechsbändigen „Geschichte der Universität Unter den Linden, 1810 – 2010“ von 2010/12. Die fehlende amtliche Gleichstellung bewegte Humboldt letztlich dazu, bereits am 29. April 1810, vor der Eröffnung der Universität, ein Entlassungsgesuch an den König zu senden. In der Zeit dazwischen aber machte er Bildungspolitik und schrieb Universitätsgeschichte.

Die Frage, ob es in Berlin eine Universität geben sollte, gewann nicht erst mit der Berufung Humboldts an Bedeutung, sondern wurde seit den 1780ern in Berlin leidenschaftlich, kritisch und kontrovers diskutiert. Sie fiel in eine Zeit, in der die Krise der europäischen Universität europaweit diagnostiziert, aber auch über eine neue Gestalt der Universität und den Status von Wissenschaft intensiv diskutiert wurde. „13-, 14-jährige Studenten, ohne jegliche Qualifikation, waren keine Seltenheit. Die häufigsten Klagen über Studenten lauteten: Sie sind dumm, saufen, huren, prügeln und gefährden bürgerliche Mädchen“, erklärt Tenorth. Das wissenschaftliche Niveau war katastrophal, Forschung kein Thema, „es wurde aus alten Büchern überliefertes Wissen vorgelesen.“Charakteristisch war außerdem ein korruptes Berufungssystem: „Professor wurde nicht selten, wer bereit war, die noch unverheiratete Tochter des amtierenden zu heiraten.“

Eine Universität für Berlin

1802 entbrannte, vom König angeregt, erneut die Diskussion über eine Universität in Berlin. Sie gewann 1806 an Tempo, weil durch den Krieg gegen Napoleon die Universität in Halle verloren ging. Friedrich Wilhelm III. forderte: „Der Staat muss durch geistige Kräfte ersetzen, was er an physischen verloren hat.“ Als Humboldt, am Ende doch an seiner preußischen Ehre gepackt, im Februar 1809 in Berlin sein Amt antrat, war Preußen von Napoleon besetzt, König Friedrich Wilhelm III. saß in Memel, die Verwaltung hier wie da. „Humboldt fiel mit einer riesengroßen Aufgabe in einen unvorbereiteten Raum. Er wusste aber, wie man Politik macht, wie man eine große Idee institutionell umsetzen, finanziell und personell absichern muss. Er erfand das Ressort neu.“

Der Gründungsprozess erwies sich als umwegig und schwierig. Am 24. Juli 1809 legte Humboldt einen „Antrag auf Errichtung der Universität Berlin“ vor, keine höhere Lehranstalt also, keine berufsbezogene Fachschule. Der König stimmte dem Plan am 16. August 1809 in allen Details zu, auch dem Ziel, die Universität in einer integrierenden Rolle in der Berliner Wissenschaftslandschaft zu platzieren. Die Institute und Sammlungen der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften wurden der Universität übergeben, die Akademie erlitt einen erheblichen Statusverlust. Die Universität wurde zum intellektuellen Zentrum der Vielzahl wissenschaftlicher Einrichtungen der Stadt, „organisch“, wie er sagte, mit den anderen Institutionen verbunden: Charité, Botanischer Garten, Anatomisches Theater, Collegium medico-chirurgicum, Tierarzneischule, Pepinière (die dem Militär zugeordnete Medizinerschule), Bauakademie und Ackerbauinstitut, fünf Gymnasien, die königliche Bibliothek. Auch das Museum des Königs, dessen Sammlungen und die der wissenschaftlichen Vereine der Bürger, gehörten dazu.

Qualität in der Bildung

Angesichts der Probleme mit den Ministerkollegen musste sich Humboldt bald auf die Kernfragen der Realisierung der Universität konzentrieren: Personal, Gebäude, Finanzen. Gemeinsam mit seinen drei engsten Mitarbeitern – Nicolovius, Süvern und Uhden, die zu den besten Köpfen im Bildungsbereich zählten – nahm Humboldt die Umgestaltung des preußischen Bildungssystems in Angriff. Er hatte dabei nicht nur das höhere Bildungswesen auf der Agenda, sondern die Idee einer Gesamtbildungspolitik für Preußen. Er schickte Eleven zu Pestalozzi in die Schweiz, damit sie lehren lernten und die Volksbildung verbesserten, er ließ die Qualität der höheren Schulen und ihrer Lehrer prüfen, und er forcierte die Einrichtung des Abiturs, um die Studierfähigkeit zu garantieren. Durch das Abitur und eine neue Berufungspolitik, mit neuen Studenten und anderen Professoren also, wurde auch die Institution Universität maßgeblich verändert.

Der wichtigste Schritt in diese Richtung war der Einsatz einer „Commission für die Einrichtung der Universität“, der neben seinen engen Mitarbeitern auch der Theologe Schleiermacher angehörte. „Diese Kommission leistete die entscheidenden Schritte der Personalauswahl und die vorbereitende Arbeit an den Statuten, die allerdings erst 1816 abgeschlossen war“, erklärt Tenorth. Eine der wichtigsten Neuerungen: Humboldt und die Einrichtungskommission sorgten für die Qualität der akademischen Prüfungen und Berufungen an der Berliner Universität. „Der Doktortitel der alten Universität wurde nicht selten in absentia vergeben und war quasi käuflich, ungefähr das Jahresgehalt eines Lehrers kostete ein Titel. Jetzt wurde eine wissenschaftliche Arbeit und ein mündliches Prüfungsverfahren zur Voraussetzung für die Promotion.“

Nur wer in dieser Weise, „rite“, also ordentlich, qualifiziert war, galt als Bewerber. Für eine Berufung waren weitere Qualitätsnachweise notwendig, vielversprechende Anwärter, die noch ohne solche Leistungen waren, mussten ihre Forschungskompetenz auf einem neuen Gebiet innerhalb von zwei Jahren in ihrer Fakultät nachweisen. „Formalisiert entstand daraus die Habilitation mit einer weiteren Arbeit und einer eigenen Prüfung, die zum Privatdozenten führten. Solche Verfahren setzten sich erst ab 1860 auch an anderen deutschen Universitäten durch.“

Strenge Kriterien bei der Bewerberauswahl

Die Rekrutierung des Personals war für die Gründung der Universität zentral. Humboldt schrieb im Mai 1810 an seine Frau: „Man beruft eben tüchtige Männer und läßt die Universität sich allmählich encadrieren.“ Die 1810 eingesetzte Einrichtungskommission prüfte scharf Forschungskompetenz und -leistungen, historisch, philologisch, mathematisch, experimentell oder in der Reflexion von Recht, Medizin und Theologie. Zwar hatte Humboldt keine hohe Meinung von Professoren, er nannte sie die „unbändigste und am schwersten zu befriedigende Menschenklasse“, ihre politische Gesinnung spielte für ihn aber keine Rolle. Er verstand die Universität immer als Ort der Geistesfreiheit und beurteilte Wissenschaftler nur nach ihrer wissenschaftlichen Qualität. Aber auch Lehre und Studium spielten eine Rolle. Die Studierenden sollten befähigt werden, an Forschungsprozessen teilzunehmen. Für jedes Fach wurde die „Encyklopädie und Methodologie“ zur Pflicht, um die Studenten mit der Spezifik ihres Gebiets vertraut zu machen, aber auch mit dem Effekt, dass die Fächer selbst ihre eigene Spezifik ausarbeiteten.“

Humboldt suchte die Besten ihres Faches, aber auch aufstrebende junge Leute. „Er scheute keine Mühen, die Wissenschaftler, die er als herausragend identifizierte, mit Geld nach Berlin zu locken.“ Friedrich Carl von Savigny, den führenden Rechtswissenschaftler der Zeit, beispielsweise holte er mit viel Hingabe aus Bayern nach Berlin. Nur einer der Großen seiner Zeit versagte ihm die Zusage – der Mathematiker Carl Friedrich Gauß, dessen Absage Humboldt schmerzte. „Berlin zählte um 1800 nicht zu den angesagten Orten Europas wie etwa München, Wien oder Paris. Gauß‘ Ehefrau wollte nicht nach Berlin, in den märkischen Sand, fernab von jeder Zivilisation“, sagt Tenorth. Andererseits wurden viele Bewerber abgelehnt, weil sie keine Forschungserfahrung hatten. „Diese Strategie unter härtesten Kriterien Bewerber zu rekrutieren, bestimmte die Universitätspolitik Unter den Linden schon im 19. Jahrhundert.“ Berlin wurde zum Muster der modernen Forschungsuniversität.

Das Universitätsgebäude –  ein Palais wird zur Lehranstalt

Den Sitz der Universität stiftete der König: das Palais des Prinzen Heinrich am Prachtboulevard Unter den Linden. Allerdings: „Das Gebäude stand nicht leer, wie es in manchen Werken heißt, sondern war komplett vermietet, musste mühsam leergezogen werden und bedeutete noch für Jahre ein Problem für die Universität“, sagt Tenorth. „Es wirkte außerdem wenig einladend. Es gab keinen richtigen Fußboden im Eingangsbereich, keine durchgehende Beleuchtung und auch keine Toiletten. Das Gebäude für Lehrzwecke bereitzumachen, war ein riesengroßer Aufwand.“ Humboldt scheute ihn nicht.

Von Anfang an kämpfte er als Sektionschef gegen den Widerstand der zuständigen Minister, auch sein eigener Minister, Friedrich zu Dohna-Schlobitten, war nicht kooperativ. Humboldts Urteil über die Regierung war vernichtend: „Es gab eigentlich gar keine Regierung, keine Kraft, keine Consequenz, keine Einheit. … Man geht mit offenen Augen in den Abgrund, auch bei mir ist alle Hoffnung dahin, und die Auflösung meiner Ansicht nach vor der Thür“, schreibt er an den Regierungspräsidenten in Potsdam, Ludwig von Vincke, am 30. Mai 1809. Aber er verzagte nicht: „Man muß auch am Rande des Abgrundes das Gute nicht aufgeben“, so am 28. Juli 1809 an Wolf. Dabei behielt er den klaren Blick für die Grundprobleme: „Aber die Universität fordert Mittel, und ohne etwas bedeutendere und sichere fange ich nichts an, und daran arbeite ich“, heißt es am 23. Mai 1809 an Schleiermacher.

Humboldt schaffte es zwar nicht, eine Finanzierung der Universität durch eigene Domänen zu sichern. Aber allen Widerständen zum Trotz gelang es ihm, das Gesamtvorhaben durchzusetzen. „Das ist die eigentliche Gründungsleistung Humboldts“, unterstreicht Tenorth. „In der Retrospektive ist er der Philosoph der großen Ideen, aber der heute dafür meistzitierte Text ‚Über die innere und äussere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin‘ wird erst um 1890 gefunden und spielt im Gründungsprozess gar keine Rolle.“

Die Eröffnung ohne Humboldt

Die Universität hatte noch nicht einmal ihre Arbeit aufgenommen, da reichte Humboldt im April 1810 sein Rücktrittsgesuch beim König ein, weil dieser die Zusage brach, ihn in den Ministerrang zu heben. Er wurde im Juli aus dem Amt entlassen, blieb aber kommissarisch bis November tätig, bis sein Nachfolger Friedrich von Schuckmann, ein reaktionärer, preußischer Beamter, das Amt übernahm. Er sah in Humboldts gesamter Bildungspolitik den schändlichen Versuch, den preußischen Staat zu demokratisieren und zu liberalisieren.

Bei der Eröffnung am 15. Oktober 1810 war Humboldt nicht mehr dabei. Das Datum wird bis heute als Gründungsdatum gefeiert, „es markiert aber nicht den vollzogenen Akt der Einrichtung der Universität“, unterstreicht Tenorth. Nur wenige der etwa 50 Professoren, davon 25 Ordinarien, des Semesters 1810/11 begannen an diesem Tag mit der Lehre, unter anderem der Mediziner Hufeland. Fichte, Schleiermacher, die Juristen Savigny und Schmalz folgten Ende Oktober oder im November, andere erst 1811. „Der Tag der Eröffnung blieb von der akademischen und weiteren Berliner Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet.“ Die weitere Einrichtung vollzog sich in Etappen. Die Statuten, die der Universität die innere Struktur gaben, wurden erst am 24. April 1817, dem Tag der „Einweihung“ der Universität, verkündet.

Wie ist Humboldts Rolle im Gründungsprozess angesichts ihrer kurzen Dauer zu beurteilen? „Ohne ihn hätte es die Universität so nicht gegeben, nicht zu diesem Zeitpunkt, nicht in der zwischen Modernität und Tradition changierenden Gestalt, nicht mit diesen Professoren und dem Primat der Forschung“, betont Tenorth. „Niemand sonst hatte die Chance, die Macht, das Netzwerk und die Durchsetzungskraft Humboldts, um die Berliner Universität Realität werden zu lassen.“

 

Autorin: Ljiljana Nikolic