DFG Forschungsgruppen - Sprecherhochschule Humboldt-Universität zu Berlin
FOR 2265: Recht - Geschlecht - Kollektivität: Prozesse der Normierung, Kategorisierung und Solidarisierung
Zu den umstrittensten Fragen westlicher Demokratien gehören derzeit jene um Zugehörigkeit und Teilhabe. Recht kommt dabei eine zentrale Rolle zu, sei es als Bezugspunkt, um ein Anrecht zu formulieren, sei es als Zielpunkt, um bestehende Grenzen zu verschieben. Von dieser Dynamik zeugen neuere soziale Konflikte etwa um Antidiskriminierungsrecht und Arbeitnehmer*innenrechte, darum, wem die Stadt gehört, um die Frage der Rechte von Geflohenen sowie generell um Fragen nach der Möglichkeit gleichberechtigter Teilhabe aller »an der Praxis staatsbürgerlicher Selbstbestimmung« (Jürgen Habermas). Die interdisziplinäre Forschungsgruppe (FOR) fokussiert vor diesem Hintergrund den Zusammenhang von Recht, Geschlecht und Kollektivität. Wir fragen nach der Wirkmächtigkeit vergeschlechtlichter Kollektivität in einer hegemonial männlich-heteronormativen sowie bürgerlich-privatrechtlich verfassten Rechtstradition. Uns interessiert, wie sich aktuelle gesellschaftliche Konflikte aus Sicht eines vertieften Verständnisses juristisch normierter und zugleich vergeschlechtlichter Kollektivierungsprozesse darstellen, wie sie verstanden und in angemessener Komplexität beschrieben werden können. Die FOR nimmt dafür unterschiedliche Dimensionen von Kollektivität - (soziale) Kollektive, Vorstellungen von Kollektivität und Prozesse der Kollektivierung - in den Blick. Sie fokussiert die Schnittstelle von Recht als soziokulturell bedeutsamen Diskurs- und Handlungszusammenhang und Gender als wirkmächtiger sozialer Norm und Strukturkategorie. Die FOR erzielt damit erstens einen theoretischen Mehrwert sowohl für die Rechtsforschung wie für die Geschlechterforschung und leistet mit dieser spezifischen Fokussierung zweitens einen eigenständigen Beitrag zum Verständnis der Bedeutung von Kollektivität in spätmodernen Gesellschaften im transnationalen Zusammenhang.
Sprecher*in:
Prof. Dr. Beate Binder
Philosophische Fakultät
Institut für Europäische Ethnologie
Mohrenstr. 40/41
D-10117 Berlin
E-Mail: beate.binder@hu-berlin.de
Laufzeit: 2017-
FOR 2537 Grammatische Dynamiken im Sprachkontakt: ein komparativer Ansatz (RUEG)
Die Forschungsgruppe „Emerging Grammars in Language Contact Situations: A Comparative Approach“ (kurz „RUEG“) plant eine Untersuchung der sprachlichen Systeme und sprachlichen Ressourcen bilingualer Sprecher*innen aus Familien mit Zuwanderungsgeschichte, sogenannter „Heritage Speakers“, in ihren beiden Sprachen (Heritage- und Majoritätssprache) in formellen und informellen, geschriebenen und gesprochenen Kommunikationssituationen. Die Untersuchung wird eine dezidiert Kompetenz- statt „Fehler“-orientierte Perspektive auf sprachliche Repertoires einnehmen und nichtkanonische Phänomene als mögliche Hinweise auf neue grammatische Optionen prüfen und sprachstrukturell analysieren. Wir werden Sprecher*innen mit den Heritage-Sprachen Russisch, Türkisch und Griechisch in Deutschland und den USA und Deutsch als Heritage-Sprache in den USA erfassen sowie analoge Kontrolldaten monolingualer Sprecher*innen für Majoritäts- und Heritage-Sprachen erheben. Daten werden in einer einheitlichen Methodik zur Elizitation natürlicher Sprachdaten in verschiedenen Registern („Sprachsituationen“) erfasst, in ein gemeinsames Korpus integriert und in enger Zusammenarbeit der verschiedenen Teilprojekte komparativ analysiert. Alle Projekte tragen zu drei „Joint Ventures“ bei. Diese Joint Ventures bündeln die Forschungsaktivitäten in RUEG und sind von drei zentralen Hypothesen geleitet, die den konzeptionellen Rahmen für die Gruppe liefern. Der jeweilige Fokus liegt dabei auf (1) der Entstehung neuer Dialekte vs. unvollständigem Erwerb und Abbau („Language Change Hypothesis“), (2) der Relevanz externer vs. interner grammatischer Schnittstellen („Interface Hypothesis“) und (3) der Differenzierung kontaktinduzierten Wandels von binnenstrukturellem Wandel und interner sprachlicher Variation („Internal Dynamics Hypothesis“). Wir erwarten als Ergebnis der gemeinsamen Arbeit neue Erkenntnisse zur besonderen Dynamik von Sprachvariation, Sprachwandel und sprachlichen Repertoires in Kontaktsituationen und der Modellierung nichtkanonischer Strukturen im grammatischen System und neue Impulse zur Untersuchung von Heritage-Sprecher*innen und sprachlichen Ressourcen generell.
Sprecher*in:
Prof. Dr. Heike Wiese
Sprach- und literaturwissenschaftliche Fakultät
Institut für deutsche Sprache und Linguistik
Unter den Linden 6
D-10099 Berlin
E-Mail: heike.wiese@hu-berlin.de
Laufzeit: 2018-
FOR 2569 Agricultural Land Markets - Efficiency and Regulation (FORLand)
Die Preise für landwirtschaftliche Flächen sind weltweit in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Dieser Anstieg wird neben vielen anderen Faktoren auf eine wachsende Nachfrage durch nichtlandwirtschaftliche Investoren zurückgeführt. Vor diesem Hintergrund findet in vielen Ländern der Europäischen Union eine politische Debatte darüber statt, ob bestehende Regulierungen landwirtschaftlicher Bodenmärkte ausreichend sind oder ob sie zum Schutz einer nachhaltigen Landwirtschaft verschärft werden sollen. In diesem Zusammenhang stellen sich eine Reihe wissenschaftlicher Fragen, die im Rahmen der Forschergruppe FORLand beantwortet werden sollen. Zum einen geht es darum, die Funktionsweise und die Effizienz landwirtschaftlicher Bodenmärkte zu verstehen, zu bewerten und darauf aufbauend den Bedarf an staatlichen Eingriffen in diese Märkte abzuleiten. Zum anderen sollen existierende und vorgeschlagene Instrumente zur Bodenmarktregulierung einer Wirkungsanalyse und einer Bewertung unterzogen werden. Dabei sind nicht nur unmittelbare Auswirkungen, wie Preise und deren zeitlich-räumliche Entwicklung, sondern auch indirekte Auswirkungen, insbesondere umweltrelevante Aspekte, zu berücksichtigen. Eine Wirkungsanalyse muss zudem eine Vielzahl externer Einflussfaktoren einbeziehen, wie zum Beispiel technologische Fortschritte oder Flächenentzug durch alternative Landnutzung. Konkrete Forschungsfragen lauten: Wie lassen sich ökonomische Konzepte zur Beurteilung von Markteffizienz auf landwirtschaftliche Bodenmärkte übertragen und anpassen? In welchem Verhältnis stehen Kauf- und Pachtmärkte zueinander? Gibt es Unterschiede zwischen Eigentümern und Pächtern in Bezug auf die Nutzungsintensität und die Nachhaltigkeit der Landbewirtschaftung? Welchen preistreibenden Einfluss haben nichtlandwirtschaftliche Investoren? In welchem Zusammenhang stehen Bodenmärkte und Agrarstrukturwandel? Welchen moralischen Prinzipien sollten die Ergebnisse von Bodenmärkten genügen? Die Diversität der Forschungsfragen erfordert einen multidisziplinären Ansatz, der neben Agrarökonomie, Ökonomie, Ökonometrie auch Soziologie, Geografie und Ethik einschließt. Die Verknüpfung empirischer und theoretischer Analysen, die Anwendung innovativer ökonometrischer Verfahren, die Nutzung einer breiten empirischen Datenbasis, die Kombination qualitativer und quantitativer Ansätze sowie die Ergänzung ökonomischer Modelle durch soziologische und ethische Konzepte tragen zu einem umfassenden Verständnis der komplexen Zusammenhänge auf landwirtschaftlichen Bodenmärkten bei.
Sprecher*in:
Prof. Dr. Martin Oedning
Lebenswissenschaftliche Fakultät
Albrecht Daniel Thaer-Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaften
Unter den Linden 6
D-10099 Berlin
E-Mail: m.odening@agrar.hu-berlin.de
Laufzeit: 2017-
FOR 5187: Personalisierte Psychotherapie für Patient*innen mit fehlendem Behandlungserfolg: Mechanismen, prädikative Marker und klinische Anwendung
Auch wenn die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) ein wirksames Verfahren zur Behandlung von psychischen Störungen des internalisierenden Spektrums ist, sprechen nicht alle Patient*innen gleich gut an – mit gravierenden Folgen für Betroffene und Gesundheitskosten. Im Zentrum einer personalisierten Therapie steht die frühzeitige Identifikation von Patient*innen mit einer schlechten Prognose, um eine optimierte Behandlung zu ermöglichen. Da die Evidenzlage zu Prädiktoren, die eine Einzelfallvorhersage ermöglichen, sehr begrenzt und hinsichtlich verschiedener Datenebenen fragmentiert ist, zielt die Forschungsgruppe (FOR) darauf ab, i) klinische und bio-behaviorale Mechanismen zu identifizieren, die Patient*innen mit unzureichendem Behandlungserfolg kennzeichnen, um das Phänomen der „Non-Response“ besser zu verstehen, ii) mit Hilfe des maschinellem Lernens eine Vorhersage für den einzelnen Patienten zu ermöglichen, und iii) dies in einem ökologisch validen Setting als zentrale Voraussetzung für personalisierte Therapien in der Praxis zu testen. Dazu implementieren wir eine prospektiv-longitudinale Beobachtungsstudie (SP_OBS) mit n = 500 Patient*innen des internalisierenden Spektrums (Panikstörung, Agoraphobie, Soziale Phobie, Spezifische Phobie, Generalisierte Angststörung, Zwangsstörung, Posttraumatische Belastungsstörung, unipolare depressive Störungen) an vier universitären Institutsambulanzen. Patient*innen werden vor Therapiebeginn umfassend mit Hilfe einer gemeinsamen Assessmentbatterie phänotypisiert (klinische Merkmale, digitale E-Health Marker, Hirnmorphometrie und -funktion) und mittels KVT behandelt. Diagnostische Prozesse, Qualitätsstandards und Behandlungsdokumentationen werden über alle Zentren hinweg harmonisiert. Wir wenden Algorithmen im Bereich neuronaler Netzwerke, multiplen Kernel- und Transferlernens an, die mit einer infrastrukturellen Ausstattung (Hard- und Software, High Performance Computing, Datenmanagement) in SP_METH gebündelt werden. Der Mehrwert der FOR liegt in 1) ihrem multimodalen Fokus, um durch den Vergleich von Datenebenen die besten Prädiktoren und kosteneffiziente Proxymaße zu identifizieren, 2) ihrem transdiagnostischen Ansatz, 3) ihrer externalen Validierungsstrategie, in der retrospektive Datensätze mit prospektiv-longitudinalen Daten kombiniert werden, sowie 4) der ökologisch validen Stichprobe, um die Translation in die klinische Praxis zu fördern. Diese Ziele können nur in Zusammenarbeit von Expert*innen mit Schwerpunkten in den Bereichen Klinische Psychologie, Psychotherapie, Digital Mental Health, Psychophysiologie, Neurowissenschaften und Neuroinformatik erreicht werden. Wir maximieren Synergien zu externen Consortia (UK Biobank, ENIGMA, CRCTRR58, BMBF psychotherapy inititative, PING, KODAP). Die FOR wird einen substanziellen Beitrag zum besseren Verständnis des Nichtansprechens auf KVT leisten und helfen, diese kostenintensive Gruppe von Patient*innen frühzeitig zu identifizieren.
Sprecher*in:
Prof. Dr. Ulrike Lüken
Lebenswissenschaftliche Fakultät
Institut für Psychologie
Unter den Linden 6
D-10099 Berlin
E-Mail: ulrike.lueken@hu-berlin.de
Laufzeit: 2022-
FOR 5363: KI-FOR Integration von Deep Learning und Statistik zum Verständnis strukturierter biomedizinischer Daten Anwendung
Hochdurchsatzmessungen in den biomedizinischen Wissenschaften wie z.B. Bilder, Genomsequenzen oder Zeitreihen stellen strukturierte Daten dar, die durch inhärente Abhängigkeiten zwischen den Messungen, oft nicht-vektorielle Struktur und das Vorhandensein von Störgrößen und Stichprobenverzerrung gekennzeichnet sind. So können z.B. die Populationsstruktur, systematische Messartefakte, nicht unabhängige Stichproben oder unterschiedliche Altersverteilungen in den Gruppen zu falschen Ergebnissen führen, wenn sie nicht berücksichtigt werden. Deep Learning (DL) zeichnet sich in vielen Anwendungen auf strukturierten Daten durch die Fähigkeit aus, komplexe Abhängigkeiten innerhalb und zwischen Eingaben und Ausgaben zu erfassen, was eine genaue Prädiktion ermöglicht. Trotz der jüngsten Fortschritte bei erklärbarer künstlicher Intelligenz und Bayesschen neuronalen Netzen gibt es beim DL immer noch Einschränkungen hinsichtlich der Unsicherheitsquantifizierung, Interpretierbarkeit und Validierung. Dies sind jedoch wichtige Komponenten, um über die Prädiktion hinaus Verständnis der zugrunde liegenden Biologie zu erlangen. Zu diesem Zweck wurde in den biomedizinischen Wissenschaften traditionell die Statistik verwendet, aufgrund der interpretierbaren Modellergebnisse und der statistischen Inferenz, die u.a. eine Quantifizierung der Unsicherheit, Adjustierung für Störgrößen und Testen von Hypothesen mit statistischer Fehlerkontrolle ermöglicht. Methoden der klassischen Statistik sind jedoch begrenzt in ihrer Modellierungsflexibilität für strukturierte Daten und ihrer Fähigkeit, komplexe Nichtlinearitäten datengesteuert zu erfassen.In dieser Forschungsgruppe bringen wir Experten aus dem Bereich des maschinellen Lernens und der Statistik mit Erfahrung in biomedizinischen Anwendungen zusammen, um die folgenden übergreifenden Ziele zu erreichen:(O1) Integration von DL und Statistik zur Verbesserung der Interpretierbarkeit, Unsicherheitsquantifizierung und statistischen Inferenz für DL und zur Verbesserung der Modellierungsflexibilität statistischer Methoden für strukturierte Daten. Insbesondere werden wir Methoden entwickeln, die statistische Inferenz für strukturierte Daten durch Unsicherheitsquantifizierung, Testen von Hypothesen und Adjustierung für Störgrößen ermöglichen, und die Erklärungen strukturierter Daten durch hybride statistische und Deep-Learning-Modelle, Erklärungen auf Populations- und Verteilungsebene und robuste dünnbesetzte Erklärungen verbessern. (O2) Schaffung einer Rückkopplungsschleife zwischen dieser Methodenentwicklung und biomedizinischen Anwendungen, wobei wir bei der Entwicklung neuer Methoden die Bedürfnisse bei der Analyse der Daten berücksichtigen und biomedizinische Erkenntnisse aus den Anwendungen der entwickelten Methoden auf die Daten gewinnen wollen. Zu den Anwendungen gehören die Analyse von MRT-, fMRT- und Mikroskopie-Bildern, Krankheitsverlaufsmodellierung, DNA-Sequenzanalysen und genetische Assoziationsstudien.
Sprecher*in:
Prof. Dr. Sonja Greven
Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
Unter den Linden 6
D-10099 Berlin
E-Mail: sonja.greven@hu-berlin.de
Laufzeit: 2023-