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Am Schmelzpunkt. Wie kann das 2-Grad-Ziel auf gerechte und nachhaltige Weise erreicht werden?

Am 9. November 2017 diskutierten Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis über die Frage, wie der Klimawandel nachhaltig eingedämmt werden kann. Die Podiumsdiskussion fand im Rahmen der Berlin Science Week 2017 im Festsaal der Humboldt-Universität zu Berlin statt.

 

„Wir müssen handeln, wir haben schon eine ganze Generation verschenkt“

Foto: Matthias Heyde

„Stimmt das denn jetzt wirklich mit dem Klimawandel? – werde ich immer wieder gefragt“, so Christoph Schneider, Professor für Klimageographie an der HU Berlin. „Dabei müssen wir handeln, wir haben schon eine ganze Generation verschenkt“. Obwohl das Thema Klimawandel in den Medien kaum an Präsenz zu übertreffen ist, scheint das Bewusstsein darüber noch nicht in allen Köpfen angekommen zu sein. Auf der Next Frontier Debate stellten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Integrativen Forschungsinstituts zu Transformationen von Mensch-Umwelt-Systemen (IRI THESys) der Humboldt-Universität zu Berlin daher der Öffentlichkeit ihre Forschungsergebnisse zum Klimawandel vor und diskutierten mit Vertreterinnen und Vertretern der Praxis über deren Anwendbarkeit und Perspektiven.

Die Veranstaltung fand zeitgleich zur Bonner Klimakonferenz (COP23) statt, auf der mehr als 190 Teilnehmerstaaten nach Wegen suchten, den Klimawandel und die damit verbundene globale Erwärmung einzudämmen. Die Frage, wie das auf der vorhergehenden Pariser Klimakonferenz 2015 (COP21) verabschiedete Abkommen umgesetzt werden kann, bildete auch den Ausgangspunkt der Podiumsdiskussion. Es gibt als Ziel vor, die globale Erwärmung auf maximal 2 Grad Celsius gegenüber dem Niveau vor Beginn der Industrialisierung zu begrenzen. Unter der Moderation des Wissenschaftsjournalisten Daniel Münter debattierten neben Christoph Schneider auch Kirsten Meyer, Professorin für Praktische Philosophie und Didaktik der Philosophie an der HU Berlin, und Herman Lotze-Campen, Professor für Nachhaltige Landnutzung und Klimawandel an der HU Berlin sowie Forscher am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) mit Marie-Luise Beck, Geschäftsführerin des Deutschen Klima-Konsortiums (DKK).

Einig waren sich zunächst alle: Die Ergebnisse des Pariser Klimaabkommens 2015 sind ein „Meilenstein“ der internationalen Klimaschutzpolitik. Dennoch ist klar: Selbst die Bemühungen beinahe aller Staaten der Welt reichen derzeit noch lange nicht aus, um einen Temperaturanstieg von zwei Grad zu verhindern. Wie dringlich die Lage ist, führte Schneider in seinem Impulsvortrag an. Die Kurve zu den Klimaschwankungen hat sich in den letzten 1100 Jahren stark verändert. Im Jahr 2100 wird sie einen Punkt erreicht haben, der jenseits von dem liegt, was wir derzeit an Klimaschwankungen kennen. Berlin etwa hätte am Ende dieses Jahrhunderts ein Klima, das mit dem Nordafrikas vergleichbar wäre. Darunter zu leiden haben vor allem Menschen in armen Ländern und nachfolgende Generationen.

Dass die Herausforderung des Klimawandels auch eine Frage der Gerechtigkeit ist und es auf das individuelle Handeln jedes Einzelnen ankommt, unterstrich die Philosophie-Professorin Meyer. Sie schlug vor, auf den Verzehr von Fleisch zu verzichten und gleichzeitig als kritischer Konsument auf die Politik einzuwirken. Auf globaler Ebene bestehe zudem Verhandlungsbedarf zwischen Industrienationen und Entwicklungsländern, da wirtschaftliches Wachstum Hand in Hand mit ökologischer Belastung einherginge. Dabei dürfe Ersteres laut Meyer den Entwicklungsländern dennoch nicht vorenthalten werden. Sie hätten für einen Schaden aufzukommen, den sie am wenigsten verursacht haben.

Klimageograph Schneider wiederum sah eine mögliche Lösung vor allem in der Abkopplung des wirtschaftlichen Wachstums vom ökologischen Fußabdruck. 45 Prozent der Emissionen entstehen durch Heizungswärme, 20 Prozent durch den Mobilitätsbereich. Nur wenn es der Politik gelinge, gezielt Anreize für die Suche nach neuen Technologien zu schaffen, könnten Unternehmen, die Wissenschaft sowie Bürgerinnen und Bürger einen vielschichtigen Transformationsprozess mitgestalten. Zudem sind aus seiner Sicht politische Entscheidungsträgerinnen und -träger gefordert, wirksame Mechanismen zur CO2-Reduzierung einzuführen. Eine denkbare Maßnahme sei, einen höheren Preis für abgegebene Treibhausgase zu erheben, um den CO2-Austoß wirksam zu senken.

Neben der Politik wurde überdies die Öffentlichkeit als zentrales Wirkungsfeld ausgemacht. So benannte Beck als wichtige Aufgabe der Klimaforschung, den Klimawandel im öffentlichen Diskurs zu verankern und die Gesellschaft aufzuklären. Hier besteht nach Ansicht der Geschäftsführerin des DKK noch immer großer Informationsbedarf. Auch nach Ansicht Lotze-Campens kommt es darauf an, dass wissenschaftlich plausible Ergebnisse klar kommuniziert werden: „Kein verantwortungsvoller Wissenschaftler sollte sich auf einen Elfenbeinturm zurückziehen“, so der Forscher des PIK. Offensichtliche Wahrheiten müssten immer wieder wiederholt werden, damit in allen Köpfen ankommt: „Klimaschutz ist keine Bedrohung, sondern eine positive Gestaltungsmöglichkeit“.

 

Text: Joana Lehner