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Der Netzwerker

Der Preuße spielt in Iberoamerika bis heute eine wichtige Rolle. Doch es sind auch kritische Töne zu hören.

Straßen, Plätze, Orte sind nach ihm benannt: Fast 200 Jahre nach seinem Tod lebt Alexander von Humboldt in Iberoamerika weiter und wird dort wie ein Held verehrt. Oder? „Generell betrachtet wird er aufgrund seiner kritischen Kommentare über das Kolonialsystem positiv gesehen. Er spielte eine wichtige Rolle für die Unabhängigkeitsbewegungen und die Herausbildung einer eigenen nationalen Identität danach – in manchen Staaten weniger, in anderen mehr“, sagt Dr. Sandra Rebok, die seit über 20 Jahren über den Wissenschaftler forscht.

Humboldt war eine geeignete Gallionsfigur für die südamerikanischen Unabhängigkeitsbewegungen, denn als Nicht-Spanier war er unbelastet durch das Kolonialsystem, als Entdecker und großer Bewunderer der amerikanischen Flora und Fauna wertete er den Kontinent auf. Aber er war kein Revolutionär. „Er war ein Gegner des Kolonialsystems, die Unabhängigkeit sollte seiner Meinung nach durch schrittweise Reformen erreicht werden“, erklärt die Wissenschaftshistorikerin. Seine Position war auch geprägt durch die Auswirkungen der Französischen Revolution, das Blutvergießen und die Probleme, die durch gewaltsame Systemumstürze entstehen. Außerdem hatte er einen kritischen Blick auf die weißen Eliten der Länder, versprach sich keine wirkliche Verbesserung für die Mehrheit der Bevölkerung durch einen Umsturz durch sie.

Kooperation mit lokalen Wissenschaftlern

So äußerte sich der preußische Gelehrte zwar in seinen Tagebüchern mit Vehemenz gegen das koloniale System, doch in seinen Publikationen ging er mit der Frage verhaltener um, kritisierte auf allgemeine sowie indirekte Weise. „Er führte beispielsweise wirtschaftliche Argumente gegen den Kolonialismus auf“, so Rebok. Ein Anknüpfungspunkt für die Nationalbewegungen war Humboldts kooperative Arbeitsweise. Er arbeitete mit lokalen Wissenschaftlern zusammen, ließ die Ergebnisse ihrer Arbeiten in seine Werke einfließen, teilte mit ihnen seine Studienergebnisse. „Er brachte diese Wissenschaftler mit Forschern und Wissenschaftsinstitutionen in Europa in Kontakt.

Die amerikanische Reise war der Beginn eines beeindruckenden Netzwerks, das Humboldt jahrzehntelang pflegte und weiter ausbaute“, so Rebok. Der Gelehrte sei auch heute noch von großer Bedeutung für die internationalen Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Iberoamerika. Die Wissenschaftlerin beschäftigt sich zurzeit mit diesem Potenzial in einer Studie für das Institut für Auslandsbeziehungen. Die Rezeption Humboldts fällt in den einzelnen Ländern seiner Reise sehr unterschiedlich aus – in Abhängigkeit davon, wie lange er jeweils vor Ort weilte und welchen Aktivitäten er dabei nach ging.

Anerkennung, aber auch Kritik an Alexander von Humboldt

„In Kuba waren seine Texte über die Abschaffung der Sklaverei von großer Bedeutung. In Ecuador spielten seine Schriften über die Biodiversität, sein Interesse für Berge und Vulkane eine wichtige Rolle für die nationale Identifikation.“ In Spanien dagegen war er lange Zeit kaum bekannt und wurde mit seinem Bruder Wilhelm verwechselt, der die baskische Sprache erforschte. In einigen Ländern, wie etwa Kolumbien, sind auch kritische Töne zu hören. „In Bogota forschte Francisco José de Caldas ähnlich wie Humboldt an der Geografie der Pflanzen und gab seine Ergebnisse an Humboldt weiter. Auch wenn dieser Caldas als Quelle angab, wird in Kolumbien weiterhin diskutiert, auf wen der Ursprung dieses Konzepts zurückzuführen ist.“ Kritsch betrachtet wird Humboldt auch in Mexiko. Er hat Erkenntnisse und Informationen stets an andere weitergegeben, auch sein Wissen über Louisiana an den amerikanischen Präsidenten Thomas Jefferson, den er 1804 besuchte. „Jefferson hatte gerade das Territorium am Golf von Mexiko von Frankreich gekauft und damit das amerikanische Staatsgebiet verdoppelt. Er hatte aber kaum Informationen über Louisiana“, sagt Sandra Rebok. Die nötigen Einblicke in Bodenschätze, Natur, die Bevölkerung sowie die politische Situation gewährte ihm Humboldt, wenn auch nicht als einzige Informationsquelle.

„In Mexiko wird er deswegen auch heute noch in manchen Kreisen als Spion oder Agent für die amerikanische Regierung gesehen“, hat Rebok in einer Umfrage herausgefunden. „Humboldt wird teilweise sogar dafür verantwortlich gemacht, dass Mexiko im Mexikanisch-Amerikanischen Krieg von 1846 bis 1848 weitere Gebiete an die USA verlor, was jedoch historisch falsch ist, da die an Jefferson gegebenen Informationen zu diesem Zeitpunkt bereits veraltet waren.“

Verantwortung über die Folgen seiner Forschung?

Angelastet wurde Humboldt auch, dass seine Publikationen über die Ressourcen der bereisten Länder nach ihrer Unabhängigkeit und Loslösung von Spanien zur wirtschaftlichen Ausbeutung durch internationale Investoren führten. Die Frage ist hier jedoch, inwieweit Humboldt wirklich für diese Folgen seiner Forschung verantwortlich gemacht werden kann – oder inwieweit Forscher generell für die Anwendung ihrer Erkenntnisse verantwortlich sind. Wofür er jedoch auch heute noch bewundert wird, ist seine holistische Art und Weise, Wissenschaft zu betreiben. Seine Gewohnheit, Erkenntnisse selbstverständlich mit vielen anderen Forschenden zu teilen, ist heute aktueller denn je.

Autorin: Ljiljana Nikolic