Humboldt-Universität zu Berlin

Hannah Markus

Zu genau komponiert, unfertig abgenabelt. Nachlass, Druck, Deutung: Thomas Braschs Gedichtband „Der schöne 27. September“

Hannah Markus

Zusammenfassung der Magisterarbeit

Trotz des Stellenwerts, der Gedichtband wie Autor in der Literaturgeschichte der deutschen Nachkriegsliteratur ohne Zweifel zukommt, hat es die Literaturwissenschaft bisher versäumt, Thomas Braschs Lyrik als eigenständiges Phänomen zu behandeln. Dabei können durch eine genaue Analyse der Gedichte in ihrem Zusammenspiel als Zyklus wichtige Erkenntnisse über Braschs ästhetische Strategie gewonnen werden. Als Glücksumstand erwies es sich für diese Untersuchung, dass auch das im Thomas-Brasch-Archiv der Akademie der Künste nachgelassene Material (rund 500 zu großen Teilen unveröffentlichte Gedichte und Gedichtentwürfe) berücksichtigt werden konnte – Braschs Arbeitsweise steht nämlich offenbar in unmittelbarem Zusammenhang mit seinem Kunstverständnis, was die für diese Arbeit durchgeführten Fallstudien in Form von textgenetischenclose readings zu zentralen Texten des Bandes und die Analyse des zyklischen Zusammenspiels der Gedichte belegen.

Wie die von Brasch sorgsam erarbeitete Wechselbeziehung zwischen Form und Inhalt nahe legt, sind es gerade scheinbar konventionelle Gedichtformen, welche den zentralen Aussagen von „Der schöne 27. September“ Ausdruck verleihen: dem Leiden an der als katastrophal empfundenen gesellschaftlichen Gegenwart, die aus der Vergangenheit keine Lehren zieht und einer damit verbundenen resignativen Geschichtsauffassung, die eine Wiederkehr des ewig Gleichen erwartet. Aus ihr ergibt sichex negativo Braschs zentrale poetologische Forderung nach stetiger Veränderung. Braschs Plädoyer dafür, dass ein Künstler gerade das eigene Werk, die eigenen Ansichten immer wieder in Frage stellen muss, ist zugleich auch für seine eigene Arbeitsweise konstitutiv – dem im Gedichtband formulierten Kunstanspruch wird auf der Produktionsebene Rechnung getragen. Auffälligstes Charakteristikum von Braschs Schreibprozess ist die radikale Weiterentwicklung von Ideen und Formen, die nie zu einem Ende zu kommen scheint: Versatzstücke werden aus einem Gedicht in ein anderes montiert, abgeschlossen erscheinende Gedichte dienen als ‚Sprungbrett’ für neue, welche völlig andere Ideen in den Mittelpunkt stellen, und immer wieder verändert der Autor die Texte, zum Teil signifikant (mehrfach wechseln sogar die Gattungen), selbst noch nach der Veröffentlichung. Der Horror Braschs vor dem gesellschaftlichen Stillstand spiegelt sich also auch in seiner Abneigung gegen eineendgültige Textgestalt. Zugleich wollen Braschs Texte auch für den Rezipienten möglichst uneindeutig, nicht festlegbar bleiben: Die ästhetische Strategie des Autors in „Der schöne 27. September“, Gedichte durch das Zusammenspiel in andere Kontexte und zum Teil sogar in Frage zu stellen, ist ganz offensichtlich auf eine Verunsicherung der Leser ausgerichtet.

Lebenslauf

1986 - 1990 Besuch der Grundschule Bovenden (Niedersachsen)
1992 - 1999 Besuch des Max Planck-Gymnasiums in Göttingen
1997 Besuch von Madras College in St. Andrews, Schottland
1999 Abitur am Max-Planck-Gymnasium in Göttingen
WS 1999/2000 Aufnahme des Magister-Studiums an der Humboldt-Universität zu Berlin: HF Theaterwissenschaft / Kulturelle Kommunikation, 1. NF Neuere deutsche Literatur, 2. NF Anglistik
2001 Wechsel zu: HF Neuere deutsche Literatur, 1. NF Theaterwissenschaft / Kulturelle Kommunikation, 2. NF Anglistik
2002/2003 Zwischenprüfungen in den genannten Fächern
2003 - 2007 Arbeit als studentische Hilfskraft am Institut für Deutsche Literatur bei Prof. Dr. Roland Berbig
2006 - 2007 Magisterabschlussprüfung im 1. NF Theaterwissenschaft / Kulturelle Kommunikation
2006 - 2007 Leitung des Projekttutoriums „Der Werkbegriff bei Ilse Aichinger“ am Institut für Deutsche Literatur
Januar 2007 Abgabe der Magisterarbeit im Fach Neuere deutsche Literatur
Mai-Juli 2007 Magisterabschlussprüfungen im HF Neuere deutsche Literatur und im 2. NF Anglistik