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Refugees with Résumés. Aufnahme und Integration geflüchteter Menschen in Deutschland und Europa

Im Rahmen der Next Frontier Debate diskutierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am 1. November 2017 im Festsaal der Humboldt-Universität zu Berlin über die Voraussetzungen, Chancen und Probleme der Integration Geflüchteter in den Arbeitsmarkt. Die Veranstaltung bildete den Auftakt zur Berlin Science Week 2017 und wurde von Prof. Dr.-Ing. Dr. Sabine Kunst, Präsidentin der HU Berlin, eröffnet.

Soziale Netzwerke als Eintritt in den Arbeitsmarkt

Foto: Matthias Heyde

In den letzten Jahren ist die Zahl der Menschen, die in Europa Asyl suchen, stark gestiegen. Seither wird auch in Deutschland intensiv über die Frage diskutiert, wie die Geflüchteten dauerhaft in die Empfängergesellschaften integriert werden können. Als zentrales Instrument gilt neben dem Erlernen der Landessprache die Integration in den Arbeitsmarkt. Doch welche Beschäftigungsaussichten haben Geflüchtete eigentlich? Welche Chancen und Hindernisse stellen sich bei der Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit in Deutschland? Kann der Arbeitsmarkt überhaupt die Aufgabe der Integration leisten? Ausgehend von den skizzierten Fragen stellte die Next Frontier Debate die Erkenntnisse der wissenschaftlichen Migrationsforschung zur Integration Geflüchteter in Deutschland und Europa vor.

„Integration hängt wesentlich davon ab, was geflüchtete Menschen vorher erlebt haben. Die Menschen haben eine Geschichte. Wenn man nicht weiß, was sie in ihren Herkunftsländern durchlebt, erlitten und gemacht haben, wird man die Integrationsprozesse hier in Deutschland nicht verstehen“, betonte gleich eingangs Herbert Brücker, Gastprofessor für Ökonomische Migrations- und Integrationsforschung an der HU Berlin und Mitglied des Berliner Institut für Integrations- und Migrationsforschung (BIM). Gemeinsam mit Serhat Karakayali, Post-Doc am Lehrbereich „Diversity and Social Conflict“ der Humboldt-Universität zu Berlin und ebenfalls BIM-Mitglied, sowie Nadzeya Laurentsyeva, Research Fellow am Centre for European Policy Studies (CEPS), diskutierte Brücker unter der Moderation von Sabine Kroner, Projektleiterin von Berlin Mondiale, wie sich die aktuelle Arbeitsmarktsituation für Geflüchtete neu bewerten lässt und welche Anknüpfungspunkte es zur Verbesserung aus Sicht der Forschung gibt.

Neben den sehr unterschiedlichen Voraussetzungen, welche die Flüchtlinge mitbringen, sind geringe deutsche Sprachkenntnisse das größte Hindernis bei der Arbeitsmarktintegration, zeigt sich in der Forschungsarbeit von Laurentsyeva, welche Geflüchtete im Raum München befragt hat. 60 Prozent der Befragten nannten mangelnde Deutschkenntnisse als Hürde bei der Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit. Hinzu kommen die großen Gefälle im Bildungsbereich, ergänzte Brücker unter Hinzunahme der Ergebnisse aus der gemeinsamen Flüchtlingsbefragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP), welche der Ökonom auswertet: Mehr als ein Drittel der befragten Geflüchteten aus dem Iran oder Afghanistan haben einen Schulabschluss, bei Befragten aus Syrien sind es sogar zwei Drittel. Im Vergleich zur Bevölkerung im Heimatland der Geflüchteten ist das viel. Dennoch lassen sich nur schwer Vergleiche ziehen, weil die meisten dieser Länder kein Ausbildungssystem haben, das mit dem deutschen Berufsbildungssystem vergleichbar wäre.

Das zweite große Hindernis ist der Suchprozess an sich – vielen geflüchteten Menschen sei nicht bewusst, wie und wo sie nach der Arbeit in Deutschland suchen sollten. Nur etwa ein Fünftel setzt das Internet bei der Suche ein, die Mehrheit fragt stattdessen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter beziehungsweise Lehrerinnen und Lehrer. Wichtige Unterstützung erfahren sie auch durch ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, ergänzte Karakayali. Der Soziologe hat in seiner Studie die Motivation und Einsatzbereiche der Freiwilligenarbeit für Geflüchtete erstmals umfassend sowohl in Großstädten als auch in ländlichen Gebieten erfasst. Seit 2014 verzeichnet er eine enorme Zunahme von Ehrenamtlichen in dem Bereich. Ehrenamtliche aus allen Altersgruppen setzen sich für Geflüchtete ein, sei es bei Behördengängen oder mit Übersetzungen. Ein großer gesellschaftlicher Rückhalt ist damit gegeben. Doch auch dieser vermag es nicht, ein Hauptproblem für den Arbeitsmarktzugang von Geflüchteten, nämlich die hohen bürokratischen und rechtlich-institutionellen Hürden, zu lösen. Alle Diskussionsteilnehmerinnen und -teilnehmer waren sich einig, dass die Dauer von Asylverfahren sowie die Bewilligung von Arbeitserlaubnissen den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt deutlich erschweren.

Sowohl Brückner als auch Laurentsyeva sehen allerdings ein großes Potenzial in der Nutzung von sozialen Netzwerken, um eine erste Beschäftigung zu finden. Laut der IAB-BAMF-SOEP-Flüchtlingsumfrage finden 40 Prozent der Befragten einen Arbeitsplatz über Familie, Bekannte und Freunde. Die Jobs bewegen sich hierbei hauptsächlich in der Kategorie Helferberufe, also in der Pflege, Gebäudereinigung oder Gastronomie. Zur akademischen Spitze der beschäftigten Geflüchteten zählen vor allem Ärztinnen und Ärzte, da sich die medizinische Ausbildung oft international vergleichen lässt.

Um Geflüchteten dauerhaft den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern, stellt sich aus Sicht der Forschung für die Politik nun die Frage: Wie lassen sich die sozialen Netzwerke für Geflüchtete fördern? Und wie können Sprachkurse noch besser an die Bedürfnisse von Geflüchteten und an die Praxis angepasst werden? Die Forschung kann ihren Beitrag dazu leisten, indem sie detaillierte Informationen zu den Lebensumständen geflüchteter Menschen bereitstellt. Je mehr über die Geschichten der geflüchteten Menschen bekannt ist, desto besser können konkrete politische Maßnahmen darauf abgestimmt werden. Wenn es gut laufe, so Brücker, könnte die Quote der Geflüchteten ohne beruflichen Abschluss in den nächsten zehn Jahren von 80 Prozent auf 50 Prozent sinken.

Die Vortragsfolien von Herrn Prof. Dr. Brücker stehen Ihnen hier zum Download bereit.

 

Text: Joana Lehner