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„Beyond standard assumptions on neutral excitability: when channels cooperate or capacitance varies“

Für seine Dissertation am Institut für Biologie wurde Paul Pfeiffer mit dem Humboldt-Preis 2023 ausgezeichnet.

Die Grundlage für eine effiziente Informationsverarbeitung im Gehirn ist der schnelle Austausch von elektrischen Signalen in einem hoch strukturierten Netzwerk von spezialisierten Nervenzellen. Ein umfassendes Verständnis der elektrischen Erregbarkeit von Nervenzellen ist damit unabdingbar, um die beeindruckenden Fähigkeiten von gesunden Gehirnen, aber auch die möglichen Ursachen und Behandlungen von krankhaften Zustände zu erforschen. Darüber hinaus dienen Nervenzellen als Vorbild für Algorithmen moderner künstlicher Intelligenz und neuromorphische Mikrochips.

Die vorliegende Dissertation stellt zwei grundlegende, klassische Annahmen unserer Vorstellung über Nervenzellen infrage: 1) Zum einen, dass die in der Membran eingebetteten leitfähigen Ionenkanäle, auf denen die elektrische Aktivität von Nervenzellen beruht, unabhängig voneinander operieren und sich gegenseitig nicht beeinflussen. 2) Zum anderen, dass die Zellmembran gewisse konstante Eigenschaften hat und insbesondere auch die elektrische Kapazität der Membran konstant ist. Experimentelle Studien verschiedener Arbeitsgruppen lassen inzwischen Zweifel an diesen Dogmen der Neuronemodellierung aufkommen. Auch wenn das Abweichen von diesen Annahmen zunächst technisch erscheinen mag, hätte es große Auswirkungen auf die  Dynamik von neuronalen Netzwerken im Gehirn, wie die vorliegende Arbeit aufzeigt. Der dabei verwendete Ansatz einer Beschreibung und Simulation der Nervenzellen im mathematischen Modell erweist sich dabei als besonders nützlich, da hier Fragen vom Typ „Was wäre, wenn?” direkt gestellt werden können.

So wird im ersten Teil dieser Dissertation demonstriert, dass Ionenkanäle über kooperative  Interaktionen untereinander eine Nervenzelle mit einem zellulären Kurzzeitgedächtnis ausstatten können — eine wichtige Funktion, die ohne Kooperativität bisher schwer zu erklären war (Pfeiffer et al., eLife, 2020). Kooperative Interaktion wirken dabei als selbstverstärkende Rückkopplung, sodass eine kleine Gruppe von kooperierenden Kanälen sich auf einen Reiz hin selbst im offenen Zustand hält. Damit bleibt auch die gesamte Zelle lange nach einem Reiz aktiv — ein Mechanismus, um Informationen vorübergehend in einzelnen Neuronen abzuspeichern, ohne dafür, wie sonst oft angenommen, ein ganzes Netzwerk von Nervenzellen zu benötigen.

Im zweiten Teil wird ein neues Stimulationsverfahren entwickelt, welches erstmals eine experimentelle Veränderung der Membrankapazität in biologischen Nervenzellen ermöglicht (Pfeiffer et al., eLife, 2022). Über direktes Feedback zwischen Computer und Nervenzelle wird die Spannungsdynamik "abgebremst" oder "beschleunigt", ununterscheidbar von einer wirklichen Veränderung der physikalischen Kapazität. Wie erste Versuche mit der Technik in Zusammenarbeit mit experimentellen Kooperationspartnern belegen, reguliert die Membrankapazität wichtige Aspekte neuronaler Informationsverarbeitung, zum Beispiel Aktivitätsraten oder energetische Kosten elektrischer Signale.

Die in der Dissertation vorhergesagte Verhaltensweise kooperierender Ionenkanäle liefert somit eine neuartige Erklärung dafür, wie Nervenzellen das Kurzzeitgedächtnis ermöglichen .Außerdem werden durch die hier entwickelte Technik neue Untersuchungen der Membrankapazität möglich, so zum Beispiel ihrer möglichen Rolle in Pathologien wie Multiple Sklerose.

Arbeitsgruppe: Prof. Susanne Schreiber (Website) 

Publikationen

Pfeiffer, P., Egorov, A.V., Lorenz, F., Schleimer, J.-H., Draguhn, A., Schreiber, S., 2020. Clusters of cooperative ion channels enable a membrane-potential-based mechanism for short-term memory. eLife 9, e49974. https://doi.org/10.7554/eLife.49974

Peng, Y., Barreda Tomas, F.J., Pfeiffer, P., Drangmeister, M., Schreiber, S., Vida, I., Geiger, J.R.P., 2021. Spatially structured inhibition defined by polarized parvalbumin interneuron axons promotes head direction tuning. Sci. Adv. 7, eabg4693. https://doi.org/10.1126/sciadv.abg4693

Pfeiffer, P., Barreda Tomás, F.J., Wu, J., Schleimer, J.-H., Vida, I., Schreiber, S., 2022. A dynamic clamp protocol to artificially modify cell capacitance. eLife 11, e75517. https://doi.org/10.7554/eLife.75517