Patrick Wielowiejski
„Rechtspopulismus und Homosexualität. Eine Ethnografie der Feindschaft“
Die Aufrechterhaltung eines heteronormativen Gesellschaftsideals sowie der Kampf gegen die Förderung der Akzeptanz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt gehören zu den Kernanliegen äußerst rechter Parteien und Bewegungen. Zugleich werden Homosexuelle zunehmend ins populistische „Wir“ der äußersten Rechten integriert. In Deutschland zeigt sich dies prominent am Beispiel der Parteisprecherin der Alternative für Deutschland (AfD) Alice Weidel, die offen lesbisch lebt und mit ihrer Partnerin zwei Kinder hat.
Wie lässt sich diese widersprüchlich anmutende Gleichzeitigkeit erklären? Der Kulturanthropologe Patrick Wielowiejski hat eine Gruppe schwuler Mitglieder und Politiker der AfD zwei Jahre lang ethnografisch begleitet (2017–2019). Er ist dabei der Frage nachgegangen, welche Rolle Homosexualität im politischen Imaginären der gegenwärtigen äußersten Rechten spielt. An der Schnittstelle einer Anthropologie des Politischen, der (Rechts-)Populismusforschung und der Geschlechterforschung analysiert er in „Rechtspopulismus und Homosexualität“, wie die Grenzen zwischen Freund und Feind heute neu gezogen werden, und ermöglicht damit einen Einblick in ein politisches Feld, das den demokratischen Zusammenhalt immer mehr bedroht.
Auf einer ersten Ebene werden Homosexuelle von der äußersten Rechten als Opfer einer „Islamisierung“ in den Blick genommen. In der rassistischen Figur des homophoben muslimischen Migranten aus dem Nahen Osten verdichtet sich ein Feindbild, das es ermöglicht, Homosexuelle ins rechtspopulistische „Wir“ aufzunehmen: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Auf einer zweiten Ebene werden sie in das „Wir“ integriert, insofern sie daran mitwirken, die Grenzen zwischen den Geschlechtern aufrechtzuerhalten. „Als Mann einen Mann zu lieben ist eine doppelte Entscheidung fürs Männlichsein“, formulierte es ein Interviewpartner. Verworfen wird dagegen alles, was die traditionellen binären Identitätskategorien durchkreuzt: Der Ausschluss von queeren Lebensformen, von nichtbinären, trans oder inter Personen, von neuen Familienkonstellationen und transgressiven Geschlechterperformances wird nun umso deutlicher vollzogen. Dabei ist insbesondere das Feindbild „Gender“ zur Chiffre für all das geworden, was die Stabilität und Eindeutigkeit von „Identität“ zu unterwandern scheint. Mit anderen Worten: Die Grenzen zwischen „normal“ und „pervers“ werden hier nicht mehr zwischen „Hetero“ und „Homo“ gezogen, sondern zwischen essentialistischen und emanzipatorischen Lebensentwürfen und Praktiken.
Als „Ethnografie der Feindschaft“ untersucht die Arbeit zum einen, wie die äußerste Rechte auf der Landkarte der politischen Welt Freunde und Feinde einzeichnet und so die Existenz von Feinden zur Voraussetzung des Politischen macht. Ausgehend von den kontroversen Aushandlungen um die Position von Homosexuellen innerhalb dieser politischen Landkarte erschließt die Arbeit das politische Imaginäre der äußersten Rechten insgesamt. Als engagierte Ethnografie, die sich ausdrücklich antifaschistisch positioniert, reflektiert sie zum anderen kritisch die Forschungserfahrung in einem „feindlichen“ Feld und stellt damit die heutzutage immer dringlicher werdende Frage, was passiert, wenn wir uns auf die Logik von „Freund“ und „Feind“ einlassen.